edition suhrkamp digital – Der digitale Regenbogen
Der amerikanische E-Book-Boom wird auch Deutschland erreichen. Die edition suhrkamp digital reflektiert bereits die neuen Lesegewohnheiten.
In Europa hat man immer noch das Gefühl, digitale Lesegeräte wie das iPad oder der Amazon-Kindle seien eher ein modisches Accessoire als die Zukunft der Buchbranche. Und die Zahlen scheinen das zu bestätigen. Gerade mal 0,7 Prozent der Verlagsumsätze werden laut einer Studie von Price Waterhouse Cooper bisher mit E-Books gemacht. Doch der Aufsichtsratsvorsitzende der Buchladenkette Thalia, Michael Busch, rechnet laut der Computerzeitschrift „c’t“ in den nächsten drei Jahren mit einer Steigerung auf zehn Prozent. Die Entwicklung auf dem amerikanischen Markt scheint ihm da recht zu geben. Dort verdoppelt sich die Zahl der E-Book-Reader stetig von Jahr zu Jahr. Doch was bedeutet dieser Wandel der Rezeptionsgewohnheiten für den Buchmarkt – und vor allem: Was bedeutet er für die Literatur?
„Wir glauben, dass durch die Lesegeräte die Grenzen zwischen langem Artikel und kurzem Buch zunehmend verschwimmen“, erklärt Heinrich Geiselberger, 34, der beim Suhrkamp Verlag als Lektor arbeitet und unter anderem für die vielversprechende neue Reihe „edition suhrkamp digital“ verantwortlich ist. In den zum Preis von vier bis sieben Euro sowohl physisch als auch digital erscheinenden Bänden werden auf jeweils 40 bis 90 Seiten Texte zu aktuellen Themen veröffentlicht, die man – so der Verlag – „auf der Bahnfahrt von Berlin nach Hamburg“ durchlesen kann. So etwa eine fantastische Reportage des US-Autors William T. Vollmann aus der Sperrzone um Fukushima, eine Sonderausgabe der New Yorker Literaturzeitschrift „n+1“ zur Occupy-Bewegung, ein Essay des Wirtschaftsexperten Heiner Flassbeck zur Finanzkrise und – quasi als Singleauskopplung – ein Kapitel aus dem „edition suhrkamp“-Band „Bluescreen“ des US-Journalisten Mark Greif. „Neue Bücher für eine neue Zeit“ lautet der Claim dieser Reihe.
Es ist wohl kein Zufall, dass drei der vier genannten Titel amerikanischer Provenienz sind. „Wir haben ein gewisses Faible für amerikanischen Long-Form-Journalism, für den es in Deutschland im Prinzip – abgesehen vom, Merkur‘ vielleicht – kein Forum gibt“, so Geiselberger. „Texte, wie man sie aus dem, New Yorker‘ kennt, dem, Atlantic Monthly‘ oder der, New York Review of Books‘. Für klassische Bücher sind sie zu kurz, für den, Stern‘ oder das, SZ-Magazin‘ sind sie zu lang.“
Nicht ausgeschlossen, so Geiselberger, dass diese Form durch Reihen wie „edition suhrkamp digital“ nun auch unter deutschen Autoren populärer wird. „Vielleicht kann man das so auch in Deutschland anstoßen. Das wäre natürlich super. Irgendwo muss die Begeisterung für Zeitschriften wie den, New Yorker‘ auch hierzulande ja herkommen.“
Die aktualitätsbezogene Planung, das Aufspüren von Trends und Themen, die kurzfristige Akquise von Autoren, die schnelle Umsetzung – die Arbeit eines Verlagslektors scheint sich in einem Projekt wie diesem der eines Zeitschriftenredakteurs anzunähern. „Die Reihe macht Spaß, weil alles schneller geht, flexibler ist“, sagt Geiselberger. „Das ist für einen Lektor eine vollkommen neue Erfahrung. Normalerweise haben wir bei Suhrkamp einen Vorlauf von vier Monaten, und hier sind wir jetzt eben bei gerade mal einem.“
Natürlich haben, bei allen inhaltlichen Erwägungen, auch die Erfolge von Manifesten wie Stéphane Hessels „Empört euch“ und „Engagiert Euch!“ aus dem Ullstein Verlag die Verlage dazu bewogen, verstärkt in kürzeren, aktualitätsbezogenen Texten zu denken. Wenngleich Geiselberger erklärt, dies habe bei der Konzeption der „edition suhrkamp digital“ eine untergeordnete Rolle gespielt.
„Wir hatten ja schon immer kurze Bücher im Programm, aber das waren dann meist große Essays und Reden. Das lief als, edition suhrkamp‘-Sonderdruck. In der alten Ausstattung wurde das allerdings nicht als aktualitätsbezogen wahrgenommen.“ Deshalb habe man nach einer neuen Form gesucht. Bereits im vorigen Jahr erschienen bei Suhrkamp zwei erfolgreiche, umfangreiche Bände zu Wikileaks und zum Guttenberg-Skandal, die sich optisch von der bisherigen, edition suhrkamp‘ abgrenzten. Die, edition suhrkamp digital‘-Bändchen spielen zwar wieder mit den charakteristischen Regenbogenfarben, doch Format, Foto und Schrift geben ihnen eine jüngere, schnellere Anmutung. „Es sollte sofort signalisiert werden, dass es hier um eine Form zwischen Buch und Magazin geht. Und die Schrift musste so groß sein, dass man den Titel im Amazon-Kindle-Shop gut lesen kann. So ein Buch muss sich über das Cover selbst erklären und bewerben können.“
Reportagen, Dossier und Manifeste versammeln die Bände der Reihe „edition suhrkamp digital“. Bisher erschienen: „Rappen lernen“ von Mark Greif, „Zehn Mythen der Krise von Heinrich Flassbeck, „Sperrzone Fukushima“ von William T. Vollmann, „Occupy!“ von Autoren der Zeischrift „n+1“ und (nicht im Bild) „Weihnachten. Das globale Fest“ von Daniel Miller.