Ein Bett mit Geschichte
Ein unverhofftes Comeback: 35 Jahre nach „Rumours“ werden FLEETWOOD MAC neu entdeckt. Die legendäre Band geht unterdessen auf Tournee – und arbeitet erstmals seit zehn jahren wieder an neuern songs. eine geschichte der liebesdramen und pop-triumphe. eine spurensuche im gestern und heute
Als alles vorbei war, hatten Fleetwood Mac das erfolgreichste Album des Jahres 1977 aufgenommen, ihre Songs wurden im Radio gespielt, sie gewannen einen Grammy. Zwei Liebesbeziehungen waren zerstört, ein paar Pfund Kokain verbraucht, und keiner der Musiker wollte die anderen mehr sehen. Kurzum, sie waren auf dem Gipfel ihrer Kunst.
„Herzlichen Glückwunsch, du hast es überlebt“, witzelt Stevie Nicks gegenüber dem Produzenten Richard Dashut in einer Dokumentation über „Rumours“ aus dem Jahr 1997. Tatsächlich leben die fünf Mitglieder von Fleetwood Mac noch, ebenso die beiden Produzenten. Es gibt noch das Studio, Record Plant in Sausalito, Kalifornien, ein hölzernes Labyrinth aus Gängen und kleinen Studioräumen, das die Klaustrophobie jener Tage befeuerte. „Rumours“ steht heute an 14. Stelle der meistverkauften Alben aller Zeiten und hat nach Schätzungen eine Auflage von 40 Millionen Exemplaren (nach sehr konservativen Rechnungen eher 25 Millionen).
Die Platte war der Höhepunkt der Karriere aller Beteiligten, die – für damalige Pop-Verhältnisse – bereits lange Wege gegangen waren, bis sie 1975 mit „Fleetwood Mac“ den gro-ßen, den Platin-Erfolg erlebten. „Jetzt waren wir reich“, sagt Stevie Nicks. Sie zeigt gern einen Trick: Nicks steckt einen Bleistift in ihr rechtes Nasenloch – und die Spitze kommt aus dem linken Nasenloch wieder heraus. Das war das süße Leben in Kalifornien, 1977 ff.
Die Geschichte von Fleetwood Mac geht zurück bis zu den Anfängen der Band in England. Mick Fleetwood, der Schlagzeuger, hatte die Gruppe mit dem Gitarristen Peter Green 1967 gegründet. Damals rollte die Welle der britischen Blues-Bands aus, wie bald evident wurde. Fleetwood Mac hatten einen moderaten Hit mit „Albatross“, doch Green setzte der Erfolg seltsam zu, er konsumierte LSD im Übermaß, wurde immer merkwürdiger und verließ 1970 die Gruppe – halb ging er, halb schob Fleetwood ihn ab. Zu Beginn der Siebziger machten Mac die falsche Musik: In jedem Jahr veröffentlichten sie eine erfolglose Platte mit formelhaften Songs. 1974 beschloss Fleetwood den Umzug von London nach Los Angeles – Christine McVie (Keyboards), ihr Mann John (Bass) und der Gitarrist Bob Welch folgten und brachten noch eine schwer verkäufliche LP heraus.
Angeblich wollte Keith Olsen bloß sein Studio vorführen, als er eines Abends Mick Fleetwood einlud. Der „hatte das Gefühl“, dass Bob Welch nicht mehr lange ihr Gitarrist bleiben würde, und schaute sich schon mal diskret nach anderen Musikern um. Bei Olsens Sound City in Van Nuys sah er Lindsey Buckingham und dessen Freundin Stevie Nicks, die dort ihr Album „Buckingham Nicks“ aufgenommen hatten, das später ein kapitaler Flop wurde. Der Groschen fiel nicht sofort, aber Fleetwood behielt Buckingham in Erinnerung. Der unzufriedene Welch kündigte tatsächlich seine Mitarbeit auf, um ein Soloalbum zu produzieren – und Fleetwood fragte Olsen nach der Telefonnummer des Gitarristen aus Van Nuys. „Irgendetwas am Spiel dieses Typen erinnerte mich an Peter Green“, erklärte Fleetwood später, etwas überraschend.
Buckingham und Nicks arbeiteten damals als Kellner, um sich den Traum von der Pop-Karriere leisten zu können. Buckingham war der Songschreiber, aber auch Nicks hatte Einfälle und spielte ein wenig Piano. Sie trafen sich mit Fleetwood; Nicks hörte vorher die Platten der Band. „Wir könnten eine Menge für sie tun“, fand Nicks anschließend. „Ich will nicht sagen, dass ich überredet werden musste“, sagt Buckingham. „Es gab da eine Ambivalenz. Zwar war ich ein Fan von Peter Green, aber die Band wechselte immerzu die Besetzung.“ Woraufhin die Besetzung sich wieder änderte: Fleetwood brauchte zwar nur einen Gitarristen, aber er buchte auch die neue Sängerin, die so betörend sang – und die physische Attraktivität der Band erheblich erhöhte. Mac hatte jetzt zwei Songschreiber mehr.
Fleetwood spielte „Buckingham Nicks“ den McVies vor, und Christine war von den Songs angetan. Sie traf zunächst Stevie Nicks, denn Fleetwood befürchtete Stutenbissigkeit. Eifersüchtig waren dann aber tatsächlich die Männer. Drei Stücke für das Nachfolge-Album von „Buckingham Nicks“ waren übrig geblieben: „Monday Morning“, „Rhiannon“ und „Landslide“. Diese Songs bildeten nun den Kern von „Fleetwood Mac“, dem ersten Album der neuen Band. „Wir waren mal eine Blues-Band“, erregte sich Nicht-Songschreiber John McVie angesichts des neuen Pop-Stils. Später äußerte er sich moderater: „Lindsey und ich gerieten öfter aneinander. Aber es war niemals eine Ego-Sache, es ging immer um die Musik und darum, wie wir sie verbessern können.“ Buckingham, der größeren Anteil an Songwriting und Produktion hatte, sagt generös: „Manchmal war es meine Schuld, manchmal die von John. Am Anfang war ich natürlich der neue Typ – aber ich hatte auch ein paar neue Ideen.“ Laut Richard Dashut war er der Einzige in der Gruppe, der eine Vision hatte und wusste, wie ein Song am Ende klinge sollte.
„Fleetwood Mac“ erschien im Herbst 1975 und erreichte bald die Millionen-Marke. „Wir Alten hatten schon einmal ähnlichen Erfolg gehabt – aber für Stevie und Lindsey war es unglaublich“, erzählt Fleetwood, der solchen Erfolg freilich auch noch nicht erlebt hatte.
Das Jahr 1976 verbrachte das Quintett in der Studio-Gruft Record Plant in Sausalito. Sly Stone hatte sich in dem Komplex eingerichtet – manchmal, wenn der nicht anwesend war, setzte sich Stevie Nicks in dessen gemütlichen Aufnahmeraum und spielte auf dem elektrischen Klavier. „Das Leben im Rock-Business war unglaublich anstrengend“, klagt Nicks larmoyant. „Man musste immer auf den Punkt da sein, jeden Tag wieder, 15 Stunden lang und auch, wenn man gar nichts zu tun hatte.“ Sie schrieb das Lied „Gold Dust Woman“ über den Kokainkonsum. Die Produzenten Ken Caillat und Richard Dashut erlaubten sich den Scherz, eine bestimmte Tüte und deren Inhalt auszutauschen, auf die alle warteten. Als die Frage nach einer Erfrischung gestellt wurde, brachte Caillat den Beutel, hielt ihn aber verkehrt herum, sodass weißes Pulver herausrieselte. Die Musiker schrien entsetzt und waren fassungslos; Mick Fleetwood schien ernstlich verärgert zu sein.
Die drei Männer hatten ein Gästehaus in den Hügeln bezogen. „Ich kann gar nicht erzählen, was da abging“, so Fleetwood – und tut es auch nicht. Christine hatte sich von John McVie getrennt und war mit dem Lichttechniker der letzten Tournee liiert, über den sie den Song „You Make Loving Fun“ schrieb. Sie und Stevie bewohnten zwei Apartments in einem Gebäude am Hafen. Nachts schlich zuweilen der betrunkene John McVie ums Haus und brüllte nach Christine. „Sie versteckte sich manchmal in meiner Wohnung, und manchmal kam ich abends zu ihr“, erzählt Nicks, die sich von Lindsey trennte, der darüber „Never Going Back Again“ schrieb – allerdings erst gegen Ende der Aufnahmen, als er eine „junge Lady“ kennengelernt hatte.
Im Studio standen ein Sofa und ein Stuhl, und die Arbeiten gingen langsam voran. „Es waren andere Zeiten“, sagt Buckingham. „Damals schien alles möglich zu sein; überzogene Budgets spielten keine Rolle, Drogen und Alkohol waren selbstverständlich. Wir lebten wie in einer Blase, es gab keinen Alltag.“ In dieser Atmosphäre schrieben Christine McVie, Nicks und Buckingham ihre Songs. „Es war die schlimmste Zeit“, so Nicks, „aber wir schrieben die besten Stücke unseres Lebens.“ Ihr Song „Silver Springs“ (über Buckingham!) passte nicht mehr auf die Platte, er wurde als Single-B-Seite veröffentlicht und später der Luxus-Ausgabe des Albums hinzugefügt.
Im Februar 1977 erschien „Rumours“. „Wir kamen auf den Titel, weil wir über die anderen Songs schrieben, als würden wir Tagebuch führen“, sagt Christine McVie. „Go Your Own Way“, „Don’t Stop“ und „Dreams“ wurden Hits. Mick Fleetwood, der Held von Christine McVies „Oh Daddy“, hatte eine Affäre mit Stevie Nicks. Sie verschwanden in einem Nebel aus Drogen, Betriebsamkeit und Ruhmesrausch. „Immer, wenn ich hinter der Bühne zuhörte, wie Christine, Songbird‘ spielte, musste ich weinen“, erzählt John McVie. „Einmal sah ich zu Lindsey, und er musste auch weinen. Und irgendwann sagte Christine, sie wolle den Song nicht mehr spielen: Auch sie musste jedes Mal weinen.“
Die nächste Platte, „Tusk“, realisierte Buckingham fast allein in seinem Heimstudio – es wurde ein Flop, jedenfalls gemessen an „Rumours“. Doch dann entwickelte sich das seltsam minimalistische Doppelalbum zu einem Kult-Klassiker, und im Jahr 2003 nahmen Camper Van Beethoven eine beinahe originalgetreue Replik auf. „Rumours“ wurde 1998 mit einem Tribute-Album geadelt, auf dem Elton John, die Corrs, Duncan Sheik, Shawn Colvin, Matchbox 20 und Tonic die Songs interpretierten – eine damals, in weniger nostalgieseligen Zeiten, erstaunlich eklektische Besetzung.
1977 war „Rumours“ der Sound des Moments, der gediegene Song an sich wurde geschätzt: Billy Joel, Jackson Browne, James Taylor und Carly Simon feierten ihre größten Erfolge, die Eagles hatten „Hotel California“ aufgenommen, auch Songschreiber wie Randy Newman, Dan Fogelberg und Stephen Bishop hatten ihre kommerziell glücklichste Phase. Während in New York die New Wave um Patti Smith, Television und Talking Heads neue Horizonte eröffnete, verbreiteten sich an der Westküste eher Wohlgefühl und Selbstgenügsamkeit. Man kann das in Woody Allens Film „Annie Hall“ sehen: wie das entspannte, sedierte Party-Volk, die Filmschaffenden, Musiker, Produzenten, Schauspieler und Parvenüs, fast somnambul durch lichte Räume und Gärten schlendern, ein Glas Wodka, eine Nase Koks und ein Techtelmechtel nie fern. „Take it easy“ war das Gebot der Stunde. Und die Musikindustrie war ein Schlaraffenland, denn die Umsätze stiegen wie von selbst, das Publikum wuchs noch immer, und die jährlichen Meetings der Plattenfirmen fanden in Luxushotels statt.
Dekadenz und Glamour jener glorreichen Tage sind in den Songs von „Rumours“ aufgehoben – aber auch die Kehrseite: eine aggressive, sexualisierte Melancholie, die um das Ende schon weiß. Die Ambivalenz in diesen bittersüßen Popsongs macht sie attraktiv auch für heutige Musiker: Von Billy Corgan über Yeasayer bis Julia Holter begeistern sich nicht die heitersten Musiker für die Seelenschau von „Rumours“. John Swenson nennt in seiner Besprechung im ROLLING STONE vom April 1977 die Byrds, die Eagles und Buffalo Springfield als Lehrmeister für den „Californian folk-rock“. Der Rezensent schrieb damals prophetisch: „It may be gloss, but it’s the best gloss to come along in a long time.“
spur ins jetzt
Julia Holter über die Abgründigkeit des Softrock
Fleetwood Mac habe ich im Radio entdeckt; als ich jung war, habe ich häufig Oldie-Sender gehört. In den Neunzigern haben sich ja nicht viele Leute um Fleetwood Mac gekümmert, inzwischen sind sie als Einfluss gerade bei jüngeren Künstlerinnen viel präsenter. Ich denke, das liegt daran, dass ihre Musik so mysteriös ist – in dem Sinn, dass man schwer vorhersagen kann, was als Nächstes passiert; und dass sie sich jeder einfachen Botschaft entzieht. Da gibt es diese scheinbar so glatte und harmlose Softrock-Oberfläche und dann die ambivalenten, manchmal geradezu abgründigen Texte. Es ist doch so: Im Herzen sind Fleetwood Mac eine extrem düstere Band, das mag ich – und trotzdem haben sie einen wirklich warmen, einladenden Sound. Und Stevie Nicks ist eine tolle Sängerin, sie hat eine großartige Bühnenpräsenz. Ich habe sie vor ein paar Jahren einmal bei einem Solokonzert gesehen, und das war wirklich fantastisch! Und ihre Stimme, dieses sonderbare, leicht schroffe Näseln bietet einen sehr ehrlichen Kontrast zu der sonstigen Wärme der Musik. Mein Lieblingslied von ihr ist „Gold Dust Woman“, das Stück habe ich auch gerade gecovert. Jemand hat mich gefragt, ob ich eigentlich weiß, worum es darin geht, angeblich kann sich ja Stevie Nicks selber nicht mehr erinnern. Ich vermute, es geht um Kokain. Oder um Liebe. Oder um beides zusammen.
(Aufgezeichnet von Jens Balzer)
Julia Holters „Ekstasis“ ist gerade bei Domino/GoodToGo wiederveröffentlicht worden; im Mai 2013 erscheint dort auch ihr neues Album.