Mr. E’s Beautiful Blues: Alle Alben der Eels im Ranking und bewertet
Mit zerknirschter Melancholie, wolfshündischem Humor und jeder Menge „shitty feelings“ erzählt Mark Oliver Everett mit seinen Eels seit „Beautiful Freak“ (1996) die Geschichte seines nicht ganz einfachen Lebens. Eine Retrospektive.
12. Tomorrow Morning (2010) ★★★
Endlich erfasst ihn, den Trauerkloß, den an den eigenen Gefühlen verzweifelnden Waldschrat, doch noch etwas Glück. „Tomorrow Morning“ ist die kolibrileichte Platte, von der niemand angenommen hätte, dass sie jemals von den Eels kommen würde. Der Abschluss einer Trilogie über Himmel und Hölle der Liebe (mit den Vorgängern „Hombre Lobo“, 2009, „End Times“, 2010) schwebt mit „Spectacular Girl“ über den Wolken, labt sich an grausam redundanten Computersound-Experimenten („Baby Loves Me“) und überrascht mit sorgsam kompilierten Synthie-Beats, die an den Electro-Folk von Beck erinnern. Everett vielleicht sogar entspannt: „I Like The Way This Is Going“.
11. Wonderful, Glorious (2013) ★★★
Das Strahlen hält an. Nach „Tomorrow Morning“ kehren die Eels der neuen Lebendigkeit (vorerst) noch nicht den Rücken. Stattdessen gibt es gleich im ersten Song, „Bombs Away“, eine jener humoristischen Volten, mit denen Mark Oliver Everett schon seit jeher seine Miesepetrigkeit zu bekämpfen gedenkt: „I’ve had enough of being complacent / I’ve had enough of being a mouse/ I’ll no longer keep my mouth shut / Bombs away, gonna shake the house“. Ein in sich gekehrter Attentäter auf Abwegen? Blieb „Tomorrow Morning“ unterm Strich zu sehr mit der eigenen Fröhlichkeit verstrickt, erscheint „Wonderful, Glorious“ an vielen Stellen – trotz herb verdroschenem Schlagzeug („Peach Blossom“) und strubbeligen Rockern („Kinda Fuzzy“) – zu freundlich, um dem Werk der Eels etwas Neues hinzuzufügen. Schwermutsperlen wie „On The Ropes“ schüttelt der nimmermüde Songwriter trotzdem wie von selbst aus dem Ärmel.
10. The Deconstruction (2018) ★★★
Eine Liebeserklärung an eine Ehefrau, die gar nicht existiert, ein Schlaflied für den kleinen Sohn, eine Hasserklärung an die beiden Tölen, die seinen geliebten (aber leider kürzlich verstorbenen) Hund Bobby Jr. ersetzt haben: Mark Oliver Everett demontiert sein absurdes Leben auch auf der zwölften Studioeinspielung mit Freude selbst. So gut wie im Titellied („The Deconstruction has begun / Time for me to fall apart“) mit seinen verführerischen Streichern und dem fast ironiefreien Erlösungspathos waren die Eels schon lange nicht mehr. E hat sich ja auch vier Jahre Zeit gelassen und zwischenzeitlich sogar in der Netflix-Serie „Love“ mitgespielt. „Man muss die Realität akzeptieren und beschließen, in ihr glücklich zu sein“, sagt Everett im Interview mit ROLLING STONE – aber wie passt dies zum nostalgisch-kitschigen „The Epiphany“, in dem sich der Sänger in eine glücklichere, weil einfachere Zeit zurücksehnt? Nur eine Dekonstruktion in Anführungszeichen. Aber gewohnt kunstvolle Eels-Hausmannskost.
9. Hombre Lobo (2009) ★★★1/2
12 Stücke über das manchmal schmerzhafte, oft auch süße Verlangen, die Sehnsucht, die Sucht nach dem und den anderen (vornehmlich nach den Frauen): Mark Oliver Everett hat sich für sein siebtes Album einen Propheten-Bart wachsen lassen (als Apotheose für den Hipster-Wildwuchs wollte er es allerdings nicht verstanden wissen) und verwandelt sich mehr als einmal in einen hungrigen, aber immer noch ziemlich einsamen Wolf („Fresh Blood“). Das stampfende, trotzige „Prizefighter“ erinnert an die Loser-Hymnen von „Souljacker“ („Bus Stop Boxer“, „Dog Faced Boy“), „Tremendous Dynamite“ stammt hingegen direkt aus einem nicht ganz taufrischen Pulp-Roman. Seit „Shootenanny!“ haben die Eels nicht mehr so Lo-Fi geklungen – und der Mix aus schrammelndem Blues-Rock („Lilac Breeze“) und zärtlichen Kniefällen („In My Dreams“) ist nahezu perfekt aufeinander abgestimmt.
8. The Cautionary Tales Of Mark Oliver Everett (2014) ★★★1/2
Man muss sich nichts vormachen: Seit „Blinking Lights…“ sind eigentlich alle Studioplatten der Eels nur noch Variationen der bereits bekannten kauzigen Erzählungen, die Mark Oliver Everett allerdings mit bemerkenswerter schriftstellerischer Energie keine Sekunde selbstmitleidig klingen lässt und mit erstaunlichem Einfallsreichtum orchestriert. Dass er neben schon oft besungenen „Series Of Misunderstandings“ auch etwas mitzuteilen hat, verkündet ja schon der Original-Titel seiner bemerkenswerten Biographie („Things The Grandchildren Should Know“). Doch erst mit „The Cautionary Tales…“ wird klar: Der Mann ist natürlich ein Moralist. Ein Kämpfer für das Gute, Schöne und Wahre, der nicht davor zurückschreckt die „Mistakes Of My Youth“ aufzudecken. Im Übrigen der klarsinnigste, schönste Song, den Everett in den letzten zehn Jahren geschrieben hat. Statt im Adidas-Pullover ist der Musiker wieder im Frack über die Bühnen stolziert und geriert sich als Connaisseur. Wohlklingender Optimismus, der Luft lässt für die richtige Portion Zynismus.
7. End Times (2010) ★★★★
„Hombre Lobo“ dürfte für sich genommen die spannendere, kämpferischere Platte gewesen sein, „End Times“ ist aber Mark Oliver Everetts definitive Antwort auf „Blood On The Tracks“ und „Rumours“. Eine gescheiterte Liebe als Zündfunke für die persönliche Apokalypse. Der Kauz malt „A Line In The Dirt“ und sitzt zuhause auf dem Bett, um der Welt endgültig Lebewohl zu sagen („Mansions Of Los Feliz“). Natürlich ist das reuige Selbstbekenntnis, ein einsamerer, spöttischer Wanderer auf Gottes kargem Acker zu sein, der unfähig zu einer echten Beziehung ist, dem Eels-Fan nicht neu. Aber Everett hat in seinem Wohnungskeller mit Vierspurgerät wie selbstverständlich einige der einfühlsamsten Lieder über das Thema aufgenommen, die sich denken lassen – inklusive viriler Blues-Klopper („Paradise Blues“) . Und was bleibt? Viel Missmut und schwarze Galle: „I take small comfort in a dying world/ I’m not the only one who’s feeling this pain“ („Gone Man“).
6. Shootenanny! (2003) ★★★★
Lediglich hingerotzt habe er diese Aufnahmen, weil sein Schlüssel- und vielleicht Lebenswerk „Blinking Lights…“ so viel Produktionszeit benötigte. Aber auch wenn „Shootenanny!“ im Vergleich zu den frühen Großtaten reichlich unsortiert und manchmal auch uninspiriert daherkommt, diese Sammlung enthält einen der wenigen Hits des Waldschrats („Saturday Morning“) und zugleich seine depressivste Nummer („Agony“). Natürlich gibt Everett dem Outsider-Affen unter den Zuhörern Zucker: Frauen, die nicht einmal „Fuck“ sagen? Langweilig! („Dirty Girl“) Musikpreise? Nur was für eitle Gecken! („Fashion Award“). „Rock Hard Times“ wühlt sich schließlich hinein in eine Welt, die dem Eels-Sänger nur noch zum Kotzen vorkommt und in „Numbred Days“ glimmt jene Wehmut, die den Sänger stets bei aller Tristesse über Wasser halten lässt. Natürlich hört man dem Album an, dass die Lieder zu verschiedenen Zeiten entstanden sind und hier geschickt kompiliert erscheinen, um nicht als B-Sides zu versauern. Eine Mogelpackung ist es dennoch nicht, sondern nur einmal mehr die Arbeitsprobe eines der fleißigsten Bergwerker im Stollen des Rock’n’Roll.
5. Souljacker (2001) ★★★★
War „Daisies Of The Galaxy“ noch Abschluss einer bemerkenswerten Trilogie über den garstigen Sensenmann, der Mark Oliver Everett zur Strafe allein zurückließ und ihm alle seine Liebsten nahm, nimmt der Sänger auf „Souljacker“ mit einer gehörigen Portion Wut Fahrt auf, um sich zurückzukämpfen. In „World Of Shit“ heißt es konsequent: „I spent so many days / Just staring at the haze / I think that that’s a book that I don’t have to write again“. Das Unternehmen startet mit Glam-Punch („Dog Faced Boy“), badet in stolzem Orchester-Bombast („Fresh Feeling“) und rockt derbe in „Souljacker Part 1“. John Parish ist ins Studio eingeladen worden, um den Musikern das Tanzen beizubringen. Das ist mal mit bissigem Witz („Teenage Witch“) und mal mit bestialischem Krawall („What Is This Note?“) gelungen. Auf jeden Fall die lauteste, extrovertierteste Platte der Eels, auf der Everett so interessant und vielseitig singt wie nie zuvor und danach. Auch „Souljacker“ ist für Everett lediglich Übergang gewesen zu seinem erst vier Jahre später veröffentlichtem Magnum Opus.
4. Daisies Of The Galaxy (2000) ★★★★
Wer nach „Electro-Shock Blues“ einst die ersten Töne des „Grace Kelly Blues“, jener von warmen Bläsern angetriebenen, sanft-schwebenden Eröffnung von „Daisies Of The Galaxy“ hörte, wollte sicher seinen Ohren nicht glauben. Hatte der Musiker nicht gerade erst den Suizid seiner Schwester und den Krebstod seiner Mutter betrauert und sich dem Schicksal einem wankenden Boxer gleich entgegengestellt? Nun gibt es kitschige Hündchen auf dem Cover – und „Daisies Of The Galaxy“ klingt vom ersten Moment an, als hätte Mark Oliver Everett ein Gegenmittel gegen die bleierne Schwere der Welt gefunden. Auch wenn hier noch alles von Tod und Trauer handelt. Aber es swingt, Streicher und Xylophone malen den „Sound Of Fear“ kunterbunt. Und hin und wieder lässt sich heraushören, dass der Sänger in der Vergangenheit nicht nur Tom Waits und Neil Young, sondern vielleicht auch Randy Newman und Stephin Merritt zugehört haben mag. E beweist überdies, dass man aus einem Titel wie „It’s A Motherfucker“ einen wonnig-weichen Pop-Song machen kann (von wegen Kinderalbum!) und hat mit „Flyswatter“ zugleich noch einen Trademark-Track der Eels geschrieben.
3. Beautiful Freak (1996) ★★★★1/2
Das Manifest eines introvertierten Träumers: Die erste Platte, die auf dem bald wieder niedergestampften DreamWorks-Label erschienen ist, enthält in kompakter Form alle Themen, die Mark Oliver Everett als Künstler noch heute bewegen, von der ewigen Zurückweisung („Guest List“) bis hin zur Vorliebe für Mädchen mit schmutzigem Mundwerk („My Beloved Monster“). Natürlich eine Liebeserklärung an das Anderssein, doch eben keine narzisstische. Einfach macht es sich der Sänger, der zuvor solo als E auftrat (mit den Platten „A Man Called E“ und „Broken Toy Shop“) und sich hier zum ersten Mal von Tommy und Butch unterstützen lassen hat, ganz und gar nicht.
„Life is hard / And so am I / You better give me something / So I don’t die“, lamentiert Everett in „Novocaine For The Soul“, um in „Mental“ schließlich seinen eigenen Wahn offenzulegen: „It’s like I dressed up in my mamma’s clothing / It’s like I’m talking to a voice that doesn’t exist / It’s like I got a wire crossed upstairs / But all I want is just a little truth and that’s it“. Dazu wummert es vergnüglich, jedes Lied hat mindestens eine, wenn nicht gleich zehn geniale musikalische Ideen (alleine die spannungsgeladene Pause im „Shrek“-Track „My Beloved Monster“) zu bieten. Nach der Götterdämmerung des Grunge versöhnen sich hier Pop und Rock auf einer Hochzeit der Verschrobenheiten mit den Lyrics eines Wolfskindes, das allerdings – siehe das brillante, komische, kluge, fast gerappte „Susan’s House“ – seine abgewrackte Umgebung mit Adleraugen beobachtet. Sogar noch besser als Becks „Odelay“. Viel besser.
2. Electro-Shock Blues (1998) ★★★★1/2
Mag „Beautiful Freak“ auch der nicht zu erwarten gewesene Durchbruch für die Eels gewesen sein. Den Menschen Mark Oliver Everett beschäftigte im Anschluss eine Lawine an tragischen Ereignissen, die für gleich mehrere Menschen gereicht hätten und den Sänger in ein finsteres Trauertal stürzten. Plötzlich ganz allein auf der Welt. Einer allein kann keine Familie mehr sein: Auf „Electro Shock Blues“ versucht E die Familienauflösung zu verarbeiten – den Herztod seines Vaters (der Sänger entdeckte den weltberühmten Physiker, dem er später eine eigene Dokumentation widmen sollte, mit 19 Jahren tot im Bett), den Krebstod seiner Mutter und den Suizid seiner Schwester. Die hatte seit vielen Jahren mit Schizophrenie zu kämpfen – und das erschütternde Einstiegslied „Elizabeth On The Bathroom Floor“ findet für diesen sprachlosen Zustand eine kraftvolle Entsprechung. („Laying on the bathroom floor/ Kitty licks my cheek once more/ And I could try/ But waking up is harder when you wanna die/ My Name is Elizabeth/ My Life is shit and piss.“).
2001 verlor Everett übrigens auch noch seine Cousine, Jennifer Lewis, weil sie in der Maschine saß, die am 11. September von Terroristen ins Pentagon geflogen wurde. Fast hätte man meinen können, dass die Eels ihre Ironie verloren haben, doch „Cancer For The Cure“ und „Hospital Food“ (noch so eine starke Metapher!) suhlen sich in schwarzem Humor. Es geht von einer Beerdigung zur nächsten, bis „Last Stop: This Town“ die Vorhänge aufzieht und etwas Licht hineinlässt. Es folgen meditative Skizzen, die der Musiker wohl größtenteils alleine aufgenommen hat. Das abschließende „PS You Rock My World“ markiert den Übergang in eine andere Welt. „Maybe it’s time to live.“1. Blinking Lights and Other Revelations (2005) ★★★★★
Eigentlich hat Mark Oliver Everett alle Alben, die seit 1997 erschienen sind, nur nebenher gemacht, um dieses 33 Kostbarkeiten enthaltende Wunderwerk eines Doppelalbums fertigzustellen, das wie ein Hörbuch-Supplement zu seiner literarisch ambitionierten Biographie „Glückstage in der Hölle“ (man kann es nicht häufig genug sagen, der englische Originaltitel trifft es einfach besser: „Things The Grandchildren Should Know“) erscheint. Zärtlich-traurige Instrumentalstücke („God’s Silence“) treffen auf widerborstige Popsongs („Trouble With Dreams“) und Texte voller Gram und Selbstekel („Last Days Of My Bitter Heart“). Jede Seite steht für einen Lebensabschnitt – mit der vorauseilenden Phantasie, eines Tages zufrieden den Löffel abgeben zu können. Als Gaststars dürfen Tom Waits (per Telefonaufnahme), Peter Buck an der Gitarre und sogar der jaulende Schoßhund Bobby Jr. aushelfen.
Das Konzept funktioniert vom cineastisch-introspektiven Ausgangsthema („Theme From Blinking Lights“) bis hin zur prätentiösen Johann-Sebastian-Bach-Referenz („Dusk: A Peach in the Orchard“) hervorragend. Alles ist auf einen die Welt versöhnenden, gleichwohl melancholischen Wohlklang getrimmt, der das pathetische Grundrauschen, das all die Songs von Everett umgibt (MUSIK KANN AUCH DEIN LEBEN RETTEN!), wie einen perfekt gebackenen Kuchen prächtig aufgehen lässt. Die Ingredienzien – Lakonie, absurde Komik, Weltschmerz – werden nicht langweilig, auch weil die Eels nach jeder schmerzhaften Blessur wieder einen Ausweg finden („Theme for a Pretty Girl That Makes You Believe God Exists“).„Es war eine lange, einsame Reise, auf der ich vielen ungläubigen Zweiflern begegnete“, sagte der Musiker zu seinem Lebenswerk, das er dann auf den Bühnen dieser Welt mit Orchester aufführen durfte. „Und es hätte mich fast mehr als einmal getötet.“ Ein Glück hat es das nicht, sonst wäre der Welt der vielleicht ergreifendste Eels-Song für immer vorenthalten worden: „I’m Going to Stop Pretending That I Didn’t Break Your Heart“.
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