Dieser Onkel
Er scheint schon immer hier gewesen zu sein: Einige Gedanken zu dem genialen Kauz Neil Young, der jetzt tatsächlich 65 Jahre alt wird.
Seit dem Jahr 2002 versuchen wir bei jedem neuen Album, ein Interview mit ihm zu bekommen. Meistens meldet sich die deutsche Dependance von Warner: Es gebe jetzt wahrscheinlich die Gelegenheit, mit Neil Young zu sprechen, sagt Amerika. Sicher sei es noch nicht, aber es könne in dieser Woche stattfinden. Oder in der nächsten. Jederzeit. Nur das Management müsse sich noch äußern. Die neue Platte könne man dann auf dem Flug nach Los Angeles hören. Oder auf dem Flug nach New York. Oder auf dem Flug nach San Francisco. Dann passiert ein paar Tage nichts. Dann heißt es: Onkel Neil wolle vielleicht mit drei Europäern sprechen. Vielleicht mit einem Deutschen. Gestern habe er mit einem Amerikaner geredet. Noch habe das Management sich nicht gemeldet. Der Reporter hat gepackt. Dann heißt es: Neil wolle jetzt wohl doch nicht mit Europäern sprechen. Er gebe eigentlich gar kein Interview mehr. Das ist das Letzte, was man hört.
Fünf Mal ging das so seit 2002, als Wolfgang Doebeling den Alten zu „Are You Passionate?“ befragte. Doebeling hatte das Album im Flugzeug gehört, später galt es als eines von Youngs schlechtesten. Zu Beginn des Interviews fragte Young: „Wie finden Sie es?“ Doebeling lavierte. „Für mich zählt es zu den besten fünf“, sagte Young.
Wir Youngianer hatten bis zu diesem Zeitpunkt schon allerlei mitgemacht, „Hawks And Doves“ überstanden und, ,Trans“. 1983, als Young „Everybody’s Rockin'“ aufnahm, schien er älter zu sein, als er jetzt wird. In den 80er-Jahren galt er als Wahnsinniger. „Landing On Water“, schmierige Synthesizer, ein Irrsinn. Er galt als Freund der Atomkraft und Apologet von Ronald Reagan. David Geffen verklagte ihn wegen absichtlicher Aufnahme von unkommerzieller Musik.
Dann kam das Jahr 1989, der Protest auf dem Platz des himmlischen Friedens, die chinesischen Studenten stellten sich den Panzern entgegen. Im Herbst erschien „Freedom“, es war wie zur Zeit von „Ohio“, und auf der Platte spielte Neil Young die besten Songs seit „Rust Never Sleeps“. Im Dezember trat er in einem Club in Hamburg auf; etwa 1000 Leute hatten Karten, vor dem Eingang bettelten alte Hippies um Einlass, für meine Pressekarte hätte ich 200 Mark bekommen. Drinnen wartete man eineinhalb Stunden in drangvoller Enge bei 40 Grad, vom Band plärrte Blues. Dann endlich kam Neil Young auf die Bühne und schollerte „Rockin‘ In The Free World“, er spielte die große Erzählung „Crime In The City“ und „Hey Hey, My My“, und als er sich für „After The Gold Rush“ ans Klimperklavier setzte und etwas murmelte, hatte man den Eindruck, er sei besoffen. Es war das ergreifendste Konzert, dem ich je beigewohnt hatte.
Seitdem variiert Onkel Neil seine ewigen Themen (Liebe, Krieg, Natur, graue Haare, Highway, Freiheit, Wind, Zeit), spielt mit Crazy Horse, mit Crosby, Stills & Nash und anderen Besetzungen, manchmal auch allein, er lärmt, er trägt heulsusigen Folk vor oder erschütternde Pastoralen; er hat mit „Greendale“ einen Experimentalfilm vorgelegt, mit „Living With War“ gegen George W. Bush und den Irak-Krieg gestänkert und in den Südstaaten die Rednecks aufgebracht. Mit „Archive Vol. 1“ veröffentlichte er den ersten Teil der seit 20 Jahren angekündigten Retrospektive. 2006 drehte Jonathan Demme den Film „Heart Of Gold“: Neil Young erinnerte sich bei diesem Auftritt an die Kindheit in Kanada, die harten Winter, seine frühen Jahre in Kalifornien. „For Dad“, steht im Abspann. Der Sportreporter Scott Young war im Alter von 80 Jahren gestorben.
Am 12. November wird Neil Percival Young 65 Jahre alt. Es spricht viel dafür, dass er der erste Rockmusiker sein wird, der niemals stirbt.