Diese Birne hält einiges aus
Milla Jovovich wurde vom Junior-Starmodel zur Zombiekillerin – weil sie alle Tricks der antiken Sagenhelden kannte.
Der letzte besonders wertvolle Film, in dem wir Milla Jovovich gesehen haben, ist auch schon wieder eine Weile her. Die Anbetungswürdige mit dem provokant wissenden Lächeln hat es zwar geschafft, zum thinking man’s Pin-Up zu werden, sie kann in fast allen Ländern, in denen sie je gemodelt hat, in der Landessprache einen Drink bestellen und betreibt neben Schauspiel und Modezeitschriften noch eine Minikarriere als anspruchsvolle Singer/Songwriterin. Trotzdem hat sie sich im Kino mittlerweile ausgerechnet als Action-Star etabliert. Als um sich kickende Kriegerin, die in problemlos engen Catsuits Männer verprügelt.
Mit fünf Jahren wurde sie von den Eltern aus der Ukraine nach London mitgebracht, dann nach Los Angeles. Den ersten Fotojob bekam sie mit elf von Richard Avedon, ein wenig später zog sie los, um der Welt beispiellos grazil den Kopf zu verdrehen und im Fernsehen Witze zu reißen, die andere Models gar nicht erst verstanden. Im Sommer 2010 wirkt Milla Jovovich, mit 34 und einer fast dreijährigen Tochter namens Ever Gabo, mehr wie eine saturierte Lady aus einem alten Film. Im grünen Kleid, mit einem Wasserfall aus Ketten um den Hals und kecker Fönfrisur sitzt sie auf der Dachterrasse des Berliner Soho House, raucht American Spirit. Und macht betont nebenbei Werbung für den neuen Film ihres Ehemanns Paul W. S. Anderson, der vierten Folge der immens erfolgreichen „Resident Evil“-Reihe, in der sie wieder die Hauptrolle spielt und Zombies und böse Industrielle erschießt.
„Die Special Effects und Stunts sind wirklich sehr beeindruckend“, merkt sie an, „sie wirken so, als würde man mit dem Knüppel eins über die Birne kriegen. Und, was für ein Zufall: Ich habe tatsächlich ab und zu ein paar auf die Birne bekommen, als wir sie gedreht haben!“
Frau Jovovich, wie oft haben Sie wohl schon im Kino die Welt oder die Menschheit gerettet?
Äääh … in „Das fünfte Element“ zum Beispiel … aber in „Resident Evil“ rette ich eigentlich nicht die Welt. Ich bin sogar die Ursache dafür, dass ein böses Virus in die Welt gekommen ist. Den kann man also wirklich nicht zählen.
Aber Sie sind doch plötzlich gut und auf der Mission, Menschen zu retten.
Alice ist eine großartige Anti-Heldin. Sie versucht, so viele wie möglich zu retten und die Bösen zu vernichten, die die Misere angerichtet haben. Aber man darf nie vergessen, dass auch sie Mitschuld trägt. Ihr Egoismus hat die Katastrophe ausgelöst, und jetzt sucht sie nach Absolution. Eine vielschichtige Figur!
Sie stehen ja oft in diesen „Bad-Ass Movie Babes“-Hitlisten …
Nun ja, bad-ass ist bad-ass. Die Welt retten, das steht auf einem anderen Blatt.
Ist aber schon auffällig, dass es in diesen Filmen immer gleich um Weltherrschaft und Weltzerstörung geht. Darunter macht es kein Bösewicht.
Das liegt daran, dass Filme, vor allem Action-Filme, die Mythologie unserer Generation sind. Ich selbst bin mit Märchen- und Science-Fiction-Büchern aufgewachsen, in denen Helden die Welt gerettet haben. Aber zuletzt waren es häufiger Comics, Games und Filme, die solche Geschichten erzählt haben. In ihnen regieren die Helden und Teufel, die Batmans, Spidermans, Catwomen. Sie sind die olympischen Götter der Gegenwart.
Haben Sie einen besonderen Nerv dafür?
Ich habe als Kind wahnsinnig gern Sagen gelesen. Mit sieben Jahren habe ich mal in einem Griechische-Mythen-Wettbewerb einen Geschichtsprofessor vom College geschlagen! Mein Onkel, der selbst auch Professor war, hat 50 Dollar darauf gesetzt, dass ich jede Frage beantworten könne, die er mir stellt. Er fand die Vorstellung absurd, aber ich habe triumphiert!
Wissen Sie die Siegerfrage noch?
Natürlich. Wie heißt der Mann, der immer wieder einen Stein den Hügel hinaufrollen muss, der am Ende wieder herunterrollt?
Aber das ist wirklich einfach!
Ach ja?
Hatten Sie denn auch Idole aus Fleisch und Blut?
Zuerst kamen die Comicfiguren. Ich wuchs ja in der 80er-Jahre-Cartoon-Generation auf. „Thundercats“, „She-Ra – Princess Of Power“ und so weiter. Prinzessinnen mit Feuer unterm Rock und Amazonen, die Saltos schlagen und richtig schnell rennen konnten, mochte ich am liebsten. Chitara von den Thundercats zum Beispiel.
Da wären wir wieder bei Ihren Filmrollen.
Ja, es sieht im Nachhinein sehr folgerichtig aus, dass ich im Action-Genre gelandet bin. Ich habe als Kind auch selbst solche Figuren gezeichnet, Frauen mit Superkräften, Hexen und Zauberer. Außergewöhnliche Charaktere.
Hatten Sie Ihre eigene Comicserie?
Ja, aber das war eine sehr offensichtliche „Thundercats“-Kopie. Damit man es nicht gleich merkte, nannte ich sie „Icecats“. Ich fürchte, die „Thundercats“-Leute könnten mich verklagen, wenn ich die Serie ins Fernsehen bringen würde.
Aber noch mal zur Frage von vorhin: Wer war Ihr erster menschlicher Held?
Meine Mama! Wir haben ja viel gemeinsam durchlitten. Die große Reise, die Ankunft in einem neuen, unbekannten Land. Wir waren ständig zusammen, Komplizen gewissermaßen. Sie opferte alles, nur um mir eine Zukunft in Amerika zu ermöglichen, und mutete sich und der Familie harte Zeiten zu. Schon als Kind war ich dafür sehr stolz und dankbar. Ich wollte am liebsten ihre Heldin sein.
Waren Sie selbst auch eine Kämpferin?
Nein, ich war eher ein passives Mädchen. Ich saß stundenlang in meinem Zimmer und spielte für mich allein. Ich zeichnete, las Bücher, hörte Musik. Ich konnte mich gut selbst bei Laune halten. Meine Eltern hatten kaum Ärger mit mir. Meine eigene Tochter allerdings kann ein ziemliches Miststück sein. Das wechselt von Generation zu Generation: Sie ist eher wie meine Mutter.
Man liest, sie hätten eine rabaukenhafte Jugend gehabt.
Oh ja, ein paar Kreditkartenbetrügereien habe ich schon auf dem Konto. Ich bin verhaftet worden … nicht wirklich, mit 14 verhaftet einen ja keiner. Ich sag’s mal so: Ich habe vom Arm des Gesetzes ab und zu eine gescheuert bekommen, weil ich mit bösen Skatern herumhing. Dummes Zeug, Rebellenspiele. Ich hatte ja schon mit elf Jahren meine erste Filmrolle, und sogar davor hatte ich gearbeitet. Mit neun hatte ich Klavier- und Gitarrenstunden, Ballett, Tanz, Schauspielstunden. So gesehen war ich doch ein sehr diszipliniertes Mädchen.
Wollten Sie wie die Comichelden Ihrer frühen Kindheit sein? Wollten Sie die Welt verbessern?
Schon. Ich bin sehr leidenschaftlich und versuche immer mein Bestes, um Menschen zu helfen. Ich mache bei verschiedenen Charity-Projekten mit. Ganz sicher, ich wollte die Welt verändern, wenn ich groß bin. Will das nicht jedes Kind?
Gab es konkrete Vorstellungen?
Ich war Gerechtigkeitsfanatikerin und hielt immer zu den Underdogs. Wenn ein Kind in meiner Schule gehänselt wurde, hab ich es verteidigt.
Saßen Sie in der Pausenhofecke mit den Nerds und den kleinen schwarzen, nägelkauenden Mädchen?
Schwarze Mädchen?
Schief ausgedrückt, ich meinte: Gothic-Mädchen.
Ach so. Weil ich nämlich wirklich mit vielen schwarzen Mädchen aufgewachsen bin. Aber die kauten keine Nägel, die waren wunderschön.
Also, wie war es denn nun?
Wie gesagt, ich habe jung mit dem Arbeiten angefangen und hatte wenig Zeit, um mit Freunden und Freundinnen rumzuhängen. Eine meiner noch heute besten Freundinnen kannte ich schon mit sieben. Nur, wer es aushielt, dass ich oft und lange nicht da war, konnte mit mir befreundet sein.
Haben Sie sich in dieser Modelzeit nie gefragt, ob hinter dem, was Sie da tun, eigentlich ein Sinn steckt? Ob Sie sich vielleicht, wie die Frauen in Ihren Filmen, auf einer Mission befinden?
Ich war immer eine Träumerin. Und bin es heute noch. Große Teile meines Lebens verbringe ich in meinem eigenen Kopf. Meine Arbeit habe ich damals einfach erledigt, ohne viel hineinzuinterpretieren. Zeichnen, Lesen, Gitarrespielen, Songs schreiben, das waren die Sachen, die mir ein gutes Gefühl gaben: weil ich da selbst Dinge erschaffen und gestalten konnte. Mich ausdrücken konnte. Ich wurde zu meiner eigenen Lehrerin.
Sie wirkten am Anfang schon ein wenig wie der extrovertierte Freak, das Mädchen vom anderen Stern …
So habe ich mich natürlich nie gesehen. Anders war ich trotzdem, weil meine Mutter mich überall hin begleitete, bis ich 17 war. Man sah damals eine Menge junger Mädchen, die ohne Bezugspersonen mitten in den Metropolen strandeten – sehr gefährlich. Wenn meine Mama nicht dabei gewesen wäre, wäre ich natürlich auch zu den wilden Partys gegangen und hätte Drogen genommen. Stattdessen las und zeichnete ich.
Hat Ihre Mutter Sie belehrt?
Ja, aber im Guten. Sie sagte immer: Verlass dich bloß nicht aufs Modeln, das kann schnell vorbei sein. Dass ich heute, 25 Jahre später, immer noch im Geschäft bin, ist ja reines Glück. Sie brachte mir bei, dass ich zumindest mein Talent und meinen Grips auch dann noch habe, wenn ich nicht mehr gut aussehe. Sie gab mir Unterricht. Amerikanische Schulen liegen im Vergleich zu russischen Schulen ja weit zurück …
In Krisenzeiten hilft Ihnen die Erziehung auch nicht mehr viel. Ist „Resident Evil“ der richtige Film für die Gegenwart? Wollen die Menschen angesichts der Wirtschafts- und Sicherheitslage nicht lieber Komödien?
Wir hatten eigentlich im Sinn, dass die Leute das Kino voller Energie verlassen und sich sagen: „Wow, das war mal eine Achterbahnfahrt!“ Dass die Leute bei der letzten Wirtschaftskrise in den 30er-Jahren vielleicht mehr Komödien gesehen haben, liegt sicher daran, dass die Special Effects in den Actionfilmen damals noch nicht so toll waren. Heute sehe ich keinen Unterschied mehr, was den Unterhaltungswert betrifft.
Wie ist das bei Ihnen: Schauen Sie lieber lustige oder traurige Filme, wenn es Ihnen nicht gut geht?
Unbedingt einen lustigen. Neulich war ich mal sehr sehr traurig und weinte den ganzen Abend. Mein Mann bot mir einen Platz auf der Couch an, nahm mich fest in den Arm, goss mir ein Glas Champagner ein und legte „Trauzeuge gesucht!“ mit Paul Rudd ein. Den kann ich auswendig. Und dann sagte er: „Baby, das brauchst du jetzt!“
„Resident Evil: Afterlife 3D“ kommt am 16. September in die Kinos.