Drei Alben der TripHop-Gurus MASSIVE ATTACK reichten, um Bristol zum Trademark zu machen
Wer in einem Jahrzehnt nur drei Alben herausbringt, ist entweder ein Faulpelz oder ein Rock-Dinosaurier. Gegen beide Vermutungen verwahrt sich Andrew Vowles alias Mushroom und verweist auf seinen Terminkalender: „Der war seit ’94 randvoll. Damals schlug das zweite Album Protection weltweit Wellen, und seither müssen wir uns wohl oder übel ums Geschäft kümmern“. Die Interessen des Produzenten-Trios mußten weltweit vertreten werden, ein Studio wurde gebaut, ein Label gegründet. Die TripHop-Industrie läuft auf Hochtouren. Massive Attack, Portishead, Tricky:lhre Musik ist beinahe ein Standortfaktor geworden für eine kleine und blasse Stadt, die plötzlich ein Pop-Image hat: „Massive Attack-Bristol, England“ steht auf den Tour-T-Shirts. Es klingt fast wie „Bayer Leverkusen“ oder wie „Kruppwerke Essen“ – ein Trademark, für das man Lizenzen erwerben muß.
Über mangelnde Anerkennung als Musiker können sich Massive Attack auch nicht beschweren. In der Popwelt wurde das dritte Album „Mezzanine“ seit Monaten erwartet wie eine päpstliche Bulle. „Die wichtigste Band der 90er Jahre“ nennt sie die hysterische Musik-Presse, gepriesen werden sie allenthalben, imitiert natürlich auch. „Es ist verrückt, wie viele Leute auf unserer Welle mitzureiten versuchen“, so Mushroom. Sein Blick drückt Verachtung aus. Damit wenigstens manche Epigonen nicht allzu beliebig herumhantieren, haben Massive Attack das „Melankolik“-Label gegründet – als Maßnahme gegen die Globalisierung des Bristol-Sounds sozusagen. Darauf ist auch die Band Alpha vertreten, die mit den Labelbesitzern auf Tour ging. Alpha klingen nicht ganz so wie Massive Attack. Nur fast.
Was das Original betrifft, so ist es Daddy G, Mushroom und 3-D einmal mehr gelungen, ihren Strom der Klänge gleichzeitig zu verbreitern und zu vertiefen. „Mezzanine“ ist manchmal fast eine Rockplatte – das bisher verschmähte Instrument E-Gitarre haben sie freundlich hereingebeten und in den Sound integriert Jedoch ist das Album auch dunkler und zeitlupenartiger als“Blue Lines“ und „Protection“: immer auf der Grenze zwischen Tagtraum und Alptraum. Darauf deutete auch der Titel hin: Ein Mezzanine ist das Zwischengeschoß eines Wohnhauses. Mushroom: „Der Titel ist eine Metapher für alle Zwischenbereiche. Reine oder unvermischte Zustände gibt es für mich nicht.“ Nur für die eigene Produktion hat die Band alles andere als gemischte Gefühle: „Wenn wir im Studio arbeiten“, erzählt Mushroom, „setzen wir uns jeden Abend hin und hören die Aufnahmen vom Tag durch. Diesmal hatten wir das Gefühl, wieder so frisch zu klingen, als hätten wir ab Band gerade erst angefangen.“
Seit der Sound aus den Keilern von Bristol die gesamte Pop-Szene infiltriert hat, wird die dortige Ruhe permanent gestört. Zuletzt durch den Anruf einer gewissen Madonna. „Sie wollte einen Song von Marvin Gaye mit uns aufnehmen“, sagt Daddy G.
Und? Wie ist sie denn so?
„Mit ihr zu arbeiten ist so aufregend, wie in den Supermarkt zu gehen. Wir haben sie gar nicht gesehen, sondern in Bristol den Basis-Track hergestellt und nach New York geschickt. Sie hat in zwei Takes den Gesang aufgenommen, fertig. Hochprofessionell.“ Später erst habe man ihr in einem Club mal die Hand geschüttelt. Auch Filmregisseure rufen an. „Unsere Musik ist ja auch sehr visuell“, sagt Mushroom. „Aber wir suchen uns genau aus, mit wem wir arbeiten.“ Wenn er das sagt, klingt er tatsächlich wie sein eigener Manager. Massive Attack – eine gut geführte Firma.