Eckensteher am Wendepunkt
The Roots erzählen in ihren schlauen Philadelphia-Raps von der Flüchtigkeit des Ruhms und stehen selbst vor dem Durchbruch in den HipHop-Mainstream
Verschwitzt hockt Ahmir Thompson im Ankleideraum und beisst in einen Melonenschnitz. Eben hat der Schlagzeuger mit seiner Band The Roots in einem College-Hörsaal von Ithaca, New „York, knapp 2000 weiße Jugendliche zur Raserei gebracht „Schwarze Kids mögen uns nicht, weil wir keine Sexprotze sind, nicht kiffen und keine Bitches verprügeln“, schnalzt Thompson – The Roots erfüllen die Rap-Klischees nicht Thompson, 34, ist der Chefdenker von Philadelphias vitaler Szene, wo Rap und R&B, Party und Politik lustvoll ineinanderfließen. Ein unförmiger Teddybär, dessen Afrofrisur in alle Richtungen wuselt. Mit ihrem siebten Album „The Tipping Point“ bringt seine Gruppe das Dilemma auf den Punkt, in dem sich HipHop bewegt: Er verspricht jedem Größe, und doch ist nicht jeder seines eigenen Glückes Verseschmied.
Zum Auftakt lassen die Roots in einem knisternden Sample „Everybody Is A Star“ von „Sly & The Family Stone“ aufblitzen, zum Schluss zitieren sie Andy Watbols Bemerkung, wonach jedem eine Viertelstunde Ruhm zustehe. Die Losung „Everybody is a star“ war 1968 getränkt von schwarzem Selbstbewusstsein, der Refrain wie eine gereckte Faust: Alle Menschen sind gleich. Aus demselben Jahr datiert Warhols zynische Antithese, zwar werde jeder berühmt, aber nur flüchtig. Wie im Lebensstil HipHop: Jeder fühlt sich stark, wenn er mit einer teuren Wu-Wear-Hose, aus welcher der Bund des Hilfiger-Slips lugt, im Passgang durch West-Philadelphia schlurft. Doch die Faszination ist trügerisch, kaum einer schafft es.
Die Roots selber dürften nun zu Stars werden. Das grandiose letzte Album „Phrenology „langte nicht zum Durchbruch, weil die Plattenfirma MCA kurz nach Veröffentlichung zusammenbrach.
Auf dem neuen Label Geflen treten sie aus der Nische der intellektuellen Anti-Stars heraus, stellen den Rapper Black Thought erstmals als Frontmann in den Vordergrund. Er ergeht sich in den genretypische Prahlereien, wendet die Selbstbespiegelung jedoch listig in Selbst- und Gesellschaftskritik. Und schildert die Sachzwänge des schwarzen Amerikas in der Ata Bush: Für viele junge Schwarze bleibt, obwohl sie den Krieg ablehnen, die Armee der einzig mögliche Arbeitgeber.
Seinen tippingpoint, seinen Wendepunkt, erlebte Malcolm X im Gefängnis, als er erkannte, dass er sich politisch würde engagieren müssen – sein Knastfoto ziert deshalb das Cover. Die Roots zitieren Marvin Gayes soziales Manifest “ JVhat’s Going On „und kommen seiner Leistung selbst sehr nahe: Black Music, die klug ist und trotzdem unerhört sexy. Sie lassen Funkbässe japsen, Rockgitarren jaulen, Soul-Chöre jubilieren. Weil sie mit pumpenden, fesselnden Beats aber zugleich mehr denn je dem HipHop huldigen, wird „The Tipping Point“ nicht nur weißen Studenten gefallen, sondern auch den schwarzen Kids, denen die aufklärerischen Raps eigentlich gelten.
„Neun von zehn jungen Schwarzen in den USA wachsen in schreiender Armut auf“, sagt Thompson. Rap und Basketball sind die einzigen Auswege. „Doch diese Träume zerschlagen sich meist, dann werden sie Crackdealen 70 Prozent meiner Schulkameraden sind im Knast“ Von wegen „Everybody is a star“. BÄNZ FRIEDLI Rock & Roll