Ein Herr der Integrität: Zum Tod des Schauspielpioniers Sidney Poitier
Mit Sidney Poitier ist einer der wichtigsten afroamerikanischen Schauspieler gestorben. Ein Nachruf
Als er 2002 einen Ehrenoscar erhielt, hatte Sidney Poitier seine Filmkarriere schon beendet. Zuletzt war er in würdigen Nebenrollen in „Sneakers“ und „Der Schakal“ aufgetreten und in einigen Fernsehfilmen. Poitier erschien an jenem Abend von der Seite des Auditoriums. Vermutlich war es nicht bloßer Zufall, dass Halle Berry (für „Monster’s Ball“) und Denzel Washington (für „Training Day“) als beste Schauspieler ausgezeichnet wurden. Und es war nicht Poitiers erster Oscar: 1964 war er der erste schwarze Schauspieler, der als Hauptdarsteller gewann, für „Lilien auf dem Felde“. Zuvor hatte Hattie McDaniel 1940 für ihre Nebenrolle in „Vom Winde verweht“ den Preis erhalten.
Sidney Poitier hatte damals schon eine 50-jährige Schauspielerkarriere. Er wurde am 20. Februar 1927 in Miami, Florida, geboren, wuchs aber auf den Bahamas auf, wo seine Familie wohnte. Als Jugendlicher wurde er zum Bruder nach Florida geschickt und ging als 18-Jähriger nach New York, wo er beim America Negro Theatre in Harlem reüssierte. Ende der 40er-Jahre wurde er am Broadway besetzt und spielte 1950 eine Nebenrolle in dem Film „No Way Out“ – als Arzt, eine Rolle, die später typisch für ihn wurde. Langsam entwickelte sich seine Filmkarriere. 1955 war er einer der Schüler in Richard Brooks‘ „The Blackboard Jungle“ („Saat der Gewalt“) mit Glenn Ford, einem der ersten Filme über Jugendgewalt.
In „The Defiant Ones“ („Flucht in Ketten“) gelang Poitier 1958 der Durchbruch neben Tony Curtis, an den er im Film mit Handschellen gekettet ist. „Porgy And Bess“ (1959) zeigte ihn abermals als eleganten Leading Man, der Melodramen und Kriminalfilme tragen konnte. Nach „A Raisin In The Sun“ und „Paris Blues“ (1961) war der Oscar für „Lilies of the Field“ (1963) folgerichtig. Im selben Jahr nahm Poitier – neben Harry Belafonte und Charlton Heston – am Civil Rights March in Washington teil. Zwei Jahre später war er der Star in Sydney Pollacks frühem Film „Stimme am Telefon“, in dem er versucht, eine Frau vom Selbstmord abzuhalten.
Zur Symbolfigur an der Nahtstelle zwischen dem alten und dem neuen Hollywood wurde er 1967, als er in zwei Filmen spielte, die den neuen Geist in traditioneller Form darstellen: In Norman Jewisons „In der Hitze der Nacht“ ist er ein Polizeiinspektor, der sich gegen den rassistischen Rod Steiger behaupten muss. „Guess Who’s Coming To Dinner“ ist der Film des Produzenten und Regisseurs Stanley Kramer und die letzte Zusammenarbeit des legendären Paars Katharine Hepburn und Spencer Tracy, die wohlsituierte liberale Eheleute spielen, dessen Tochter ihnen eröffnet, dass sie einen schwarzen Arzt heiraten will, den sie vor zehn Tagen auf Hawaii kennengelernt hat.
2009 erhielt er von Barack Obama die Medal of Freedom
Poitier ist der duldsame und allzu vernünftige Galan, der auf keinen Fall gegen die Einwilligung der Brauteltern heiraten will. Allerdings sind es seine eigenen Eltern und die schwarze Haushälterin, die gravierende Bedenken gegen die Liaison haben. Spencer Tracy als gutmütig-kauziger Journalist isst ein Himbeer-Pfirsich-Eis mit Krokant an einem Drive-In der Hippies und hält dann wie Hercule Poirot im Wohnzimmer die große Ansprache, nach der alle Konflikte beigelegt sind. Es war Tracys letzte Rolle; er starb wenige Wochen nach dem Ende der Dreharbeiten. Sidney Poitier hat wenig mehr zu tun, als anständig zu sein und zwischen den bockbeinigen Parteien zu vermitteln.
In „They Call Me MISTER Tibbs!“ (1970) setzte er die Rolle aus „In der Hitze der Nacht“ fort, doch wirkte die konziliante Selbstermächtigung merkwürdig verzopft. in den 70er-Jahren verlegte sich Poitier auf die Regie bei aufgekratzten Komödien – in „A Piece of the Action“ (1977) trat er neben Bill Cosby und James Earl Jones auf; „Hanky Panky“ (1982) ist ein Vehikel für Gene Wilder. 1988 spielte er einen Polizisten neben Tom Berenger in „Mörderischer Vorsprung“. Von da an trat er nur noch sporadisch in Erscheinung. 2001 erschien Poitiers Autobiografie „The Measure of a Man“. 2009 erhielt er von Barack Obama die Medal of Freedom. Obamas Vater hatte einst ein Stipendium von Poitiers Stiftung bekommen, die afrikanischen Studenten das Studium in den USA ermöglichte. Poitiers Tochter Sydney aus erster Ehe wurde Schauspielerin und ist etwa in Quentin Tarantinos „Death Proof“ (2007) zu sehen.
Sidney Poitier, der charismatische Darsteller integrer Vernunftmenschen, starb am 6. Januar auf den Bahamas.