Diesseits der Arenen
Songschreiber, Produzent und Medien-Pionier Todd Rundgren hat sich längst an ein wesentlich kleineres Publikum gewöhnen müssen.
Selbst ein Mann, der seien schönen middle name Harry ohne Hochstapelei durch „Innovation“ ersetzen könnte, hat mal Lust auf Altvertrautes. Also steht Todd Rundgren, der vom ersten interaktiven TV-Konzert (1978 in Columbus, Ohio) über das erste interaktive Album („No World Order“, 1992) bis zum ersten Künstler-Direkt-Abonnement im Internet (PatroNet, 1998) immer wieder gern den Pionier gab, mit einem Album in der Tür, das zum Titel „Arena‘ auch das kompatible (und leider arg steril produzierte) Rock-Gitarren-Brett liefert, zwischen Blues-Recycling („Gun“) und AC/DC-Riffs („Strike“). „Ja, manchmal bleibt, dir nichts anderes mehr übrig — pushing ihe envelope, but there is no envelope to push!“
Rundgren, im Sommer 60 geworden, lacht in ein Telefon auf Hawaii, wo er schon seit 1996 lebt. Eigentlich war es erst als Ruhestands-Refugium vorgesehen. „Ich war Nordkalifornien dann schon vorher leid. Es war nicht länger ein aufregender Ort für Musik und Computer, sondern nur noch für Investment-Banker.“ Auch ,Arena“ entstand größtenteils vorm Laptop in seinem Haus auf der Insel, der Gesang klang auf der Frauen-Toilette am besten. „Es war auch eine Gelegenheit, mal wieder wirklich mit Gitarrensounds zu experimentieren. Der andere Kram, der sonst die Räume füllt, blieb außen vor, da musste die Gitarre schon weiter gehen, damit es interessant blieb.“ Hat also der Gitarrensound die Songs diktiert?“Könnte man fast sagen. Aber ich nehme ohnehin den Song auf, bevor ich ihn schreibe. Ich sammle Grooves mit einer Drum-Machine, Bassläufe und Akkordfolgen kommen hinzu, bis es sich wie ein Song anhört. Zuletzt kommen Text und Gesang.“
Platten repräsentieren für Rundgren auch in der Download-Ära immer noch einen Lebensstil. „Araw“ stehe dafür, „dass Menschen sich durch Musik als Einheit erleben und motiviert statt nur von ihr unterhalten werden“. Den Unterschied definiert er so: „Ich hab die Stones und U2 im Stadion gesehen – eine völlig andere Erfahrung. Zu den Stones gehen viele Leute, die nur ein Konzert im Jahr sehen. Niemand ist da. weil die Stones gerade eine weltverändernde Platte rausgebracht haben. Das haben sie hinter sich, und solange Mick 20 Meilen am Abend laufen kann… Die ,Zoo TV-Tour von U2 dagegen war mehr als nur Spektakel. Die Eintrittskarte war quasi die Berechtigung, dich als Teil einer Weltjugendbewegung zu fühlen, nach dem Fall der Mauer. Das war das ganze Potenzial von Arena-Rock. Aber natürlich ging es schon immer vor allem darum, irgendwen fürs Bett aufzureißen. Das gehört dazu ebenso wie Songs, die jeder schon kennt oder spätestens beim letzten Refrain kennengelernt hat. Gereckte Fäuste, die Feuerzeuge – es gibt viele Wege dahin.“
Die Wege als Produzent blieben Rundgren zuletzt zwischen inflationärem Homerecording und knappen Firmenbudgets versperrt. „Bat Out Of Hell“von Meat Loaf, seine „finanziell einträglichste Produktion“, war 1977 „ein Unfall“, weil doch nur „als Springsteen-Parodie“ gedacht, „Skylarking“ von XTC markierte 1986 bis heute das andere Extrem: „Soviel Arbeit, aber ihrer Karriere nicht gerade zuträglich… Ich war wertvoller in einer Zeit, als man mit einer Plattenproduktion quasi den Zähler für eine sehr teure Taxifahrt anstellte. Ich konnte den Prozess so effektiv gestalten, dass meist genug Geld da war. Heute ist die Rolle des Produzenten entwertet. Was nicht heißt, dass die Leute keine Hilfe mehr brauchten. Mein ganzes Geheimnis kreiste ohnehin immer ums Songschreiben. Das Material muss vorher so gut sein, dass die Musiker sich selbstbewusst nur auf ihre Performance konzentrieren können.“
Rundgren hat seine wenigen Hits wie „Can We Still Be Friends“ auch schon jenseits von Arenen gesungen; mit seiner alten Band Utopia durfte er in den 70er Jahren mehrmals das Knobworth-Festival für die Stones oder Led Zeppelin anheizen. „Zu viele Leute, um sie zusammenzubekommen, da braucht der Sound ja schon zwei Sekunden, um die letzten Reihen zu erreichen.“
Was heute freilich kein Problem mehr ist, wenn Todd Rundgren sein Quartett statt vor 300 000 auch mal vor nur 300 Leuten spielen lässt. „Aber die sollen trotzdem die Fäuste recken, wenn ich ,Strike‘ spiele! Wir versuchen die Atmosphäre zu kreieren, auch wenn es alles andere als eine Arena ist, wo wir spielen. Es ist eine Übung in selbsterfüllender Prophezeiung: Spiel Arena-Rock — und früher oder später wirst du auch in einer Arena ankommen. Schreib die Musik für den Ort, an dem du dich wiederfinden möchtest- und vielleicht kommt der Ort sogar zur Musik.“
Mitte November kommt jedenfalls der „Club Harmonie“ in Bonn zur Musik, in dem Todd Rundgren sein einziges „Arena“-Konzert in Deutschland spielen wird. Weit entfernt von den Arenen der Welt.