Drei plus zwei macht eins
Neuanfang mit Hindernissen: Wie aus drei ehemaligen Guns N' Roses-Mitgliedern und einem gerichtsnotorischen Stone Temple Pilot endlich Velvet Revolver wurden
Der Alkohol wird weggesperrt. Reine Vorsichtsmaßnahme. Als Velvet Revolver im schicken Bungalow des „Chateau Marmont“ in Los Angeles ankommen, steht keine Bier- oder Weinflasche mehr im Weg. Slash ist das erst mal egal. Der Gitarrist greift sich ein Wasser, aber als er feststellt, dass es zu viel Blubber enthält, nimmt er einfach meine angetrunkene Flasche. „Macht dir doch nichts aus, oder?“ fragt er mit dieser leisen, fast sanften Stimme, die so gar nicht zu seiner Zausel-Optik passen will. Er hat auch immer noch dieses kehlige Lachen, in dem keine Spur Zynismus mitschwingt – was umso erstaunlicher ist nach allem, was er in den vergangenen 15 Jahren erlebt hat. Bei Guns ‚N Roses war er der kettenrauchende Zylinderträger, inzwischen hat er beides abgelegt. Die Zigaretten wurde er allerdings erst mit einem Hypnotiseur los, und er möchte auch nicht darauf wetten, dass er ewig durchhält. „Ich habe jetzt ganz gern ein bisschen mehr Kontrolle, aber die Regeln lege ich immer noch selbst fest Ich trinke hin und wieder einfach gern, das lasse ich mir nicht nehmen. Ich versuche nur, aus Dummheiten zu lernen.“ Immerhin hat er die Gelegenheit dazu. Er muss lachen. „Ich bin tatsächlich froh, dass ich noch da bin. Das überrascht die Leute immer wieder. Und mich selbst manchmal auch! Muss eben Schutzengel gehabt haben.“
Jetzt will Slash es noch mal wissen. Am 7. Juni erscheint das Debüt von Velvet Revolver, „Contraband“. Wie wichtig die Band für alle Beteiligten ist, sah man am Abend vor den Interviews bei der ersten Hörprobe im „Rainbow“-Club. Während das Album lief, beobachteten Slashs ehemalige GN’R-Kollegen, Drummer Matt Sorum und Bassist Duff McKagan, interessiert die Journalisten und nickten vorsichtig mit den Köpfen, als wollten sie sich selbst sagen: Gut, die Platte!
Sänger Scott Weiland war nicht so schüchtern. Er stellte sich gleich in die Mitte und spielte Luftgitarre. Nur Slash war nirgends zu sehen. „Ich konnte mir das da gar nicht anhören, so was macht mich nervös. Aber ich bin sehr stolz auf das Album, so stolz wie sehr lange nicht mehr. Endlich stimmt wieder alles.“ Und das will was heißen, denn seit seinem Abschied von Axl Rose war es Slash selten geglückt, seine Kreativität in die richtigen Bahnen zu lenken. Den anderen Gunners ging es nicht anders. Und dann kam der Wendepunkt. „Wir haben 2002 ein Tribute-Konzert für Randy Castillo gespielt – Duff, Matt und ich, mit ein paar Typen von Buckcherry. Bei den Proben spielten wir sechs Songs – und ich wusste: Das ist es! Es ist immer noch da. Und trotzdem neu.“
Bei dem Stück, das heute „Falling To Pieces“ heißt, bekam er eine Gänsehaut. Nicht schlecht, nach all den Jahren. Aber vor den Erfolg stellt Gott – die Sängersuche. Eine harte Prüfung. Noch heute windet sich Slash, als hätte er Schmerzen, wenn er daran zurückdenkt „Wenn ich mich mal für etwas entscheide, dann gebe ich ja nicht so schnell auf. Deshalb bin ich auch so lange bei Guns N’Roses geblieben! Also hörten wir Tape um Tape um Tape – und nichts gefiel uns. Wir standen mehr oder weniger sinnlos im Studio rum, und aus der positiven Anfangsstimmung wurde Verzweiflung. Wir wollten uns schon aufhängen.“
Angeblich war schon damals Scott Weiland die erste Wahl, aber der versuchte immer noch, die Stone Temple Pilots zusammenzuhalten. Acht Monate vergingen, Songs wurden geschrieben, kein Sänger engagiert Dann lösten sich STP auf, und Weiland stieg sofort bei den drei Ex-Gunners plus Gitarrist Dave Kushner ein. Dass Velvet Revolver immer mit den beiden ehemaligen Bands der Musiker verglichen werden, stört Slash inzwischen kaum noch. „Ich habe mit der Vergangenheit abgeschlossen, so wie alle anderen Beteiligten. Mir fiel der Abschied damals so, so schwer, weil ich wusste, wir waren etwas Besonderes. Es ging aber nicht anders. Allerdings war mir gar nicht so bewusst, wie sehr ich immer mit Guns identifiziert werden würde – egal, wie viel ich seitdem gemacht habe. Ich war immer nur Slash von Guns N‘ Roses.“ Weshalb Velvet Revolver für ihn durchaus ein Vabanque-Spiel ist. Denn auch wenn hier sehr bekannte Musiker zusammenkommen, soll dies eben keine beliebige Allstar-Band sein. „Natürlich war klar, dass wir jederzeit irgendeinen Plattenvertrag kriegen würden. Aber wir wollten nicht als Ex-lrgendwas vermarktet werden. Es gab sehr viel Skepsis, keiner hat an uns geglaubt Aber als dieses Gefühl plötzlich da war, haben wir alles fallengelassen – Duff sein Studium, ich meine anderen Bandpläne – und gekämpft. Ohne dieses hundertprozentige Engagement hätten wir gleich wieder einpacken können. Uns half keiner, sogar meine Freunde hielten das alles für Zeitverschwendung.“
Während Slash immer noch Gerichtsverhandlungen wegen GN’R am Laufen hatte, dachte er nebenbei schon über die Zukunft von Velvet Revolver nach. Anders als etwa die Kollegen von Audioslave gehört er nicht zu denen, die jetzt ihre Vergangenheit komplett ausblenden wollen. „Ich bin immer noch stolz auf Guns, sie waren eine der coolsten Rockbands aller Zeiten. Aber man will natürlich nicht, dass die neue Band nur wegen der alten berühmt wird. Wir suchen einen Mittelweg. Wir werden bei Gigs unsere liebsten Guns- und STP-Songs spielen, aber der Schwerpunkt liegt auf dem neuen Zeug.“
Womit nur noch die eine Frage bleibt, die alles entscheidende: Wie stabil sind Velvet Revolver? Seit Weiland einstieg, wurde er diverse Male wegen Drogenbesitzes und Verstoßes gegen Bewährungsauflagen verhaftet. Besonders gesund sieht er immer noch nicht aus, sehr fragil und nervös, aber Slash ist zuversichtlich. Man hat das alles ausdiskutiert „Ich verurteile bestimmt keinen. Wir alle kennen ja das Problem, wir haben es alle selbst durchgemacht. Scott geht’s gut. Wir versuchen einfach, ihn zu unterstützen – und er versucht zurechtzukommen. Und so wird es immer sein.“
Nach dem jahrelangen erratischen Verhalten von Axl Rose, der nicht mal Drogen als Entschuldigung vorbringen konnte, erwartet ein geduldig gewordener Slash vergleichsweise wenig Aufregung. „All der Exzess, das Drama damals – das war oft unnötig. Das Leben ist so schon aufregend genug.“ Er stoppt kurz, als überlege er, ob er sich so viel Selbstlob durchgehen lassen kann. „Velvet Revolver sind für mich die aufregendste Band, die es zurzeit gibt. Vielleicht können wir es noch mal allen zeigen. Ich bin bereit dazu.“