Die wilde Sorte – Echt cool oder voll fake? Die sogenannten Anti-Britneys Avril Lavigne, Pnik und Co. werfen eine Frage auf, die man im Teen-Pop nie stellen sollte
Kaufhausdetektive handeln ohne Ansehen der Person, aber im Diebstahlsfall Winona Ryder muss es eine Kaufhausdetektivin gewesen sein. Eine, die Rache suchte für 15 Jahre atemloses Rehaugen-Gestotter ihrer männlichen Bekannten. Es klappte dann ja doch nicht mit der Zwangsinternierung, die kleine Winona bekam Bewährung und glänzte vor Gericht auch noch mit einer großartigen Ausrede: Sie habe die Kleider nur deshalb eingepackt, weil sie wissen wollte, wie sich das anfühlt – sie habe für eine Rolle recherchiert. Sollte Sandra Bullock Ihnen demnächste einen China-Kracher in den Briefkasten werfen, also bitte nicht den Hausmeister verständigen.
Das ist lustig: Ausgerechnet Ryder die sich vor Jahren so drüber gefreut hatte, dass sie nach den vielen Historienschinken bei „Reality Bites“ endlich in Jeans spielen und ganz authentisch sein durfte – flüchtete sich in das Argument, dass da eine große Kluft sei zwischen Inszenierung und Privatperson. Die Sängerin Britney Spears betont das auch immer, aber seit diesem Jahr steht eine massive Opposition. Pink, Avril Lavigne, Vanessa Carlton, Norah Jones und Michelle Branch sagen von sich, sie könnten auf der Bühne auch nicht anders sein als im wirklichen Leben. Carlton, die in Interviews notfalls ungehemmt rülpst, Jones und Santana-Mitsängerin Branch präsentierten sich zu diesem Zweck als spaßfreie, minimal geschminkte Singer-Songwriterinnen, Pink und Avril sind die nicht domestizierbaren Rüpel, das unruhig erwartete Pendant zu den Furz-Anzündern Blink-182. Wenn sie Klamotten klauen würden, dann nur in echt. Und allerhöchstens bei „Gap“.
Was die Anti-Britneys verbindet, zumindest angeblich: Unbändige Kreativität zwingt sie quasi auf die Bühnen, die Plattenfirmen wollten ihnen a) zuerst fremde Kleidung/ Songs/Images geben, aber ließen sie dann doch b) ihr, ähem, „eigenes Ding durchziehen“. Nicht vergessen: Sie verkaufen viele Platten – da draußen scheint eine Sehnsucht zu sein. Am schnellsten reagierte das Lager des einstigen Britney-Nachfolgeprodukts Christina Aguilera: Sie heißt jetzt Xtina, trägt auf Privatfotos Hosen mit ausgeschnittenem Gesäß und erzählt, wie der Vater immer die Mutter schlug. Von der Original-Spears, die bald die letzte Nicht-Anti-Britney sein könnte, hörte man nur, dass sie die nächste Platte mit William „Madonna“ Orbit machen wolle. Ihr altes Bekenntnis zum Leben ohne Sex dürfte sie mittlerweile ähnlich bereuen wie der Bundeskanzler sein Irak-Krieg-Veto, denn wer das „Complicated‘-Video der sich unglaublich verrenkenden 18-jährigen Avril gesehen hat, findet es sicher cooler, hinter der Halfpipe von einem Skater kumpelhaft entjungfert zu werden.
Aus größerer Höhe betrachtet sind solche Unterschiede in den Image-Entwürfen nur mikroskopisch, aber es war herzallerliebst zu beobachten, wie sich erwachsene Kommentatoren daraus mühsam die Schwellkörper für ihre großen Pink- und Avril-Apologien bastelten: Als sich ein britischer Fernsehsender öffentlich entschuldigte, weil Pink beim Auftritt ein „You Fucking Bitch“-Hemd getragen hatte, schnüffelten viele umstürzlerisches Sex Pistols-Potenzial – das passiert, wenn es Kulturkritikern irgendwann zu langweilig wird, Teen-Pop immer nur scheiße zu finden. „Echt cool oder voll fake?“ fragten auch die Titelzeilen der Jugendzeitschriften, da wurde es freilich interessanter: Der Streit über Authentizität ist im Rock’n’Roll zwar ein uralter Bierdeckel, im schülerorientierten Pop gibt es ihn aber erst seit HipHop und Alternative. Wenn früher die Bay City Rollers oder New Kids On The Block plötzlich auf groß und stark machten, hieß es meistens nur: „Irre – ihr neuer Look zum Selbermachen!“ Das war unbedacht und leugnete, dass hinter den neuen Hemden eine tiefere Bedeutung stecken könnte – außer der reinen Fantasie. Dem wetterwendischen Medium Pop stand diese Sichtweise freilich viel besser. Spears ist keine Lügnerin.
Der Fall Kelly Osbourne: Glauben muss man das nicht, aber es hieß, die Firma Epic habe sie direkt nach Fertigstellung des Debütalbums „Shut Up“ aus dem Vertrag entlassen (Ärger mit der Industrie, erste Anti-Britney-Regel), weil die Musik zu gitarrig und offensichtlich nichts fürs kommerzielle Radio sei. „Wenn ein Junge meine Songs singen würde, hätten sie das als Rock verkauft und es würde auf KROQ laufen“, wird Osbourne im „NME“ zitiert, „ich müsste wohl erst Tiere opfern auf der Bühne, um ernst genommen zu werden.“ Solange sie selbst ein so hübsches Opfer abgibt, muss sie das nicht. Recht hat sie trotzdem. Am Ende sind die Anti-Britneys eben doch einfach die Mädchen, und Mädchen, so hat man uns beigebracht, wollen nur Spaß haben.