Doris Dörrie – Wie brutal darf die Liebe sein?
Wie Doris Dörrie aus Ferdinand von Schirachs Gruselgeschichte "Glück" einen Liebesfilm machte - und nebenbei noch aus Verzweiflung ihren ersten eigenen Song schrieb.
Wie macht man aus einer brutalen Kurzgeschichte namens „Glück“, in der ein Freier zerstückelt wird, einen Liebesfilm? Man gibt den Stoff Doris Dörrie. Die Regisseurin wusste schon beim Lesen der paar schütteren Seiten aus Ferdinand von Schirachs Bestseller „Verbrechen“, auf welche Frage es ihr ankommt: „Wie groß muss die Liebe und eben auch das Glück dieser beiden gewesen sein, dass er so was macht? Das hat mich mehr beschäftigt als der Krimiplot.“ Im Mittelpunkt stehen nun die Prostituierte Irina (Alba Rohrwacher) und der Obdachlose Kalle (Vinzenz Kiefer), die sich verlieben und selig zusammen Honigbrote essen, bis ihr ein Kunde wegstirbt und er glaubt, die Leiche beseitigen zu müssen.
Die schwierigste Entscheidung für Dörrie war: Wie brutal darf eine Liebesgeschichte sein? Die Minuten, in denen der Kraftakt vorgeführt wird, der nun mal nötig ist, um einen Menschen kleinzukriegen, sind quälend, weil sie so aus dem Rahmen fallen, aber Dörrie, die selbst „nicht einmal Spritzen sehen“ kann, wollte sich nicht drücken davor: „Am liebsten hätte ich die Tat gar nicht gezeigt, weil ich selbst so etwas im Kino schlecht verkrafte. Aber mir war auch klar, dass ich nicht schummeln und das elegant hinter geschlossenen Türen stattfinden lassen darf. Die Tragweite der Tat muss man schon spüren. Und dafür muss man sie sehen. Es musste also grausam sein, durfte aber natürlich nicht zu einem Splatterfilm werden.“
Die Drehtage, an denen Vinzenz Kiefer mit Ketchup und Plastiktüten hantieren durfte, waren natürlich die lustigsten – da bedurfte es keiner großen schauspielerischen Leistung, es wurde nur gesägt und gesägt. Man nimmt Kiefer zwar auch die grimmige Verletzlichkeit in intimeren Momenten ab, doch der Star des Films ist Alba Rohrwacher: Allein ihr Gesicht ist 90 Minuten Zeit wert. Der immer wunderbare Matthias Brandt behauptet als Rechtsanwalt zu Beginn des Films, dass alle Menschen im Grunde das Gleiche wollen: „Schmerzen vermeiden und glücklich sein“. Aber was ist das eigentlich: Glück? Dörrie hat dazu ihren eigenen Ansatz: „Auf Deutsch ist das besonders schön: Glück und Unglück. Wir kapieren das Glück nur über das Unglück. Ich vergleiche es manchmal mit Zahnschmerzen: Wenn man die hat, wünscht man sich nichts mehr, als dass sie vergehen. Wenn man keine hat, freut man sich nicht darüber.“
Ob sie selbst ein Talent zum Glücklichsein hat? Die Regisseurin seufzt. Schon, etwa wenn sie am Meer steht. Aber das kann ja fast jeder. Um täglich die nicht vorhandenen Zahnschmerzen zu feiern, muss sie sich anstrengen, sie ist halt Deutsche. Deshalb gefällt ihr auch keiner ihrer Filme hundertprozentig, sie findet immer Gründe zum Meckern. „Das Glück steckt in der Herstellung. Beim Drehen. Beim Schneiden. Oder wenn ich die richtigen Schauspieler gefunden habe. Oder bei der Vorbereitung: beim Aussuchen der Kostüme. Wenn man die passende Haarfarbe entdeckt hat. Die geeignete Musik. Solche Momente, die sind Glück für mich.“
Apropos Musik: Zum ersten Mal hat Dörrie ein Lied geschrieben, „Me & You“ – und sich gewundert, wie leicht das geht. „Songschreiben ist ja das Einfachste der Welt. Wenn ich das vorher gewusst hätte! Wir haben lange ein Lied für das Ende gesucht, es sollte einen aus dieser harten Geschichte glücklich entlassen. Aber nichts passte richtig, alles war zu fett oder zu abgenudelt. Also sagte meine Musikberaterin Charlotte Goltermann:, Schreib doch selbst was!'“ Nach zehn Minuten war sie fertig, bei der Umsetzung halfen neben Maike Rosa Vogel zwei bekannte Kollegen: Sven Regener spielt die Mariachi-Trompete, Thees Uhlmann singt mit Alba Rohrwacher. Der Rest des Soundtracks stammt – von einigen Punksongs abgesehen – vom Pianisten Hauschka, den Dörrie vor vier Jahren im Berliner Berghain-Club entdeckte. „Musik im Film ist sehr wichtig und wahnsinnig schwierig. Man will ja auch nicht mehr diese komplett durchkomponierten Soundtracks – da kommen die Geigen, wenn es romantisch wird, und die Glasharfe bei Gefahr. Ich will es vielschichtiger, will als Hörerin zumindest anders inspiriert werden, mit eigenständiger Musik. Aber gleichzeitig darf sie sich auch nicht zu sehr in den Vordergrund drängen. Das unter einen Hut zu bringen, ist die große Schwierigkeit.“ Und wenn man sie bewältigt hat, gibt es zur Belohnung vielleicht ein bisschen – Glück.