Die Wilden reiten weiter
In England überlebten die Rocker der 60er-Jahre in der Nische. Eine Szene, die der Fotograf Horst A. Friedrichs liebevoll dokumentiert.
Mods und Rocker sind Todfeinde. Das galt schon, als Pete Townshend seine ersten Pillen schluckte. Mit „Quadrophenia“ gossen The Who die Sage von den rivalisierenden Tribes in eine Rockoper, wie man seit „Arthur“ von den Kinks und „Tommy“ Konzeptalben mit durcherzählter Story nennt. Franc Roddams Verfilmung stiftete 1979 die bis heute gültigen Bilder zum Stammeskrieg der Styles: Strandpromenade von Brighton, Northern Soul im Casino, der treffend besetzte Phil Daniels als Jimmy, der grotesk aber irgendwie doch passend besetzte Sting als Blender-Mod-Star. 30 Jahre später veröffentlichte der Fotograf Horst A. Friedrichs, ein halbgriechischer Frankfurter in London, ein Fotobuch über Mods. Und 31 Jahre später macht derselbe Typ nun ein Fotobuch über die Gegenseite: „Or Glory – 21st Century Rockers“.
„Ich bin mehr der Mocker“, sagt Friedrichs. „I’m a Mocker“, sagte Ringo Starr 1964 auf die Frage eines Journalisten, was er denn nun sei: Mod oder Rocker? „Die Beatles waren ja Rocker“, meint Friedrichs. „Die Anzüge haben sie nur angezogen, um Platten zu verkaufen.“ Tatsächlich waren John, Paul, George und Ringo beides: Mods für ihre Liebe zum Soul. Rocker für ihre Liebe zum Rock’n’Roll. Auch in Stilfragen legten sie sich nicht fest, für Puristen ein Zeichen der Schwäche: In den 60er-Jahren war die Frage nach Mod oder Rocker eine auf Leben und Tod, fast jedenfalls.
45 Jahre später schließt Horst A. Friedrichs den Kreis der Pop-Stammeskriege mit einem historischem Kompromiss. Seine zwei Bildbände dokumentieren, wie sich die ehedem antagonistischen Jugendkulturen in friedlich koexistierende Trachtenvereine verwandelt haben. Trachtenvereine auf hohem englischen Pop-Niveau, versteht sich. Friedrichs erzählt von gemeinsamen Parties in London: „Da tanzen die Mods in einem Raum, die Rocker im nächsten Raum. Alles vintage, sehr britisch. Über Klamotten kommt man gut ins Gespräch.“
Offenbar haben die einst verfeindeten Gruppen erkannt, dass sie heute mehr verbindet als trennt. Gemeinsam ist Mods und Rockers der unbedingte Stilwille, das klar umrissene Selbstbild und der Hang zum Fetisch. Das unterscheidet sie vom großen Rest der Gesellschaft, das stiftet Identität, also ziehen sie sich gemeinsam in die Nische zurück, wenn auch nach Räumen getrennt.
Die Idee für das Rockerbuch „Or Glory: 21st Century Rockers“ kam Horst A. Friedrichs ausgerechnet bei einem Fototermin mit Mods. „Ein Mode-Shooting in King’s Cross, Kopfsteinpflaster, Backsteinhäuser, es sieht aus wie ein 60er-Jahre-Film, ich fotografiere Mods in Anzügen mit Scootern, plötzlich wackelt der Boden, ich höre ein Geräusch, sechs, sieben Rocker auf britischen Bikes, Triumph, Norton, Lederjacken und weiße Schals, fünf, sechs Jungs und ein Mädchen, ich habe mich sofort umgedreht, um die zu fotografieren, obwohl man das eigentlich nicht tut, aus Respekt vor seinen Models. Aber das musste ich fotografieren, alles so iconic. Die Engländer haben einfach die richtigen Gesichter, die haben die Gene von Rockstars.“ Die ikonischen Rocker waren übrigens gerade unterwegs zu einem Film-Casting.
Im 21. Jahrhundert sind Mods und Rocker keine Jugendbewegungen mehr, die auf stilistisch, musikalisch und lebensweltlich aufregendem Niveau um subkulturelle Hegemonie kämpfen. Und es wäre blödsinnig, ihnen das vorzuwerfen. Die Rockers, die Friedrichs fotografiert hat, sind wohlorganisierte, weltweit vernetzte Sekten, die ihre großen Traditionen pflegen. Sie tragen ihren Style als Zugehörigkeitsmarker. Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein, auch als Rentner.
„Or Glory: 21st Century Rockers“ (Prestel Verlag) von Horst A. Friedrichs. Eine Edition hochwertiger Prints gibt es bei www.anzenbergergallery.com.