Edwyn Collins – New York City, The Mercury Lounge; Björk / Goldie – Hamburg, Sporthalle; Mojo Nixon – München, Backstage
New York City, The Mercury Lounge Out 50 Straßen weiter nördlich werden die „MTV Music Awards“ verliehen. In der Radio City Music Hall turnen Hootie & The Blowfish, Madonna und Michael Jackson auf der Bühne herum und geben Küßchen, und wären wir in Europa, dann säße Edwyn Collins zumindest im Publikum – verstohlen in sich hineinschmunzelnd, versteht sich. Aber wir sind in Amerika, in Manhattan, und hier gilt der Schotte ungeachtet seines Überraschungs-Erfolges als das, was er seit 13 Jahren ist: ein famoser Songwriter – von wenigen gekannt, von denen aber verehrt Deshalb kann er in der Mercury Lounge, einem freundlichen Qub am Rande der unfreundlichen Lower East Side, auch tun, was er wilL Die 200 Besucher sind auf seiner Seite – und waren es schon vor „A Girl Like You“. Nach ein paar nonchalant hingeschrammten Akustik-Songs holt Edwyn Collins seine Band für das ächzende und ätzende „Campain For Real Rock“ auf die Bühne. Während er mit verschmitzter Miene die Mechanismen des Business freilegt, haut Paul Cook einen harten und präzisen Beat. Ein symbolträchtiges Bild – wer schließlich könnte mehr über den Widerspruch von Wahrhaftigkeit und Rock-Musik erzählen als ein Mitglied der Sex Pistols? Gegen Ende des Konzerts streut Edwyn Collins immer mehr alte Hits seiner Band Orange Juice ein. JDying Day“ erstrahlt in neuem Glanz, „Felicity“ bimmelt hübsch wie ehedem, und bei „Falling And Laughing“, der letzten Zugabe und schönsten aller Pubertätshymnen, werden Tränen der Rührung aus den Augen gewischt. Am nächsten Tag berichtet eine Kollegin, sie habe bei der Verleihung der MTVAwards kurz neben Madonna gestanden. Die sei ja viel kleiner, als man es sich vorstelle. Ich stand ganz dicht vor Edwyn Collins – der ist genauso groß, wie man ihn sich vorstellt. Christian Buss BJORK/GOLDIE Hamburg, Sporthalle Am Anfang ist die Irritation. Lichtkegel rollen über das Publikum, ne Frau singt mit unendlich gedehnter Stimme nur ein Wort: „Timeless“. Zwei Minuten geht das so – oder auch zwei Stunden, wer weiß das schon so genau. Dann beginnt ein stetig auf- und abschwellendes Breakbeat-Getöse. Als es fast verklungen ist, applaudiert das Publikum höflich. Doch der Track, nennen wir ihn Jungle-Suite, läuft weiter. Goldie und sein Clan bestreiten das Vorprogramm für Björk, und da deren Anhänger verständiger sind als die Leute, die sich sonst auf solchen Großveranstaltungen rumtreiben – sie kicken vor der Halle nicht mit halbvollen Bierdosen und reihen sich am Eingang in die Schlange ein -, versuchen sie sogar, die schlingernden Stakkati des englischen Studio-Genies auf sich wirken zu lassen. Lobenswert, zumal Goldie auf spektakuläres Gebaren verzichtet Er beugt sich im Hintergrund über seine Maschinen, vorn hüpfen ein paar Freunde und die Sängerin Diane Charlemagne herum. Ganz anders Björk. Die Bühne gehört ihr, oder auch: Sie gehört der Bühne. So allein, so glücklich, schießt es einem durch den Kopf, ab sie vom Nebel umwoben „Headphones“ anstimmt. Gleich mit dem ersten Song wird deutlich, worum es der Isländerin geht: ein Verhältnis zu der Welt zu schaffen, in der andere Menschen allenfalls als Zuschauer vorkommen – die bewundernd zu ihr aufschauen, wenn sie zu „Army Of Me“ von einem zum anderen Bühnenrand sprintet. Die Musiker sind ins Hinterland verbannt Nur manchmal darf der Akkordeonspieler ins Scheinwerferlicht treten. Etwa in Momenten, da er die Parts eines Streichorchesters übernimmt oder – wie in dem Swing-Stück „Blow A Fuse“ die einer ganzen Bigband. Oder wenn er das World Saxophon Quartet für den „Anchor Song“ imitiert. Björk singt dazu wie ein Seestern auf dem Meeresboden. Bleibt die Frage: Kann Aurismus antrainiert werden? Christian Buss München, Backstage Ein alter Mann stürmt auf die Bühne und plärrt: „My name is Mojo Nixon – and I don’t give a fuck about nothing.“ Klingt echt Der Mann sieht aus wie ein übriggebliebener Hardcore-Rock’n’Roller. Könnte allerdings auch der Roadie sein. Aber dann fangt er an, über mutierte Föten von weiblichen Popstars zu singen, und fuhrt sich auch sonst auf wie die preisgekrönte Kreuzung zwischen einer Wildsau und Howlin‘ Wolf. Also doch Mojo. Ganz schön alt geworden, so mit Bierbauch, grauen Haaren und Koteletten wie der Kapitän der Onedin-Linie. Aber sein Kumpel Jello Biafra soll ja auch nicht mehr so fit aussehen. Die Punks von früher sitzen inzwisehen anscheinend nur noch vor dem Fernseher und knallen sich und ihre Kinder mit Sport aus dem Kabel zu. Mojo tut das sogar nachweislich. Und deshalb schwindet auch der letzte Zweifel an seiner Identität, als er München grüßt „home of the 1860 football team“. Bayern-Fans mögen keinen Rock’n’Roll. Bayern-Fans mögen DJ Bobo. Mojo mag DJ Bobo auch. Am liebsten von hinten. Überhaupt scheint der sexuelle Notstand im Hause Nixon ziemlich ernst zu sein. Sonst hätte er es auch nicht nötig, immer noch dieses todtraurige Lied über seine vibratorabhängige Frau zu bringen. Andererseits lamentiert er nur kurz darüber, daß die Frauen im Publikum wahrscheinlich wieder mal alle gegen ihren Willen hier sind. Und läßt sich auch nicht davon abhalten, auf die Bühne zu rotzen oder einfühlsame Worte zu McDonald’s oder Calvin Klein zu finden. Von der Aussage her haut das niemanden mehr vom Hocker, aber so dialektisch darf man das auch nicht sehen: Mojo kocht auf einem ganz anderen Planeten. Aber er gibt den Leuten das Gefühl, ihm ganz persönlich willkommen zu sein. Jürgen Thpel