Ein Anbau in der Hölle
Die Bilder des Films überlagern jene der Fantasie, sofern man zunächst „No Country For Old Men“ von den Coen-Brüdern gesehen hat – und dann erst Cormac McCarthys Roman liest, der in den USA bereits im Jahr 2005 erschienen war. Rowohlt hat das Buch jetzt unter dem Titel „Kein Land für alte Männer“ aufgelegt, nachdem im letzten Jahr McCarthys „Die Straße“ erschienen war. Auch „Kein Land für alte Männer“ ist eine apokalyptische Erzählung, auch sie spielt in Cormac McCarthys Herzland: in den Wüsten und Kleinstädten von Texas, an der Grenze zu Mexiko.
Vordergründig geht es um einen Koffer mit 2,4 Millionen Dollar, um eine Tüte voll Heroin, ein paar Autos, in denen Leichen liegen, eine Bande von Gangstern, die den Stoff und das Geld suchen, und drei Männer. Der eine, Ed Tom Bell, ist ein alternder Sheriff, der das Geschehen in lakonischen Einschüben kommentiert und zugleich sein Leben und seinen Beruf reflektiert. Der zweite ist ein Vietnam-Veteran und Gelegenheits-Arbeiter namens Llewelyn Moss, der die Leichen und das Geld bei der Jagd auf Wild in der Wüste findet. Und der dritte trägt den schönen Namen Anton Chigurh — ein Berufskiller, der zu philosophischen Betrachtungen neigt, die ein wenig an so monströse Privatgelehrte wie Hannibal Lecter oder Colonel Kurtz in „Apocalypse Now“ denken lassen.
Das Spiel geht ungefähr so: Moss haut mit dem Geld ab, und obwohl er weiß, was ihn erwartet, bringt er seine Frau nicht in Sicherheit und macht mit größtmöglicher Sorgfalt alle Fehler, die man machen kann. Chigurh tötet alle Menschen, die sich ihm in den Weg stellen. Sheriff Bell sieht das nächste Ereignis meistens kommen oder spürt es, aber er ist immer einen Schritt zu spät. Einmal fühlt er, dass Chigurh auf dem Parkplatz vor dem Motel im Dunkeln wartet. Er flieht, er ruft Verstärkung, Chigurh ist verschwunden. Der Gegen-Killer Wells, der Chigurh kennt und als den Leibhaftigen beschreibt, findet den verletzten Moss und macht ihm ein Angebot. Doch der schleppt sich lieber blutend mit dem Koffer weiter, und der freundliche Wells wird von Chigurh erschossen, nicht ohne eine letzte Ölung: „Wenn dich die Regel, an die du dich gehalten hast, hierher geführt hat, welchen Sinn hat sie dann gehabt?“ Moss nimmt auf seiner Flucht eine junge Ausreißerin mit, es ist beinahe ein heiteres Nachspiel: Die beiden necken einander, trinken Dosenbier, steigen in einem Motel ab und sind am nächsten Morgen tot. „Kein Land für alte Männner“ hat im doppelten Sinne keine
Moral. Ed Tom Bell berichtet von einem Mörder, der zum Tode verurteilt wurde. „Er war 19. Und er hat mir gesagt, er hätte schon ungefähr so lange, wie er zurückdenken kann, vorgehabt, jemanden umzubringen. Hat gesagt, er würd’s wieder tun, wenn sie ihn rausließen. Und er wüsste, dass er zur Hölle fährt. Hat er mir wortwörtlich gesagt. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.“ Wollen mal so sagen: Sheriff Bell verkörpert das anständige Amerika. „Ich war 21, als ich zur Army gegangen bin, und bei der Grundausbildung war ich in meinem Kurs einer der Ältesten. Sechs Monate später war ich ich in Frankreich und hab mit einem Gewehr auf Menschengeschossen. Damals hab ich das gar nicht für so was Besonderes gehalten. Vier Jahre später war ich Sheriff von diesem County.“
Seine Frau hat Bell erzählt, dass in diesem Land immer mehr Kinder von ihren Großeltern aufgezogen werden. „Wenn dann die nächste Generation so weit ist, haben wir gedacht, und ihre Kinder auch nicht aufziehen will, wer macht es dann? Ihre Eltern sind dann nämlich die einzigen Großeltern, die es gibt, und die wollten ja sie schon nicht aufziehen.“
Das klingt nach dem Lamento alter Leutchen und auch nach billigem Kulturpessimismus. Vor allem klingt es nach alten Männern, für die der Zweite Weltkrieg der Letzte Gute Krieg war und die sich heute bei „Band Of Brothers“ an der Erinnerung wärmen – während Llewlyn Moss, Vertreter einer Generation ohne Ideale und würdige Repräsentanten, für den schmutzigen Vietnamkrieg steht.
Andererseits überraschte Cormac McCarthy in einem seltenen Interview (ausgerechnet mit Oprah Winfrey) mit der Mahnung, Amerika solle doch mit größerem Optimismus in die Zukunft schauen. Vielleicht sagt McCarthy das, weil er ein alter Mann ist. Bei der Oscar-Verleihung saß er, fröhlich und lachend, hinter den siegreichen Coens.
Vielleicht aber ist es auch ein grimmiger, erbarmungsloser AVitz, der diesen Roman gespeist hat. Denn die Verfolgungsjagden, Schießereien und Taxifahrten über die mexikanische Grenze sind so gar nicht realistisch, wenn auch präzise beschrieben. Die Mensehen handeln nicht logisch und nicht nach einem Sittengesetz, Gier und Zufall bestimmen die Handlungen. Llewelyn Moss ist auch ein ehrgeiziger Amateur (ein guter Schütze allerdings), der sich mit einem Profi anlegt und nicht aufgeben will, bis ihn seine Nemesis doch zur Strecke bringt. Und Sheriff Bell ist auch eine rührend gestrige und komische Figur, die der Gemütlichkeit der 40er und 50er Jahre nachtrauert und die Ehefrau liebt, ohne die der Laden nicht laufen würde. Vor den Leichen steht er wie Frances McDormand in einem anderen Film der Coen-Brüder, in „Fargo“, wo die Polizistin durch den Schnee stapft und die Morde rekonstruiert, mit einem Becher Kaffee in der morgendlichen Kälte.
Bei William Butler Yeats heißt es in dem Gedicht, aus dem McCarthys Buchtitel stammt: „Fisch, Fleisch, Geflügel künden den Sommer lang/ Von allem, ¿was gezeugt, geboren ist und stirbt.“ Sheriff Bell sagt es prosaischer: „Ich hab immer gesagt, es sind die gleichen, mit denen wir schon immer zu tun hatten. Damals haben sie Vieh geklaut. Jetzt schmuggeln sie Rauschgift. Aber ich weiß nicht, ob das noch stimmt. Ich weiß noch nicht mal, was ich mit ihnen anstellen soll. Wenn man sie alle umbringen würde, müssten sie in der Hölle anbauen.“