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Birgit Fuß fragt sich durchKolumne

Dürfen Sängerinnen auch mal zurückhaltend sein?

Das Licht bleibt an! Im Stillen hat Carla Torgerson ihr zweites Soloalbum veröffentlicht.

Wenn Carla Torgerson und Chris Eckman früher gemeinsam Interviews gaben, konnte man sich darauf verlassen, dass sie genau wissen, wer sie sind und was sie können und wollen. Eckman schrieb die Songs und schob die Geschäfte an, Torgerson sang, mal allein, mal im Duett mit ihm – so bezaubernd, dass The Walkabouts sogar fast mal Stars geworden wären. Damals, 1996, als es noch Musikfernsehen gab und „The Light Will Stay On“ ständig zu sehen war.

Doch als „Frontfrau“ sah sich die Amerikanerin nie, sie eignete sich nicht für Show-Effekte, und die Bühnen beherrschte sie allein mit ihrer Stimme. Vielleicht waren deshalb manchmal sogar die Auftritte im Duo, als Chris & Carla, noch schöner als die der Walkabouts – im kleinen Rahmen strahlte sie umso heller. Das gilt auch für ihr zweites Solowerk (nach „Saint Stranger“ von 2004), „Beckonings“. Fünf Songs hat Carla Torgerson dafür selbst geschrieben, vier Lieblingslieder dazu ausgesucht, in drei Tagen aufgenommen – bloß keine großen Umstände machen.

Als The Walkabouts vor 13 Jahren ihr letztes Album, „Travels In The Dustland“, veröffentlichten, erzählte Carla schon, dass sie „genug Leben zu erledigen“ habe, ans Musikaufnehmen dachte sie auf ihrer urbanen Farm in Seattle eher selten. In den vergangenen Jahren kam ihr allerdings noch viel anderes dazwischen: 2015 brach sie sich den Fuß, im Jahr darauf das rechte Handgelenk und dann noch ein Bein. Als sie endlich so weit war, mit einer Band neu anzufangen, kam die Pandemie.

Keine Show-Effekte, nur berührende, elegante Songs

Aber jetzt! „Beckonings“ ist schon im Frühherbst erschienen, doch es gab keine Promotion dafür, deshalb musste ich es erst auf Bandcamp entdecken. Es passt zu Carla Torgerson, dass sie sich nicht aufdrängt, sondern sich finden lässt. Eigentlich müsste eine Frau mit so einer Stimme wirklich ein Star sein – immer noch klingt sie so klar und rein, gleichzeitig hat ihre völlig ungekünstelte Art, jede Silbe wertzuschätzen, etwas Wissendes, das nichts mit Abgeklärtheit zu tun hat. Sie übertreibt nie, aber sie stellt sich als Sängerin auch nicht unter den Scheffel.

Das Album beginnt mit einem Bruce-Springsteen-Cover, „Happy“. Auf Terry Lee Hales „Land Of Plenty“ spielt Chris Eckman Gitarre, von ihm stammt auch der Titelsong. Es ist jetzt Carlas Lied, genau wie Becks „Please Leave A Light On When You Go“.

In einem ihrer eigenen Stücke, „Hang On, Hold On“, singt sie davon, dass das Leben „messy“ ist und es immer Möglichkeiten gibt, einem Fisch das Fliegen beizubringen – und: „Let’s touch the heart more than the eye.“ So hat sie es stets getan. Ob es in „Black Box Witness“ um Empty-Nest-Eltern geht, die sich über ihre Tochter streiten, oder um andere „Sunken Hearts“: Die Stimme trägt alle Geschichten, und die Musik dazu ist schönster Folkpop, so elegant wie zeitlos – gar nicht karg, nur angemessen leise. Beim Schlusslied, „It’s Been A Great Show“, ist Walkabouts-Kollege Glenn Slater an Piano und Klarinette dabei.

Warum müssen sich introvertierte oder schüchterne Leute eigentlich immer entschuldigen, hat mich die ähnlich zurückhaltende Kristin Hersh mal gefragt, aber die nervigen Überselbstbewussten nicht? Im Showgeschäft haben die es naturgemäß leichter. Zünden wir ein Lichtlein an für Kristin, Carla und all die leisen Menschen! Ohne sie wäre der Lärm unserer Zeit noch schwerer auszuhalten.

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