Dokument der Leere – Christian Krachts neuer Reiseroman. „1979“
Der Held dieses Romans hat keinen Namen. Wozu auch, er besitzt ja keine Identität. Freunde hat er offenbar auch keine, nur eine große Liebe, die ihm aber schon im ersten Buchdrittel unter der Hand wegstirbt. Lustig wäre es, wenn sich der Held einmal, wie im Otto-Film, direkt an die Leser wenden würde: „Da waren sie wieder, meine drei Probleme.“ Aber nein, ganz unmöglich: Er hat ja keine Probleme. Und keinen Humor.
Tja: Kein Geld, kein Job, keine Ahnung – aber viele Kreditkarten. Und weil es im Haushalt praktisch nichts zu tun gibt, geht man eben auf Reisen. In den Allegorien des Mittelalters war das Leben eine Schiffsfahrt, in der Welt des Schweizer Autors Christian Kracht (35) wird nobel Zug gefahren und in der Business-Class geflogen. Dieses Mal, im neuen Roman „1979“,geht es erst durch das revolutionsgeschüttelte Teheran und dann via Tibet nach China. Gegenüber der Route Sylt-Bodensee in Krachts Debüt „Faserland“ mag das ein Fortschritt sein, aber was Erzähltechnik, Ton und Haltung angeht, ist alles beim alten. Wieder wird die Monotonie des Daseins in einen monotonen Fluss monotoner Sätze gegossen. Da ist selbst eine Aussage wie“Ich zündete mir eine Zigarette an“ ein dramaturgisches Highlight Von Teheran, wo immerhin gerade eine Revolution im Begriff ist auszubrechen, sieht der Held nicht viel, weil er nur Augen für seine Berluti-Schuhe hat. Echt blöd, wenn „Spuckebatzen aufsein Pierte-Candin-Hemd“ tropfen. In den Straßen der Lärm von Panzern, der Staatsstreich steht unmittelbar bevor – aber was ist das schon gegen eine „mit gestreifter, brombeerfarbener Seide bezogene Empire-Chaiselongue“? Innenarchitektur rules okay in 1979.
Krachts Blick auf die Welt ist der eines Dandys, der sich schnell mal übergibt, wenn jemand im Park von „vier schwarzgekleideten, bärtigen Männern“ verprügelt wird – diese Moslems, also wirklich! – und der sich sogar vor seiner eigenen Spucke ekelt. Für den deutschen Alltag zwischen Cocktailparty und Aldi-Kassenschlange war diese Wahrnehmung sehr produktiv, vor dem Hintergrund einer islamischen Revolution wirkt sie nur unfreiwillig grotesk.
Warum der Held nach Teheran gefahren ist und was er dort sucht, ist Kracht offenbar wurscht, und der Leser stellt auch nach 20 Seiten die Sinn-Fahndung ein. Es ist eh alles egal in diesem Buch, das ein Dokument der Leere ist und ein Monument der Wurschtigkeit. Von irgendwelchen Revolutionären bekommt der Innenarchitekt den Auftrag, in China auf einen heiligen Berg zu steigen, um sich oder die Welt zu heilen. Am Ende landet er in einem kommunistischen Straflager, wo ihn aber auch wieder hauptsächlich das Essen stört, das „heftige Blähungen“ auslöst. Ein Niemand fahrt durchs Nichts und hat nicht mal Spaß dabei. Schon schlimm. Mit „1979“ erreicht die so genannte deutsche Popliteratur den Höhepunkt, der zugleich ihr Tiefpunkt ist. Und vielleicht ist es nur konsequent, dass Christian Kracht, der den Boom vor sechs Jahren mit „Faserland“ lostrat, das Genre zu Grabe trägt. Ein Popliterat hat Kracht ohnehin nie sein wollen. Angeblich reagiert er sogar allergisch auf das Wort „Pop“.