Dubstep der Bilder: Fotograf Wolfgang Tillmans in der Kunsthalle Zürich
Vom 01. September bis zum 04. November zeigt die Kunsthalle Zürich die Ausstellung "Neue Welt" des Fotografen Wolfgang Tillmans. Julia Bendlin war für uns vor Ort. Dazu gibt's eine Galerie mit den besten Bildern.
Der Ort des Geschehens „Kunstmeile Löwenbräu“ klingt nach einer Institution in München. Bier-technisch betrachtet. Dabei geht es hier um einen Umbau eines Quartiers am Limmatufer im Zürich. Das alte Industrie-Areal am Rande der Innenstadt wird gerade mit allen Mitteln des Gentrifizierungs-Baukastens umgemodelt: Kultur, Designer-Gastronomie und Schöner Wohnen ersetzt die alten Funktionen. Nebenbei wird sukzessive der in der Schweiz ohnehin rare Wildwuchs an Off-Clubs und Zwischennutzungen wegrenoviert.
Eins der ersten fertiggestellten Module des Löwenräu-Areals ist die umgebaute Kunsthalle, die am Wochenende mit der Vernissage der Fotoausstellung „Neue Welt“ des Berlin-/Londoner Fotografen Wolfgang Tillmans eröffnete. Mit seinen ungeschminkten Aufnahmen von Bands, Raves und Exzessen im Kölner Karneval wird Tillmans zum Chronist der Popkultur der 1990er-Jahre. Im Jahr 2000 erhielt er den weltwichtigen Turner Prize; seitdem kann er nahtlos von der großen Kunstaustellung zur Indie-Reportage und wieder zurück wechseln. Ein Mann zwischen Underground und Starrummel. Er drehte für die Pet Shop Boys ein legendäres Video, bei dem hauptsächlich grünlich gepixelte Ratten zu sehen sind, die im Gleisbett einer Londoner U-Bahn-Station herumstreunen. Plattenfirma EMI war wenig amused. Mit seiner aktuellen Bilderschau schließt sich für ihn ein Kreis – vor ziemlich genau 15 Jahren hatte er in Zürich seine erste größere Werkschau in einem Museum.
Das sich rau gebende Innenleben der Züricher Kunsthalle im Beton-Look lässt den Besucher ein wenig verloren durch den Eingangsbereich fremdeln. Industrial Style in Zeiten der Hyper-Digitalisierung. Das ist – grob verkürzt natürlich – auch das Oberthema der neuen Bildwelten von Tilmanns Bildwelten, die bei Reisen und Streifzügen quer durch die Kontinente entstanden sind. Die in alter Tilmanns-Tradition an Studioklammern aufgehängten Tintenstrahlausdrucke fügen sich keiner strengen Ordnung. Sternenhimmel wechseln sich ab mit Autorücklichtern und Detail-Shots von Zwiebelschälmaschinen. Eine en passant hingeworfene Antwort auf die Bilderflut von Facebook und Konsorten. Der unwillkürliche, und vor Ort auch von Mitbesuchern vernommene Reflex des Betrachters ist: „Das kann ich auch..!“ Hohe Kunst und niederes Wegknipsen tanzen Dubstep. Ein Ansatz, der den Kollegen von der Neuen Zürcher Zeitung an „Allerweltsbilder“ erinnerte. Vielleicht ist gerade dieses vermeintlich Blutleere in Tilmanns Bilderzyklus, das den Betrachter beim Herausgehen mit der schnöden Frage „Ok; und jetzt“ das Löwenbräu-Areal verlassen lässt, genau die richtige Antwort auf den Zustand des Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Version 2012.
Weitere Informationen zur Ausstellung in der Kunsthalle Zürich finden Sie hier.
Über die Autorin: Julia Bendlin ist Redakteurin des Schweizer TV-Magazins „Kulturplatz“ auf SF1