Eels: „Dass ich noch immer hier bin, ist ein Wunder“
Ihn interessiere vor allem die "konstante Unsicherheit des Lebens" sagt Eels-Gründer Mark Oliver Everett. Die von einer Scheidung gefärbten Songs seines mittlerweile 13. Studioalbums "Earth To Dora" klingen zerknirschter als auf dem lebensbejahenden Vorgänger, nähren in den schönsten Momenten aber einmal mehr das zarte Pflänzchen Hoffnung. „Umso düsterer der Weg, umso mehr bedeutet es, wenn du schließlich das Licht am Ende des Tunnels erblickst“, sagt Everett. Ein Gespräch über verlorene Lieben, verschollene Alben, die mysteriöse Aura der Aale und John Lennons' liebste Eels-Platten.
Ich habe im Internet gesehen, dass deine Villa in Los Angeles zum Verkauf steht, die du auch im Song „Mansions Of Los Feliz“ besungen hast. Ich war erst einmal verblüfft, dass man sich als Indie-Musiker überhaupt so ein schönes Anwesen leisten kann…
Ein wunderschönes Haus, indeed! Es war zu gut für mich, um ehrlich zu sein (lacht). Ich habe dort zehn Jahre gelebt, zuletzt mit Frau und Kind. Dann haben wir uns scheiden lassen, und das ist, wie du sicher weißt, sehr teuer. Ich kann es mir nun tatsächlich nicht mehr leisten. Jetzt lebe ich mit meinem drei Jahre alten Sohn in meinem Studio, das zur Hälfte wie ein Kinderspielplatz aussieht.
Man könnte angesichts der Texte vermuten, dass „Earth To Dora“ von deiner Scheidung handelt, also ein Break-Up-Album ist, ähnlich wie „End Times“ aus dem Jahr 2010.
Man kann es als Geschichte einer Beziehung lesen, aber das hatte ich beim Schreiben nicht im Sinn. Die Songs entstanden zu verschiedenen Zeiten. Manche Lieder sind autobiographisch, andere nicht.
In „Who You Say You Are“ fragst du dich, ob der Mensch, den du gerade kennengelernt hast, es überhaupt wert ist, einen Song gewidmet zu bekommen. Hast du viele Lieder geschrieben, von denen du nachher dachtest, die Person darin hatte es eigentlich nicht verdient?
Nicht viele, aber es gab solche autobiografischen Songs. Ich will nicht sagen, welche, denn diese Menschen wissen, dass die Songs von ihnen handeln. Ich will ihnen nicht weh tun…auch wenn sie so eine Zurückhaltung vielleicht nicht wert sind (lacht).
Auf vielen Eels-Alben gibt es zwischen all der Zerknirschtheit, den Schicksalsschlägen und der Traurigkeit mindestens einen Song, der die Dunkelheit lichtet und Hoffnung macht, dass alles wieder gut wird und die Welt eigentlich doch ganz schön ist. Welcher Song ist das auf „Earth To Dora“?
Von meinem Blickwinkel aus ist es das Lied „Ok“. Es ist sehr düster, aber das Ende reisst es raus: But I know it’s another day/ And I’m OK. Das war schon auf „Electro Shock Blues“ mein Ding: Umso düsterer der Weg ist, umso mehr bedeutet es dir, wenn du schließlich das Licht am Ende des Tunnels erblickst.
Zur Veröffentlichung des neuen Albums hast du dir für Promo-Zwecke ein Interview zwischen dir und John Lennon ausgedacht, einem deiner großen musikalischen Helden. Darin erwähnt der fiktive Lennon, dass „Blinking Lights“ und „Electro Shock Blues“ seine Lieblingsalben von den Eels seien. Kannst du dir erklären, warum er sich gerade diese beiden ausgewählt hat?
Wenn John meint, dass das die beiden besten Eels-Alben sind, dann wird es so sein. Du kannst dich nicht mit John Lennon anlegen! Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich vermutlich auch erklären, dass dies meine Lieblingsalben der Eels sind. Und das neue Album natürlich! Ich muss das sagen (lacht).
Wie gefällt dir der Vorgänger „The Deconstruction“ heute, zwei Jahre später?
Das ist so eine Sache mit Vorgängern: Ich vergesse sie erst einmal für eine Weile. Alben aufzunehmen macht Spaß. Das was danach kommt, ist ziemlich auslaugend, die Promotion, das Touren. Am Ende hast du die Songs ein bisschen satt und brauchst Abstand. In dieser Phase befinde ich mich gerade. Aber nach zehn Jahren oder so kann ich zurückblicken und mir wirklich ein Urteil bilden.
Was hältst du heute von deinen ersten beiden Soloalben aus den frühen 90er-Jahren, die damals noch unter dem Namen „E“ erschienen sind?
Ich bin nicht begeistert, was aber vor allem mit der Produktion zusammenhängt. Der Klang der frühen 90er-Jahre hatte einfach noch viel an sich, was ich an den 80er-Jahren nicht mochte. Aber es war eine aufregende Zeit: Das erste Solo-Album „A Man Called E“ lief gut, die Single „Hello Cruel World“ lief im Radio. Das zweite Album „Broken Toy Shop“ ist dann aber total gefloppt, auch weil es herauskam, als die Plattenfirma gerade auseinander fiel. Es hatte nie eine Chance. Das war ziemlich deprimierend. Aber es hat Spaß gemacht, Stücke wie „A Most Unpleasant Man“ dann in die frühen Eels-Konzerte einzubauen und ihnen ein Update zu geben.
Hat es dich geärgert, dass deine allererste Veröffentlichung „Bad Dude in Love“, ein Album, das du mit 20 aufgenommen hast und das du nicht einmal in deiner Autobiografie erwähnen wolltest, vor ein paar Jahren plötzlich auf YouTube aufgetaucht ist?
Ich fühlte mich etwas in meinen Persönlichkeitsrechten verletzt, weil ich das Album nur für Freunde aufgenommen hatte. Es war damals toll, eine Schallplatte mit eigenen Songs in Händen zu halten, aber sie waren nie wirklich für die Welt da draußen bestimmt. Andererseits ist es schön, dass die Menschen sich auch für mein obskureres Zeug interessieren…
Man hört schon auf einigen dieser Songs deine Verehrung für Prince heraus. Hat dich sein Tod sehr getroffen?
Es war ein Schock. Prince war einer der ganz Großen. Ohne ihn hätte ich die 80er-Jahre nicht überlebt. Ich habe damals viele Prince-Konzerte gesehen. Er war ein großer Einfluss auf meine eigenen Shows. Prince hat nie deine Zeit verplempert. Er kam, um dich umzuhauen und dich zu überraschen. Er hatte soviel Energie: Erst spielte er diese langen Konzerte und dann auch noch After-Shows in irgendwelchen Clubs. Ganz offensichtlich hat er nicht allzu viel geschlafen. Er hat auch oft mit seiner Band das eben gespielte Konzert auf Video angeschaut, und allen Bandmitgliedern der Reihe nach erklärt, was gut war und was sie noch besser machen können.
Hast du das auch mal gemacht?
Ja, das kam tatsächlich schon vor, vor allem am Anfang einer Tour.
Wenn man sich frühe Eels-Konzerte auf YouTube ansieht, bekommt man den Eindruck, dass du über die Jahre viel selbstbewusster auf der Bühne geworden bist, aber auch, dass man es immer mehr mit einer Kunstfigur zu tun zu haben scheint.
Bis zu einem gewissen Grad, rutschst du in den Rockstar-Modus, wenn du eine Bühne betrittst. Es mag wie Schauspielerei aussehen, aber es fühlt sich sehr natürlich für mich an.
Was denkst du, wenn du dich auf frühen Live-Aufnahmen siehst?
Es ist seltsam. Ich denke, dieser Typ ist so jung. Und ich denke, dass ich nicht mehr dieser Typ bin.
Du hast mal gesungen „One Day The World Will Be Ready For You, And Wonder How They Didn’t See” – der Satz aus dem Song „Spunky“ war sogar groß im Booklet des Eels-Debütalbums “Beautiful Freak” abgedruckt. Hast du das Gefühl, dass du mittlerweile die Anerkennung bekommen hast, nach der du dich einst gesehnt hast?
Ja, das hab‘ ich wohl für mich selbst gesungen. Weißt du, als ich jung war, hatte ich kaum Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Dass ich eines Tages mit dem Auto von Virginia nach Los Angeles gefahren bin, ans andere Ende des Landes, um es ernsthaft mit der Musik zu versuchen, lag einfach daran, dass mir nichts anderes einfiel. Mir war klar, wie gering die Chancen waren, dass gerade ich es schaffen würde. Und die ersten drei Jahre in Kalifornien waren auch wirklich hart. Ich war regelrecht depressiv, weil mir alles so unmöglich erschien. Aber ich habe es weiter versucht. Weiter Songs geschrieben, wenn ich gerade nicht jobben war. Und so wurde ich besser. Und bekam schließlich einen Plattenvertrag. So hat alles angefangen. Dass ich bis heute so viele Alben aufnehmen und veröffentlichen konnte, und dass ich noch immer hier bin ist tatsächlich wie ein Wunder für mich.
Wenn du wählen müsstest: Würdest du eher wollen, dass dein Sohn Musiker wird wie du oder Physiker wie dein Vater Hugh Everett, der die Theorie der Parallel-Universen mitentwickelte?
Vielleicht wäre es eine ganz gute Sache, mal eine Generation zu überspringen, und auf die Physik zu setzen. Ich bin aber froh, wenn er wird, was er möchte. Im Moment ist das Feuerwehrmann. Mal sehen, wie lange das geht (lacht)
https://www.youtube.com/watch?v=8PHbdFsnVtQ
Hast du eigentlich „Das Evangelium der Aale“ (engl. „The Book Of Eels“) gelesen, den Bestseller des schwedischen Journalisten Patrik Svensson?
E: Nein, davon habe ich nicht einmal gehört. Von was handelt es?
Es handelt davon, was für mysteriöse und unerklärliche Tiere Aale noch immer für die Wissenschaft sind. Ich weiß, du hast den Bandnamen Eels aus pragmatischen Gründen gewählt – damit man die Alben im Plattenladen gleich zu deinen Solo-Arbeiten stellen kann – aber ich habe mich gefragt, ob du über all die Jahre vielleicht doch ein Aal-Spezialist geworden bist.
Ich habe tatsächlich nicht allzu viel über den Bandnamen nachgedacht. Aber das Aale sehr mysteriöse Kreaturen sind, weiß ich schon mal. Ich hatte einmal ein Erlebnis, vor einer unserer Shows im „Paradiso“ in Amsterdam. Der Club liegt direkt an einem Kanal. Ich bin nach dem Soundcheck raus vor die Tür gegangen und sah plötzlich einen großen toten Aal vor mir im Wasser auftauchen. Und ich dachte: „Das kann kein gutes Omen sein“.
Wie war anschließend das Konzert?
Tatsächlich sehr gut. So gesehen hat der tote Aal im Nachhinein keinen Aberglauben in mir bestätigt.