Die zwei von der Tankstelle

In ihrem ersten gemeinsamen Film spielen Daniel Brühl und Jürgen Vogel die rasant romantische Geschichte von zwei Männern, die beste Freundinnen werden

Das ist echt keine typische Männeranekdote, aber der Schauspieler Daniel Brühl, 28, erzählt sie gerade deswegen: der beste Moment der letzten Dreharbeiten. „In der Nähe von Köln, in einem Industriegebiet, mussten wir immer an einer bestimmten Autobahntanke wenden“, erinnert sich Brühl mit dem von ihm bekannten, leicht verpeinlichten Lächeln. „Das war spät in der Nacht, da war meistens nichts los. Aber einmal stand da eine Mofaclique, 16-, 17-Jährige. Die Kamera war versteckt, die haben also nicht mitbekommen, dass da gerade ein Film gedreht wird. Dem einen ist echt die Kinnlade runtergeklappt. Der hat uns nicht erkannt, der hat nur gesehen: Da kommt morgens um drei ein Typ nackt im Porsche an die Tanke gefahren, und danach gleich noch einer. Die werden sicher noch tagelang gerätselt haben, was das für Nasen waren.“

Wer früh am Morgen in der Nähe von Köln einen unbekleideten Mann sieht, würde wohl auch als Allerletztes auf der Welt glauben, dass das Daniel Brühl sein könnte. Dem anderen Nacktfahrer, Jürgen Vogel, zehn Jahre älter, also 38, traut man das eher zu. „Ich hab bei der Szene meine Sitzheizung ganz hochgedreht“, sagt Vogel. „Sehr angenehm.“

Es ist ein schwüles Gefühl, sich zwei der bekanntesten deutschen Schauspieler in so einer gemeinsamen Szene vorzustellen, auch wenn sie in getrennten Wagen sitzen – mit dem Gefühl ist man bereits am pochenden Herzen des Films, der Ende Oktober startet und „Ein Freund von mir“ heißt. Nach Vogels zermürbendem Vergewaltiger-Psychozirkus „Der freie Wille“: eine Erleichterung. Eine Mischung aus Mädchen- und Männerfilm (was in der Summe dann wohl doch eher einen Mädchenfilm ergibt), wie man sie im deutschen Kino noch nicht gesehen hat scharfe Flitzer, voll empfindsame Gespräche, ein christlicher Autovermieter, ein freundliches Kuchenessen mit dem gewaltbereiten Ex-Geliebten der Freundin. Und die gütebesiegelten Stars Brühl und Vogel zum ersten Mal vernünftig zusammen in einem Film. Das tatsächlich erste Mal zählt nicht, weil Vogel ein, nun ja, Vogelkostüm trug, als er in Brühls „Good Bye, Lenin!“ im Supermarkt kurz durchs Bild lief.

In „Ein Freund von mir“ ist Brühl der erfolgreiche, aber verklemmte Versicherungs-Mathematiker Karl, der die Arbeitsbedingungen bei einem potentiellen Klienten ausspionieren soll, einem Autovermieter. Als Undercover-Hilfskraft lernt er dort den erfolglosen, aber dafür wiederum extrem unverklemmten Hans kennen (Jürgen Vogel), der ihm dann zeigt, wie man Quatsch macht, zuviel redet, viel zu schnell fährt, sinnlose Wetten verliert und Dinge tut, für die überlastete Manager in den Neunzigern in Urschrei-Camps eingecheckt haben. Als reine „Klemmi macht sich locker“-Geschichte wäre das banal und witzlos. Dass es vor allem um die diffusen, in sich brüchigen Männerrollen von heute geht, dass der Porsche auf der großen Realitätsflucht nicht zur Schwanzverlängerung, sondern zum kindischen Spielauto wird und dass Karl sich eigentlich nur deshalb in Hans‘ Freundin Stelle verknallt, weil er Hans selbst nicht haben kann, das gibt dieser wunderbare, kluge Film nicht sofort preis. Die einzige Liebesszene zwischen Karl und dem Mädchen Stelle wird — bizarr und bezeichnend – in spanischer Sprache abgehandelt, also wie im Reiseführer. Und wer das trotzdem alles kitschig findet, kann sich vielleicht noch darüber freuen, wie großartig Vogel und Brühl zusammen spielen, sich gegenseitig provozieren und bei aller Liebe nie zu stark übertünchen, dass diese zwei Typen sich im richtigen Leben verachten würden.

Im richtigen Leben sind die zwei Männer ihren Filmcharakteren allerdings ähnlicher, als einem lieb sein dürfte. Vogel zum Beispiel hatte tatsächlich solche Hilfs-Jobs, arbeitete in Großküchen, stand als Security an Party-Türen und renovierte Treppenhäuser, während Brühl, wie er sagt, „in einem verwöhnten, bürgerlichen Kontext groß geworden“ ist und sich das erste Geld verdiente, als ihm der Onkel in seinen WDR-Hörspielen kleine Vorleser-Rollen gab. „Das Männlichkeitsding hatte für mich immer damit zu tun, dass man sich behauptet hat, obwohl man Schiss hatte“, erzählt Brühl aus der Kindheit. „Ob man’s heute glaubt oder nicht: Ich war immer der Spaßmacher. Ich wusste eben, dass ich nicht der ganz harte Macker bin. Obwohl ich trotzdem relativ gut im Sport war.“

Dass der Hamburger Jürgen Vogel der härtere Macker war, hat jedenfalls nichts mit dem Vater zu tun, der gewöhnlich ja immer an allem schuld ist: Der kümmerte sich wenig um die Söhne. „Ich war ziemlich früh auf mich allein gestellt, aber ich hatte einen sechs Jahre älteren Bruder, der mein eigentliches Vorbild war. Der war ein Freak, der merkwürdige Vogel, der früh mit dem Kiffen angefangen hat und merkwürdige Freunde hatte, die viel Scheiße gebaut haben. Zu der Clique wollte ich auch immer dazugehören. Wir kommen halt aus einer sehr einfachen Gegend, da gab es diese männlichen Rituale, Mutproben und so. Man musste sich von einem Müllcontainer, anderthalb Meter hoch, auf eine Matratze fallen lassen und dabei die Hände hinter dem Rücken verschränken.“

In der fantastischen Welt des Spielfilms bekam Vogel dann eben die struppigen, Straßennahen Rollen, zuletzt unter anderem die des aggressiven Rockstars Hansen in „Keine Lieder über Liebe“, die ihm auch noch eine kleine Plattenkarriere schenkte – und Brühl spielte halt die Söhne und Zivis und in „Die fetten Jahre sind vorbei“ den gutmeinenden Rebellen.

„Ein Freund von mir“ zeigt dagegen den sonderbaren Zusammenhang, den es in der ökonomischen Realität zwischen Mackertum und sozialem Status zu geben scheint: Der von Brühl gespielte Karl hat sich freiwillig untergeordnet und es so in den Rang des Besserverdieners geschafft. Hans dagegen, der den Schulmädchen hinterherpfeift und vom Rausch der Geschwindigkeit faselt, lebt von Jobs, in denen er die teuren Autos fremder Leute fahren darf.

Dass Autor und Regisseur Sebastian Schipper die komische Männer-Konstellation dann in geliehene Ferraris verpflanzt hat, ist ein genialer Spielzug. Schon in Schippers erstem Film .Absolute Giganten“ von 1999 ~ an dem neuen Buch hat er lange geschrieben – ging es um Autos und Männerfreundschaften, aber für Vogel und Brühl hat er nun Dialoge verfasst, wie sie in Filmen sonst eigentlich von Frauen geführt werden. „Unser Autor ist ein Lyriker!“ sagt Jürgen Vogel. „Er hat eine sehr interessante Art, Dinge, die eigentlich einfach sind, in Worte zu fassen, die viel künstlicher wirken. Das ist beim Filmen aber gerade interessant, dass es so viele Ebenen und Möglichkeiten gibt, Sachen manchmal auch etwas umständlicher zu machen und dadurch trotzdem etwas zu erzählen. Das ist ja eigentlich unsere Aufgabe. Dass wir nicht immer alles auf dieselbe Art erzählen.“

Bei aller Verwirrung erzählt „Ein Freund von mir“ in erster Linie eine Liebesgeschichte, und weil die zwei Protagonisten ja nicht wirklich zusammenkommen können und wollen, erzählt der Film die Geschichte eben umständlicher: Er zeigt nur, was die Liebe mit den Menschen macht. Den Aspekt der Geschwindigkeit haben Daniel Brühl und Jürgen Vogel übrigens auch in die Promotion eingebracht. Am Sonntag vor dem Filmstart versuchten sie, zwischen zehn Uhr morgens und halb neun Uhr abends sechs Premierenkinos in ganz Deutschland zu besuchen, um Will Smith den Weltrekord abzujagen. Ob sie es geschafft haben, wissen wir zum Redaktionsschluss noch nicht – Brühl durfte hoffentlich nicht ans Steuer. Der verfuhr sich am ersten Ferrari-Drehtag nämlich so hoffnungslos, dass Vogel ihn am Handy zurück zur Crew lotsen musste. So ein guter Freund.

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