Dylan Revisited
Stoff für Dylanologen: Drei neue Bob-Bücher geben detaillierte Einblicke in Dylan-Songs und ihre Entstehungsgeschichte.
„Oh no! Not another Bob Dylan book!“ – so nannten Patrick Humphies und John Bauldie vor gut 20 Jahren voller Selbstironie eines ihrer Coffeetable-Dylan-Bücher. Und sie wussten genau.- Dieses Buch war auch nur wieder eine von vielen nicht besonders in die Tiefe gehenden Text- und Bildsammlungen über den Mann aus Minnesota, bei denen man sich in der Tat fragte: Wer braucht noch einen Reader’s Digest, wo doch schon alles an Gemeinplätzen zum Thema gesagt ist?
Inzwischen ist das Schreiben über Dylan zum Glück auf einem anderen Niveau angekommen: Die großen Biografien (Sounes, Shelton, Heylin) sind geschrieben, mit „Chronicles Vol. 1“ liegt Teil 1 der Dylan-Erinnerungen vor (ob weitere Teile folgen, ist unklar), jetzt kann man sich speziellen Aspekten in der Dylan-Forschung zuwenden. Drei der wichtigsten Neuerscheinungen seien hier kurz vorgestellt:
Derek Barker, Herausgeber der seit 1985 erscheinenden Dylan-Zeitschrift ISIS, beschäftigt sich in „Bob Dylan Under The Influence – The Songs He Didn’t Write“ ausschließlich mit dem umfänglichen Song-Kanon an Fremdtiteln, den Dylan im Lauf seiner Karriere gecovert hat, immerhin rund 550 Songs unterschiedlichster Provinienz, von Country- und Gospel-Standards über Folk-Traditionals bis zu obskuren Bluesnummern, die über die Jahre in das Live-Repertoire. aber auch den Studio-Output Dylans eingeflossen sind, hier besonders auffällig bei den „Basement Tapes“. den beiden akustischen Alben „Good As I Been To You“ (1992) und „World Gerne Wrong“ (1993) sowie beim 2006er Album „Modern Times“. Jeder dieser rund 500 Songs wird ausführlich vorgestellt, musikhistorisch und in seinem Bezug zu Dylan analysiert. Label-Abbildungen sowie Künsterfotos sorgen dafür, dass das Unternehmen nicht allzu sehr ins Akademische abdriftet. Dass Dylan bei seinen Quellen nicht auf zeitgenössische Autoren wie Warren Zevon oder John Hiatt verzichtet, ist bekannt – den gleichen wilden Stilmix kultiviert Dylan ja auch als DJ bei seiner „Theme Time Radio Hour“. Jedenfalls ist Barker ein grundlegendes Werk über Roots-Musik gelungen – und das gilt, selbst wenn der Dylan-Bezug fehlen würde.
Ein ebenso grundlegendes Werk, allerdings zu einem etwas anderen Themenkomplex, ist Clinton Heylins „Revolution in The Air – The Songs Of Bob Dylan 1957 -1973“, der erste Teil einer auf zwei Bände angelegten Untersuchung zur Entstehungsgeschichte sämtlicher von Dylan geschriebenen Songs. Heylin, der sich neben seiner zu Recht gelobten Dylan-Biografie „Behind The Shades“ (2001) bereits früher mit der Grundlagen-Forschung zu Dylans Aufnahmesessions einen Namen gemacht hatte, geht in seinem neuen Buch einen ungewöhnlichen, aber doch lohnenswerten Weg: Er analysiert das Dylan-CEuvre in der genealogischen Reihenfolge, von den ersten nie offiziell zur Veröffentlichung gekommenen Werken der Prä-Columbia-Ära (1957 -1961) bis (in diesem ersten Band) zum 1973er Album „Planet Waves“. Insgesamt 300 Songs (rund die Hälfte davon nicht auf den regulären Alben veröffentlicht) werden in der Reihenfolge ihrer von Heylin rekonstruierten Entstehungsgeschichte beschrieben und analysiert. Nun mag man mit Recht fragen, was es dem Gelegenheitshörer an Erkenntnisvorteil bringt, wenn er weiß, dass „Chimes Of Freedom“ genau elf Tage vor „Mr. Tambourine Man“ geschrieben wurde und das so gar nicht so recht in den Dylan-Kanon passende Rock’n’Roll-Stück „Mixed-Up Confusion“ (1962 auf Geheiß seines damaligen Managers Albert Grossman als Single veröffentlicht) direkt im Anschluss an „Don’t Think Twice, It’s All Right“. Für Dylan-Fans aber sind solche Analysen Manna, die das Werk des Musikers erst richtig erschließen. Band 2 soll 2010 folgen.
Der Kunsthistorikerin und Generaldirektorin der Chemnitzer „Kunstsammlungen“, Ingrid Mössinger, hat die Dylan-Welt viel zu verdanken: Immerhin gelang es ihr, die weltweit erste Ausstellung von Dylan-Zeichnungen („The Drawn Blank Series“) in ihr Museum in die sächsische Provinz zu holen. Insgesamt 322 dieser zu Aquarellen und Guachen umgearbeiteten Reiseskizzen lieferte Dylan bei Ingrid Mössinger ab, einen Großteil davon präsentierte das renommierte Chemnitzer Museum ab Oktober 2007 in einer von den Weltmedien beachteten Austeilung. Parallel fand eine fünfteilige Vortragsreihe im Museum statt, die nun in dem üppig ausgestatteten Band „Bob Dylan -.5 Songs“ gesammelt vorliegt.
Diese Analysen geschehen manchmal literaturwissenschaftlich, manchmal mit musikhistorischem oder kunsthistorischem Ansatz – was den Autoren Detering, Vesely, Ette, Steinfeld und Sabin allerdings gemein ist, ist eine immer sehr persönliche und individuelle Herangehensweise an die jeweiligen Songs. Und diese Wurzelforschung nach den jeweiligen Ursprüngen dieser fünf Songs eröffnet auf faszinierende Weise auch gleichzeitig den Bezug zum bildnerischen Werk des Künstlers. Das ja – siehe „Writings And Drawings“, siehe „Self Portrait“ und „Planet Waves“, und siehe nicht zuletzt „Chronicles“ – immer schon im verborgenen schlummerte, „l’ve always painted, l’ve always held on to that one way or another.“ So der Meister in seinem 1978er „Playboy“-Interview, verbindlich/unverbindlich wie immer.
Derek Barker: Bob Dylan Under The Influence – The Songs He Didn’t Write. Chrome Dreams Publications UK 2008. Paperback 508 Seiten ca. 16 €
Clinton Heylin: Revolution In The Air. The Songs Of Bob Dylan, 1957 – 1973. Chicago Review Press/A Cappella Books USA 2009. Hardcover 482 Seiten ca. 23 €
Ingrid Mössinger/Wolfram Ette (Hg.): Bob Dylan – 5 Songs. Verlag Kerber Art, Bielefeld 2009. Hardcover 288 Seiten ca. 39 € (als Museumsausgabe 22 €)