RS-Interview

EarthGang im Gespräch: „Man ist auch stark, wenn man Hilfe bekommt“

Wir haben mit dem HipHop-Duo aus Atlanta über ihr kommendes Album „Ghetto Gods“, Rassismus und eine neue Sensibilität gesprochen.

Olu alias Johnny Venus, mit bürgerlichem Namen Olu O. Fann und WowGr8 alias Doctur Dot mit bürgerlichem Namen Elan Undrai Parker, sind EarthGang. Eine Vielzahl an Namen, die WowGr8 in ihrer Single „All Eyes On Me“ kurz und knapp erklärt: „WowGr8 for the fans, call me Doc if we friends“.

 

Das Duo, das sich bereits im Alter von 13 Jahren in der High School kennenlernte, macht seit 2008 Rap. Drei EPs und ein Album in Zusammenarbeit mit dem HipHop-Kollektiv „Spillage-Village“ später wurde auch J. Cole auf die beiden aufmerksam und nahm sie bei seinem Label „Dreamville Records“ auf. Seitdem veröffentlichten die Musiker bereits zwei Alben – nun folgt ihr drittes „Ghetto Gods“. 

In der Londoner Bar „Colours“ spielten EarthGang ihre kommende LP bereits vor Erscheinen live. Als Mini-Tour, angefangen in den USA, wählten die beiden Rapper das „Colours“ als Station in Europa. Da sie den eigentlichen Release von „Ghetto Gods“ im Januar um einen Monat nach hinten schieben mussten, nutzten Olu und WowGr8 die dafür vorgesehene Tour trotzdem, verkürzten sie und ließen ihre Zuschauer*innen live zum ersten Mal in die Platte reinhören.

Dadurch wurde es zu einem der seltenen Konzerte, bei dem kein Fan mitrappen konnte. Statt lautem Mitschreien musste aufmerksam gelauscht werden. Wir trafen EarthGang am Tag danach im Mondrian Hotel in London zu einem Interview. Trotz Konzert am Vorabend beantworteten die Musiker uns Fragen zu „Ghetto Gods“ und nutzten die ausgelegten Hotelblöcke prompt, um aufmerksam die Anwesenden in Form eines Portraits zu zeichnen. 

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EarthGang-Konzert im „Colours“

ROLLING STONE: Ihr wart zusammen mit der Dreamville-Crew Teil von J. Coles „Revenge Of The Dreamers III“ und habt 2019 mit über einhundert Künstler*innen daran gearbeitet. Wie war diese Erfahrung für Euch?

Olu: Es war wirklich cool und hatte etwas von einem Sportereignis wie die Olympischen Spiele. Aus der ganzen Welt kamen Leute, um ihr Können zu zeigen und dabei trotzdem Spaß zu haben. Der Sinn dahinter und das Schöne daran war, dass alle anwesend sein mussten. Wir haben kaum geschlafen und manche Nächte sogar im Studio. In der Zeit sind viele gute Freundschaften entstanden. Und wir haben das Album im Tree Sound Studio aufgenommen, einem legendären Studio in Atlanta, in dem bereits viele unglaubliche Leute Musik gemacht haben.

Nun veröffentlicht Ihr „Ghetto Gods“ und thematisiert darin unter anderem Politik, Erfolg und eure Herkunft. Wie würdet Ihr das Album beschreiben?

WowGr8: Ich würde sagen, es ist sehr klar und durchdacht. Es ist abseits der Tour in der East City entstanden. Und es war das erste Album seit langem, bei dem wir zuhause bei unseren Familien, den Freunden mit denen wir aufwuchsen und den Einheimischen waren. Diese Atmosphäre hat auch das Gefühl der Präsenz in die Musik zurück gebracht. 

Was war Euch beim Entstehungsprozess am wichtigsten?

Olu: Unnötige Dinge wegzuschneiden – wie zu lange Verse (lacht). Alles, was nicht direkt zum Bild, zur Bedeutung oder Stimmung des Liedes beiträgt, haben wir sofort gekürzt. Ich glaube, das Wichtigste war den schnellsten und direktesten Weg zu finden, um das zu sagen, was man sagen will. 

Weshalb wolltet Ihr dem Wort „Ghetto“ eine positive Bedeutung verleihen?

Olu: Weil es für Menschen wichtig ist, ein positives Selbstbild zu haben. Besonders, wenn man mit nachteiligen Umständen aufgewachsen ist, die man nicht immer unter Kontrolle hat. Eine weitere Sache ist, dass wir selber auch aus dem Ghetto kommen und wir sind heute da, wo wir sind, weil wir aus Atlanta kommen, wo Schwarze alles tun und sein können, was sie wollen. Also war es wichtig auch unseren Beitrag zu leisten und den Leuten dort zu zeigen, dass wir durch sie inspiriert worden sind.

EarthGang im Interview

In Eurer ersten Single-Auskopplung „American Horror Story“ rappst du (WowGr8): „There goes the neighborhood (Wow, that’s crazy people really used to say that, that’s funny cause) Now they coming back to take the hood“. Welche Bedeutung steckt dahinter? 

WowGr8: Es ist ein Witz über Gentrifizierung. Ich weiß, dass es ein globales Phänomen ist, aber in Amerika ist es ein ziemlich einfacher und sich wiederholender Kreislauf: Man steckt Schwarze in einen Teil der Stadt, der nicht der Beste ist, aber günstig. Dann kauft man diesen zurück und verdrängt Familien aus ihren Häusern. Ich habe miterlebt, wie das Haus meiner Großmutter weggenommen und sie vertrieben wurde. Das ist etwas Alltägliches, was wir alle mitbekommen und ich spreche im Allgemeinen immer das an, was ich sehe.

Ist das auch der Grund, weshalb Ihr den Song verfasst habt?

Olu: Der Song wurde ursprünglich im Sommer 2020 geschrieben. In der Zeit gab es viele Unruhen und eine Menge George-Floyd-Proteste. Als die Polizei dann in Georgia auf Leute geschossen hat, wurde uns klar, dass wir inmitten einer lebensverändernden Pandemie immer noch mit Rassismus zu tun haben. Also haben wir unser Bestes getan, um dieses Gefühl in Musik umzusetzen.

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„All Eyes On Me“ thematisiert auch die Bewegung und Ihr macht klar: „Black Lives Matter“. Findet Ihr denn, dass sich Strukturen in Amerika seitdem verändert haben?

WowGr8: Ich will ehrlich sein (lacht), an der Basis hat sich gar nichts verändert. Es gibt jetzt ein wenig mehr soziales und performatives Mitgefühl, aber wenn mich ein Polizist anhält, schlägt mein Herz immer noch zehnmal schneller, weil ich denke, dass ich wahrscheinlich sterben werde. Und wenn er mich erwischen sollte, wird ihm deswegen nichts passieren. Das ist die Realität. Sicherlich kann sich etwas ändern, und ich sage nicht, dass das kein Anfang ist, aber man muss viel mehr geben, um wirkliche Veränderungen zu erreichen. 

Wie empfindet Ihr den Rassismus in Europa?

WowGr8: Es ist anders – wie unterschiedliche Kugelgrößen. Aber egal, wie groß die Kugel ist, am Ende wird man trotzdem erschossen. In Tennessee und Alabama haben mich weiße Personen bereits als n***** bezeichnet. Hier drüben ist mir das zwar nicht passiert, aber ich habe eine andere Art von Rassismus erlebt. Einmal hatten wir auf Tour einen Bus, der nur eine Toilette hatte, weshalb wir manchmal anhalten mussten. Ich ging in ein Hotel und fragte, ob es in Ordnung sei ihre Toilette zu nutzen. Man sah mich direkt komisch an und warf mich raus. Ich weiß genau, woher das kommt: Die wollten keine Schwarzen in ihrer Lobby haben. Deswegen war ich nicht überrascht. Rassismus ist definitiv immer noch existent. 

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In „Strong Friends“ erklärt Ihr, dass man sich nach diesen erkundigen und sensibel für sein Umfeld sein soll. Woran erkennt man, dass jemand ein offenes Ohr braucht, wenn es nicht mitteilt wird?

WowGr8: Man muss zuhören. Meine Mutter hat immer gesagt, dass man nicht umsonst zwei Ohren und nur einen Mund hat. Manchmal, wenn Menschen leiden, wissen wir das, auch wenn sie es nicht die ganze Zeit kommunizieren. Wir wollen es nur nicht sehen, weil wir eine gute Zeit haben. Aber inmitten all des Chaos, in dem die Welt zu verschwimmen scheint, können wir nicht alles alleine machen. Und niemand ist deswegen minderwertig. Man ist auch stark, wenn man Hilfe bekommt, die man sonst gibt. Das ist der Sinn des Lebens und der Menschen: Zusammenzuarbeiten. 

Neigt Ihr selbst auch dazu der „starke Freund“ zu sein?

WowGr8: Oh ja! Ich meine, ich habe mich immer als solchen betrachtet. Aber das heißt nicht, dass ich nicht auch meine Momente habe. Zwar bin ich als Erstgeborener meiner Mutter mit vielen kleinen Brüdern und Cousins oft derjenige, der das sein muss, aber ich brauche es manchmal auch, meine Familie und Freunde anzurufen und zu erklären, was ich gerade durchmache. 

EarthGang im Londoner Hotel

Welche Message sollen Hörer*innen von „Ghetto Gods“ mitnehmen?

WowGr8: Ich möchte, dass sie sich darauf einlassen. Es soll gut klingen. Wenn man keines der Wörter versteht, ist das in Ordnung. Die Wörter sind nur zusätzliche Schichten und jeder fasst sie auf eine andere Weise auf. Also soll man die Botschaften verstehen, die man hören möchte. Das Wichtigste dabei ist, dass es sich gut anfühlt und man Lust bekommt, es immer wieder anzuhören.

Michelle Auerbach
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