Dinosaur-Jr.-Doku „Freakscene“: J Mascis und Philipp Reichenheim im Interview
Dinosaur-Jr-Sänger J Mascis und Regisseur Philipp Reichenheim über die Kino-Dokumentation, die das turbulente Leben einer der wichtigsten amerikanischen Rock-Bands nachzeichnet.
Ein Beitrag aus der Reihe „Das Beste aus 30 Jahren ROLLING STONE“, erschienen erstmals am 08. September 2021:
Zum Interview lädt Joseph Donald Mascis Jr., besser bekannt als J Mascis, in die Kreuzberger Wohnung seines Schwagers, Philipp Reichenheim. Der Berliner Regisseur hat die Dokumentation „Freakscene – The Story of Dinosaur Jr.“ gedreht, die am 09. September in den deutschen Kinos anläuft. Darin erzählt Reichenheim die Geschichte von Mascis, der als Gitarrenwunder die Alternative-Rock-Bewegung der 1980er-Jahre anführte und von der späteren Grunge-Welle als „Gott“ vereinnahmt wurde – aber ganz gut damit leben kann, Abstand von all der Bewunderung zu nehmen, die ihm bis heute entgegenschlägt. Für Genre-Etiketten hat er nur ein Achselzucken übrig. Er sagte mal, Dinosaur Jr seien am besten zu beschreiben als „ear bleeding country“.
Wir sprachen über die lange Karriere des 55-jährigen Musikers. Für seine Schweigsamkeit ist J Mascis bekannt, nicht verwechseln sollte man diese ruhige Art mit Müdigkeit oder gar Desinteresse. Er ist kein Mann großer Worte, aber während des Interviews müssen beide, Regisseur Reichenheim und er, viel lachen.
Die Dokumentation ist eine Mischung aus Konzertmaterial, neuen Aufnahmen von J Mascis und Dinosaur Jr, als auch neueren und älteren Interviews mit Weggefährten. Philipp, wie plantest Du die Struktur des Films?
Reichenheim: Es gibt eine Vier-Stunden-Version von „Freakscene“, ohne Live-Footage, in der lediglich zu sehen ist, wie die Band spricht – J, Lou Barlow (Bassist) und Murph (Schlagzeug). Ihr ganzes Leben, chronologisch. Magie entsteht immer dann, wenn alle drei voneinander getrennt über dieselbe Sache reden – aber jeder aus seiner eigenen Perspektive. Das Interviewmaterial der Gäste und Weggefährten war einfach zu gut, ebenso die Live-Momente. Sie mussten mit in den Film.
Wie bist Du in der Auswahl des Interview-Archivmaterials vorgegangen? Das Gespräch mit Ex-Sonic-Youth-Musiker Thurston Moore dürfte einige Jahre älter sein.
Reichenheim: Ja, denn wir arbeiteten rund zwei Jahrzehnte am Film. Die Dinosaur-Jr-Reunion mit Lou und Murph, der Originalbesetzung, begann um 2005, und ich sprach mit Thurston um 2008 herum. Da waren er und Kim Gordon (Sonic-Youth-Bassistin) noch ein Paar und befanden sich gerade in der Nähe deines Heimatorts, J, in Amherst im Bundesstaat Massachusetts, in ihrem Haus.
Das schöne, neu gebaute, das man 1995 auf dem Album-Cover von „Washing Machine“ bewundern konnte?
Mascis: Das glaube ich nicht. Kim und Thurston hatten ein richtig großes, tolles Townhouse. Das größte.
Reichenheim: Das größte zumindest unter all deinen Freunden, richtig?
Mascis: Yeah. Sie lebten über Jahre in ihrem Apartment in New York City, und dann wollten sie es sich gut gehen lassen auf dem Land und holten sich das größte Haus, das sie finden konnten. Insane!
Reichenheim: Auf jeden Fall bekamen wir alle Gäste zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten vor die Kamera. 2008 nahmen wir in Hamburg Henry Rollins bei seiner Spoken-Word-Tour auf, 2012 und 2016 auf Tournee mit Dinosaur Jr. In gewisser Weise begleiteten wir auch ihn innerhalb eines Zeitraums, der zwei Dekaden umfasst.
J, im Film sprichst Du über Unterschiede zwischen Gitarren. Du hast früh von der Fender Stratocaster zur Jazzmaster gewechselt. Dass Gitarren unterschiedlich klingen, ist klar. Aber hat der Klang auch Dein Songwriting beeinflusst?
Mascis: Ja, schon. Verschiedene Gitarren bringen dich dazu, verschiedentlich zu spielen. Ob meine Stimmung Einfluss auf das Songwriting hat? Kann ich schlecht sagen. Aber manchmal, wenn ich ältere Gitarren kaufe, stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn sie bereits viele gute Songs in sich beherbergen. Ich spiele dann und warte ab, was die Instrumente mir mitteilen. Komposition ist für mich wie Angeln. Man wirft die Rute rein und wartet, ob etwas anbeißt. Songs come and go.
Wer von euch beiden ist auf die Idee gekommen, J beim enervierenden Autofahren durch diese amerikanische Schneelandschaft zu zeigen?
Reichenheim: Immer und immer und immer wieder richtete ich meine Kamera auf J. Genau an jenem Tag wurden wir von einem Blizzard heimgesucht, und die ganze Stadt hatte deswegen dichtgemacht. Das war eine Autofahrt durch ein apokalyptisches Szenario. Aber es passt, denn es bildet die Landschaft ab. So ist der Winter dort. Massachusetts kann ein wild country sein.
Philipp, Du bist Js Schwager. Welche Herausforderungen stellen sich für Dich als Filmemacher, damit aus einer Doku kein Familienfilm wird?
Reichenheim: Wenn ich das Gefühl hatte, diese Grenze zum Intimen zu durchbrechen, ging ich vielleicht zu weit. Ich achtete darauf, wie J auf meine Kamera reagiert. Ich sah es an seinem Blick, wenn es ihm zu viel wurde: „Was machst Du da gerade?!“, schien er zu sagen.
Mascis: Ich erinnere mich nicht an allzu viele solcher Momente. Es entstand einfach so viel Footage. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie er all das in seinen Film würde einbauen können. Mir kam das vor wie Millionen von Stunden.
Zu sehen ist auch Deine Eheschließung von 2004, eine Hochzeit nach einem hinduistischen Ritual.
Mascis: Ja, das war noch vor Beginn der Aufnahmen für „Freakscene“.
Reichenheim: Eine ältere Aufnahme, die ich verwenden durfte. Mich hat dieser plötzliche Wechsel von der Musik ins Private gereizt. Die Erlaubnis zur Verwendung dieser privaten Zeremonie habe ich natürlich eingeholt, von Mata Amritanandamayi (geistige, indische Führerin der Gemeinschaft) persönlich. Die Band hat der Gemeinschaft auch ein Auto gespendet …
Ein Auto?
Reichenheim: Ja, es gab mal einen „Dinosaur Jr Toyota“.
Mascis: Es war angemalt und voller Sticker. Mit Abbildungen der Alben-Cover. Dazu ein lilafarbenes Alien. Und das Mädchen vom „Green Mind“-Cover. Hm, wofür hatten wir das Auto nochmal bekommen, damals? Ich glaube, es gab da mal ein Event von „Urban Outfitters“, da platzierten sie für alle möglichen Bands solche angemalten Autos in die Menge. Und meines habe ich dann bekommen. Lou und Murph waren möglicherweise angepisst, weil mir ein Auto geschenkt wurde, ihnen aber nicht. Das machte es mir noch leichter, es zu spenden.
Schade: Hättet ihr drei Wagen bekommen, hättet ihr als Band im Konvoi zu euren Konzerten fahren können.
Reichenheim: Oder zumindest ein Video damit drehen können! Aber ich kam J bei den Aufnahmen schon recht nahe. Ich hatte, abhängig von der Dekade, in der wir filmten, Kameras unterschiedlicher Größen dabei. Aber sie waren nie groß, J musste sie auch gar nicht bemerken, und wenn er sie bemerkte, hat er sie schnell wieder vergessen. Ich glaube, ich habe über die Jahre ein gutes Gespür dafür entwickelt, wann ich die Kamera anschalte – oder besser nicht. Auch in Backstage-Situationen. Ich kenne solche „Come on, get the fuck out“-Momente, ohne dass sie ausgesprochen werden mussten. Observing without annoying, das war die Herausforderung.
J, der eher versteckte 1994er-Albumsong „Over Your Shoulder“ wurde 2019, also 25 Jahre später, ein Top-20-Hit in Japan, weil mit ihm Ausschnitte einer Reality-Boxen-Sendung unterlegt wurden. Wie kam dieser späte Ruhm bei Dir an?
Mascis: Die Sache war abstrakt für mich. Von dem Erfolg habe ich gehört, aber ich habe keine Ahnung, um was für eine Art Sendung sich das handelt. Ist diese Story überhaupt echt (lacht)? Mir zeigt das wieder mal, dass jeder Song bei den Leuten etwas in Bewegung setzen kann, es muss keine Single sein. Ich könnte bei meinen Liedern nicht prognostizieren, was ein klassischer Hit werden könnte. Die Menschen lieben obskures Zeug.
Andere Bands hätten solch ein Lied, das zum Überraschungshit wird, dann ausgegraben, in ihre Setlist verfrachtet und wären augenblicklich durch Japan getourt.
Mascis: In Japan war ich seit meinen Jahren als Solomusiker nicht mehr, also seit sehr vielen Jahren nicht mehr. Ich mag „Over Your Shoulder“, aber ich könnte nicht einschätzen, ob die Leute zu einem Dinosaur-Jr-Konzert kommen würden, nur um das zu hören. Ich bin mir auch nicht sicher, ob solch ein Vorgehen zu uns passen würde.
Bis heute ranken sich Mythen um das rauchende Mädchen, das auf dem „Green Mind“-Albumcover von 1991 abgebildet ist. Selbst der Fotograf sagt, das Mädchen sei ihm vor die Linse gesprungen und kurz nach der Aufnahme wieder verschwunden. Was weißt Du darüber?
Mascis: Ich hatte Kontakt zur Tochter des Mädchens, das Foto ist ja schon recht alt.
Ach!
Masics: Ja.
Das heißt, Du weißt, wer sie ist, und was sie jetzt macht?
Mascis: Nein. Das habe ich alles vergessen (kichert).
Oh je.
Reichenheim: In irgendeiner Cloud müsste irgendwo eine E-Mail hängen, in der ihr Name steckt.
Warum ist J in „Freakscene“ eigentlich nicht während Proben zu sehen?
Reichenheim: Aufgenommen habe ich solche Momente durchaus. Ich hatte auch überlegt, J zu filmen, während er einen Song komponiert. Um 2007 war die Originalbesetzung wieder zusammen. Sie jammten und fischten dabei quasi nach Melodien. Es gibt auch Material, das ihn tagsüber zeigt, wie er einfach nur Gitarre spielt und Riffs ausprobiert. Aber Dinosaur ist Dinosaur und J Mascis solo ist J Mascis solo, und so wollte ich als Regisseur die Akzente setzen.
Eine der jüngsten, gefeierten Auftritte Js war auf dem Pearl-Jam-Konzert 2018 in Berlin, als er für die Cover-Version von „Rockin‘ In The Free World“ auf die Bühne geholt wurde.
Reichenheim: Das habe ich mitgefilmt, ich schmuggelte eine Go-Pro-Kamera dorthin. Der Auftritt befand sich auch in einer meiner vorübergehenden Schnittfassungen, in einem Abschnitt, in dem es um Grunge geht. Denn das war ein filmischer Moment, in dem man Eddie Vedder und J auch tatsächlich mal gemeinsam im Bild sieht. Aber die Szene passt irgendwie nicht in den Flow des Gesamtfilms. Es wird eine Veröffentlichung auf Blu-ray und DVD geben, geplant fürs nächste Jahr, mit Tonnen an Bonusmaterial. Darauf werden solche Szenen zu sehen sein, auch eines meiner liebsten Outtakes, mit J und Mark Lanegan.
Auf der Strecke geblieben ist auch die Erwähnung der Peter-Frampton-Coverversion „Show Me The Way“ …
Reichenheim: Die Band hat so viele gute Songs! Jedes Jahrzehnt hat seine Stücke, und jedes Stück erzählt seine eigene Geschichte, seine eigene Geschichte für jedes Band-Mitglied. „Show Me The Way“ ist auch einer meiner Favoriten, es war wirklich schwer auf ihn zu verzichten.
Mascis: Ich war nie der größte Fan des Songs. Ein Freund hat mir ein Tape vorgespielt, wie ich „Show Me The Way“ live spielte, und das hatte was. Aber als wir ihn im Studio aufnahmen, war der Zauber schon wieder verflogen. Wir haben den Song dabei verloren. Das kann einem oft passieren. Solche Sachen müssen sofort aufgenommen werden, sonst ist es zu spät. It was past its prime. Ich muss da an Sonic Youth denken. „Expressway To Yr Skull“ ist ein atemberaubendes Lied. Aber als ich es auf Platte hörte, hatte ich das Gefühl: Sie haben es anscheinend zu oft live aufgeführt. Er gefiel mir nicht mehr. Es hatte seine Unschuld verloren. Manche Songs spielten sie dann gar nicht mehr, weil ihnen die Gitarren gestohlen wurden.
Reichenheim: Wie Js auch. Nicht nur Sonic Youth, auch J wurden 1998 die Gitarren gestohlen – vom selben Mobster.
Deine Instrumente befanden sich im selben Lieferwagen wie die von Sonic Youth?
Mascis: Nein, aber es waren dieselben Diebe.
Reichenheim: Auch sie ließen ein komplettes Equipment mitgehen, diesmal von Dinosaur. Die hatten ihre Methode.
Mascis: Ich denke, sie verfolgten uns nach einem Auftritt im Club, sie wussten, wo der Wagen stand und warteten dann auf ihre Gelegenheit. Vielleicht sagten ihnen auch jemand aus dem Club Bescheid. It’s a shady business.
Sonic Youth haben später einige der Sachen zurückbekommen, unter anderen auf Ebay.
Mascis: Ich nicht. Ich habe die Sachen nie mehr wiedergesehen.
Dein Sound klang danach aber nicht anders.
Mascis: Nein. Ich habe mir einfach neue Gitarren gekauft.
Reichenheim: Du hast aber doch herausgefunden, wer Dir die Sachen gestohlen hat, oder?
Mascis: Ja, habe ich. It was some heavy drug gangster I didn’t want to fuck with.
Philipp, wie hast Du die Orte ausgesucht, an denen Du die Musiker interviewst? Murph sieht mit seiner Mütze aus, als befände er sich am See bei einer Entenjagd.
Reichenheim: Nein, wir drehten in Js Garten! Der Bildausschnitt war einfach günstig, alles war grün im Hintergrund, alles sah weitflächig aus. Der Garten ist groß und Murph saß in einem waldigen Abschnitt. Die ersten Aufnahmen mit ihm datieren auf 2007, er kam aus der Rehab, war nüchtern und befand sich in blendender Verfassung.
Mascis: Die meisten Storys jener Zeit, die es zu lesen gab, drehten sich darum, wie Murph mich einst hasste, wie ich Lou hasste, wie Lou mich hasste.
Das einstige Zerwürfnis zwischen J, Lou und Murph nimmt in „Freakscene“ großen Raum ein. Lou musste die Band 1989 verlassen, Murph ging 1993. Habt ihr im Vorfeld der Aufnahmen darüber gesprochen, wie offen ihr die Trennung besprechen würdet?
Reichenheim: Ich hatte das Gefühl: Jeder sagte genau die Dinge, die er nötig fand zu sagen.
Mascis: Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, welche Kritik ich damals äußerte. Ich erinnere mich nur noch an meine Gefühle. Ich weiß, dass ich zu weit gegangen war und Lou nicht gut behandelte. Dieser Streit ist vergangen, und jetzt reden wir normal miteinander.
Reichenheim: Die Trennungsphase der Band bezeichnen mein Produzent und ich als „Eiger-Nordwand“. Das Ganze hat einfach unfassbar großes Drama-Potential. Ein Berg, der eigentlich nicht zu erklimmen ist. An dem viele Menschen schon ihr Leben lassen mussten. Der Band-Split war eine sehr delikate Angelegenheit, ich musste in der Schilderung sehr sensibel vorgehen. Es sollte eine erzählerische Qualität haben, aber ich wollte auch niemandes Gefühle verletzen. Für mich war klar, dass jedem der drei Musiker erlaubt sein durfte zu sagen, was er will.
Es fallen keine Vorwürfe, stattdessen sendet jeder Ich-Botschaften, also auch Eingeständnisse eigener Fehler.
Reichenheim: Das war eine bedeutsame Entdeckung für mich: Nichts, was sie sagen, ist auch nur ansatzweise narzisstisch. Keine vorgeschobenen Haltungen. Sondern einfach nur sagen, was los ist. Ärger innerhalb von Bands ist nichts Besonderes. Aber Dinosaur gehen der Sache wirklich auf den Grund. Davor habe ich großen Respekt, und ich hoffe, dass dieser Respekt im Film auch vermittelt wird.
J, Dein großer Star-Moment dürfte das „Out There“-Video von 1993 sein: Du stehst als Skifahrer auf einem Berg, und eine Helikopterkamera umkreist Dich. War das anstrengend?
Mascis: Nah. Ein wenig angsteinflößend, aber okay.
Reichenheim: Es sah gefährlich aus.
Bei unserem ersten Interview, das war im Jahr 2001 zu Deinem Projekt „J Mascis and The Fog“, hattest Du dich ein wenig über den Waschzettel zum Album geärgert. Darin stand, Du springst mit Skiern aus einem Flugzeug und rast dann den Abhang runter. So was macht eigentlich nur Roger Moore als 007.
Mascis: Oh ja, die Waschzettel zu meinen Alben. Da stehen immer unterhaltsame Sachen drin. Bei den Interviewtagen zu jener Platte sprach mich jeder Journalist darauf an.
Reichenheim: Na ja, ein bisschen Wahrheit steckte da sicher drin. J ist ein fantastischer Ski-Fahrer. Er flitzt den Berg runter.
Mascis: Ja, aber ich springe nicht mit Fallschirm aus dem Flugzeug.
Reichenheim: Wer schreibt denn solche Zettel?
Mascis: Das war ganz offensichtlich ein In-Joke, aber keiner hätte die Chance gehabt, ihn zu verstehen.
„Ich existiere, wie ich existiere. Ich rede nicht schnell und ich rede nicht langsam“
Thurston Moore, Kim Gordon, Henry Rollins, Black Francis und viele weitere Weggefährten sprechen Dir ihre Bewunderung aus. Welches Lob hat Dich am meisten überrascht?
Mascis: Ich könnte das nicht sagen. Vielleicht, dass sie meinen Gesang mögen. Ich mag meine Stimme nicht immer. Ich kriege manchmal zu hören, wenn auch nicht hier im Film, dass manche denken, dass ich zu langsam rede. Oder zu langsam auf Fragen antworte. Das nehme ich nicht so wahr, für mich ist das ganz normal. Was sie sagen, finde ich befremdlich. Ich existiere, wie ich existiere. Ich rede nicht schnell und ich rede nicht langsam.
Kim Gordon sagt, dass viele Männer innerhalb einer Band mit Musik kommunizieren, weil sie es im wahren Leben nicht täten. Wie ist das bei Dir?
Mascis: Ja, da ist was dran, es steckt sogar viel Wahrheit dahinter. In den ersten Bandjahren haben Lou und ich eigentlich nicht viel miteinander geredet. Aber wir mochten dieselbe Musik. Den Bach runter ging’s eigentlich erst, als wir miteinander anfingen zu reden. Dann stellten sich die Fragen: Mit wem spreche ich da eigentlich? Wer ist diese Person? Als wir noch zusammenspielten, lief es doch noch so gut? Ich dachte: Jetzt mag ich diese Person nicht mehr.
Gab es Weggefährten, die nicht für die Doku zur Verfügung standen?
Mascis: Yeah, Gerard zum Beispiel (Gerard Cosloy, der Dinosaur Jr. auf dem Homestead-Plattenlabel förderte).
Reichenheim: Und Mike Johnson, der Bass spielte von 1991 bis 1998. Er hat auf meine Anfragen leider nicht reagiert. Aber wer weiß schon, ob ich überhaupt seine richtige E-Mail-Adresse hatte oder das richtige Facebook-Profil vor mir sah? Manche Kontakte ließen sich nicht leicht herstellen.
Mascis: Gerard gab uns unseren ersten Album-Deal, und er unterstützte meine Vorgängerband Deep Wound. Ich meine: Er gab uns den Deal, noch bevor Dinosaur Jr. ihren ersten Gig spielten. Wer macht sowas schon? Das bewies Vertrauen und war gut für uns. Um an Konzerte zu kommen, konnten wir nun vorab eine Platte in den Clubs einreichen. Unser Verhältnis wurde schlechter, als ich bei einem anderen Label unterkommen wollte, SST. Gerard wünschte sich natürlich, dass wir bei Homestead bleiben.
Du sagtest, Du warst froh, nie so groß geworden zu sein wie Nirvana, die wiederum Dich als Vorbild bezeichneten. An welchem Punkt Deiner Karriere hattest Du Angst, die Dinge laufen aus dem Ruder?
Mascis: Das war nach der Single „Feel The Pain“ und dem Erfolg des „Without A Sound“-Albums von 1994.
Es erschien vier Monate nach Kurt Cobains Tod.
Mascis: Alle Probleme, die man hatte, waren nach dem Erfolg von „Without a Sound“ noch immer da. Nur hatte man plötzlich mehr Geld. Und musste feststellen, dass sich die Probleme dadurch nicht lösen lassen. Und es dämmert einem: Das soll es sein, wonach es die Leute strebt? Geld? Und als Kurt Cobain starb … ich weiß nicht, ob ich auch so etwas gemacht hätte.
Die Zeile „I Feel The Pain Of Everyone / And Then I Feel Nothing“ aus „Feel The Pain“ wurde von vielen Hörern auf den Suizid Cobains gemünzt.
Mascis: Die Deutung ist mir neu. Aber das Gefühl kennt ja jeder. Manchmal geht es einem so schlecht, dass man sich einfach nur noch abschotten will.
Das Album-Cover von „Without a Sound“ …
Reichenheim: J, Du hast einen Pullover mit der Figur drauf, oder?
Mascis: Den Pullover trägt einer der Hauptdarsteller aus der Comedy-Serie „The Mighty Boosh“, da hatte ich ihn zuerst gesehen.
Trägst Du auf der Bühne eigentlich Ohrstöpsel, um dich vor der brachialen Lautstärke deiner eigenen Band zu schützen?
Mascis: Immer. Es kam ja auch schon vor, dass meine Verstärker aufgrund der Lautstärke hochgegangen sind. In der Anfangszeit von Dinosaur Jr. habe ich vielleicht noch auf Ohrstöpsel verzichtet, weil ich mich auf die Musik einstellen wollte.
Wird es eine US-Premiere von „Freakscene“ geben?
Mascis: Yeah.
Reichenheim: Sicher. Für den amerikanischen Markt suchen wir noch nach einem Partner, in den deutschsprachigen Ländern stehen die Kinolaufzeiten ja schon fest. Japan kommt, das UK und Irland. Für die USA arbeiten wir noch enger mit Js Management zusammen, denn es ist ja das Heimatland der Band, und da herrscht eine ganz eigene Verbundenheit. Ich bin sehr froh, dass „Freakscene“ vor allem ein richtiger Kinofilm geworden ist, unabhängig davon, dass er danach auf Blu-ray erscheinen kann oder als Stream.