Die wilden Rosen
Der Zenit von Caves Schaffen zwischen 1994 und 2001: Mordballaden und die Wechselfälle der Liebe
Nick Cave ***** No More Shall We Part
Nach dem zerschossenen Album „Henry’s Dream“ nahm Nick Cave gleich noch eine zerschossene Nick-Cave-Platte auf, diesmal der Liebe gewidmet – die Orgel schwelt, das Klavier tönt wie in der Geisterbahn, und der Meister grollt: „All things move towards an end.“ Er hatte die Fibeln und die Lyrik gelesen, er war um die Welt gereist, er hatte seine Heroinsucht überwunden – nun stand der Fatalist vor dem Rest seines Lebens. „Let Love In“ (1994, x{2605}x{2605}x{2605}) ist ein Werk des Übergangs – der Teufel und das Böse schleichen noch vor der Tür herum, die Glocke schlägt wie im Gruselfilm, und Cave und Blixa Bargeld treiben im lärmenden „Loverman“ ordentlich Mummenschanz. Später lagerte Cave solche Momente auf die Platten von Grinderman aus.
Caves Beschäftigung mit dem Blues, aber auch mit dem Country-Song und dem Storytelling überhaupt musste eine Arbeit hervorbringen, die sozusagen Poetologie und Poesie in einem ist. „Murder Ballads“ (1995, x{2605}x{2605}x{2605}x{2605}1/2) pendelt zwischen Klassizismus und Formstrenge und überbordendem Wahnwitz: Der liebliche „Song Of Joy“, Bob Dylans mildes „Death Is Not The End“ und das traditionalistisch brave Duett mit Landsfrau Kylie Minogue, „Where The Wild Roses Grow“, auf der einen Seite – und auf der anderen der brutale Irrsinn von „Stagger Lee“ und der lustvolle Zynismus von „O’Malley’s Bar“, der im Parodistischen und im Slapstick marodiert. Diese Mordballaden nehmen das Motiv des Makabren und Schaurigen auf, das man bei Edgar Allan Poe ebenso findet wie bei Mary Shelley, in Folk-Songs und in Todesliedern wie „Death Cab For Cutie“.
Die Befreiung aus der Überlieferung bedeutete den Sprung ins Autobio- grafische. Die Seemannsgesänge und Italo-Western-Szenarien der Bad Seeds sind auf „The Boatman’s Call“ (1997, x{2605}x{2605}x{2605}x{2605}1/2) verschwunden: Hier erinnert sich ein Mann an das Idyll unter Kirschbäumen, besingt das „West Country Girl“ und die Frau mit dem schwarzen Haar, dem milchweißen Hals und den Tränensäcklein unter den Augen. „There is a hand that protects me/ And I do love her so“, säuselt der Hallodri, ein Idiot der Liebe, dem im erschütternden „Where Do We Go Now But Nowhere?“ dämmert, dass alles dem Tod geweiht ist.
Diese schwarze Metaphysik der Liebe wurde nur noch übertroffen von „No More Shall We Part“ (2001), der Summe der Caveschen Romantik und Rabulistik: Bessere Liebeslieder als „And No More Shall We Part“ und „Sweetheart Come“ kann niemand schreiben, und für den Schrecken von „The Sorrowful Wife“, die Inbrunst von „Hallelujah“, das Sentiment von „We Came Along This Road“ und die Transzendenz von „Darker With The Day“ findet man nur bei Leonard Cohen Ebenbürtiges.
Wie schon bei den früheren Alben sind die Stimmen von Zeitgenossen und Zeugen (als sprechende Gesichter vor schwarzem Hintergrund) auf der DVD ein guter Teil des Vergnügens an der Edition. (Mute) Arne Willander