Ein dunkler Engel strebt zum Licht
Intensiv wie der junge Marion Brando: JOAQUIN PHOENIX wurde als Commodus in "Gladiator" für den Oscar nominiert und leidet noch am Tod seines Bruders River
Ein andächtiger Moment wäre es im Shrine Auditorium geworden, hätte Joaquin Phoenix kürzlich einen Oscar gewonnen. Denn vielleicht hätte er erklärt, er widme die Trophäe seinem Vorbild und älteren Bruder, der 1988 bereits als bester Nebendarsteller nominiert gewesen war. River Phoenix besaß die Strahlkraft eines ebenso lässigen wie wild-verzweifelten Antihelden – und endete als eine Art James Dean-Ikone, der heulende Teenies kübelweise Fotos und Blumen auf das Grab schütteten. 1993 war er vor der Rock-Kneipe Viper Room von Johnny Depp an einem Cocktail aus Heroin und Koks kollabiert und gestorben. Joaquin rief damals den Krankenwagen.
Noch heute redet er nicht gerne über diese Nacht. Vor allem da er sich um seine Erinnerungen und Trauer betrogen fühlt Die Hyänen der Boulevardpresse hatten wochenlang die Aufnahmen des Notrufs abgespielt. „Ich fasse es noch immer nicht, dass wir in einer so abgebrühten Gesellschaft leben, in der sich alles ums Geld dreht und auf Pietät gepfiffen wird. Der Tod eines geliebten Menschen ist ja ohnehin schwer genug zu verkraften. Aber wenn noch auf diese Weise darauf rumgetrampelt wird, dann bringt einen das fast um.“ Bis zu dieser Tragödie war es paradiesisch verlaufen in der Phoenix-Familie. Die Eltern waren in den 70er Jahren typisch durchgeknallte Hippies, die Joints für spirituellen Stoff hielten und mit wachsender Kinderschar als Missionare der Children of God durch Latein- und Südamerika pilgerten. 1977 ließen sie sich in Kalifornien nieder, wo sie ihre beiden Buben und die Töchter mit den blumigen Namen Rain, Liberty und Summer zur Schauspiel-Sippe heranzogen. Rivalitäten unter den Geschwistern habe es nie gegeben: „Wichtig war nur, dass jemand von uns eine Rolle bekam.“
Er fiel erstmals als 15-Jähriger neben Steve Martin in Ron Howards Kassenhit „Eine Wahnsinnsfamilie“ auf. Eine passende Rolle.Joaquin ist noch immer so sehr Familienmensch, dass er gelitten habe, als er nacheinander die Sade-Satire „Quills“ und das Kumpel-Drama „The Yards“ (Start: 26.4.) abdrehte. Am Set von „Gladiator“ kam ihm Russell Crowe sogar „wie ein großer Bruder“ vor. Und der Regisseur Gus Van Sant, der mit River „My Private Idaho“ gedreht und Joaquin für „To Die For“ besetzt hatte, ist nicht nur sein Mentor. Sie wohnen auch im selben New orker Appartmenthaus.
Gleichzeitig verspürte er früh den Drang, „unbedingt unabhängig, eine eigenständige Person sein zu wollen. Wenn man in einer großen Familie aufwächst, ist man oft von der Außenwelt isoliert. Das führt zu einer gewissen Naivität.“ Die Zerissenheit zwischen verquälter Sensibilität und Wagemut spiegelt sich in seinem Leben wie in seinen Rollen wieder. Er ist radikaler Vegetarier, trinkt aber gerne und raucht auch nicht wenig, gilt als scheuer Einzelgänger, zieht sich jedoch oft exzentrisch an und kann plötzlich sehr witzig sein oder flammende Manifeste halten. Als er für die Rolle des Commodus vorsprach, „um mal einen charismatischen Emporkömmling zu spielen“, erklärte er zuerst, er halte sich für nicht geeignet. Zum Glück glaubte ihm Ridley Scott nicht. Wie er als sadistischer Narziss und Vatermörder in wirrer, triumphaler Melancholie trauert und mit kindlich-rabiatem Trotz die Schwester begehrt, das erinnert schon an den jungen Marion Brando. Aber nun würde er gerne mal eine simple Komödie machen: „mit richtig idiotischen, dreckigen Gags“.