Die wichtigsten Punk-Platten aller Zeiten: 1977 bis 1979
Weiter geht es mit dem Countdown der besten Alben des Punks: Heute begeben wir uns in die Jahre 1977 bis 1979, die zu den produktivsten zwei Jahren gehören, die das Genre erleben durfte.
In der Juli-Ausgabe des Rolling Stone hat sich die Redaktion dem Punk gewidmet. Neben Artikeln über die Helden und das Erbe des Punks, sowie der neuen Blondie-Platte als exklusive Beilage, gibt es auch eine chronologische Liste der wichtigsten Platten des Punk. In den letzten zwei Wochen gab es an dieser Stelle bereits die Plätze 21 bis 50, diese Woche fahren wir mit den Plätzen 11 bis 20 fort, die den Zeitraum von 1977 bis 1979 umfassen. Seit dem Erscheinen des Hefts ist eine rege Diskussion über die Liste der Punk-Platten entbrannt. Wenn Sie wollen, diskutieren Sie im Forum mit.
Platz 11: Richard Hell & The Voidoids – Blank Generation (STIFF, 1977)
Wenn man nach einer Definition für Punk sucht, wird man keine bessere finden als das Cover dieses Debüts des ehemaligen Television- und Heartbreakers-Mitglieds Hell: der leicht gelangweilte und doch aufmüpfige Blick, die widerspenstig in alle Richtungen stehenden Haare, der hagere Körper mit dem nihilistischen Slogan „You Make Me ____“. Diesen Look – inklusive der ebenfalls von Richard Hell in den Modekontext überführten sprichwörtlichen Sicherheitsnadel – sollte Malcolm McLaren später für seine Sex Pistols adaptieren, und auch der Titelsong von „Blank Generation“ findet Widerhall in „Pretty Vacant“. Für die robuste Drei-Akkord-Dynamik des Punk waren Hell und seine Voidoids allerdings zu feinsinnig.
Platz 12: Dead Boys – Young Loud And Snotty (SIRE, 1977)
„Can’t stand up, honey, got my tongue on the floor/ Living out a dream ‚bout the third world war!“ In „High Tension Wire“ verdingt sich Stiv Bators als Seismograf des Punkzeitalters. Die Dead Boys waren kurz zuvor von Cleveland nach New York gezogen und so etwas wie die CBGB-Hausband geworden. Der Working-Class-Punk auf dem Debütalbum hat natürlich den Stooges und MC5 viel zu verdanken, ein bisschen auch Alice Cooper. Wenn Bators nicht gerade Hippies Prügel androht („Ain’t Nothin‘ To Do“), schneidet er gern mit rabiaten Sexstorys auf („All This And More“, „I Need Lunch“). Empfindlich nahe kommt die Band einer neuen Radikalität dann aber doch – in der antisozial-menschenfeindlichen Hymne „Sonic Reducer“.
Platz 13: Sex Pistols – Never Mind The Bollocks, Here’s The Sex Pistols (VIRGIN, 1977)
Man muss sich das plastisch vorstellen: Zwei große Plattenfirmen nehmen nacheinander dieselbe Band unter Vertrag – und kriegen solche Angst vor ihr, dass sie sich aus dem Deal wieder herauskaufen. Arbeiter im Presswerk versagen den Dienst, weil das Cover einer Single ihren Nationalstolz kränkt. Ein Plattenhändler kommt vor Gericht, weil er die Albumhülle ins Fenster gehängt hat. Unvorstellbar, wie viel hektische Verteidigung die Londoner Sex Pistols provozieren konnten. Den Nachhall hört man „Never Mind The Bollocks“ noch heute an, dem einzigen Album, das eher eine Compilation ist. Man sollte sich selbst erinnern, wie einen diese Band beim ersten Hören geschockt hat.
Platz 14: Ramones – Rocket To Russia (SIRE, 1977)
Glaubt man Biograf Everett True, dann war Gitarrist Johnny Ramone not amused, als er mit der Pistols-Single „God Save The Queen“ in die Aufnahmesessions platzte: „T hese guys ripped us off, and I want to sound better than this!“ Vielleicht wurde deshalb die dritte Ramones-Platte die bis dahin teuerste (25.000 Dollar), aber auch die beste. Eigentlich jede der schlau-abstrusen Zwei-Minuten-Nummern ist heute ein Klassiker – von „Teenage Lobotomy“ bis „Sheena Is A Punk Rocker“. Zwischen Strandbad („Rockaway Beach“) und Tanzparty (Bobby Freemans „Do You Wanna Dance?“), zwischen Surf-Punk und Bubblegum-Pop bringen die Ramones auch noch ernsthafte Scherze wie „We’re A Happy Family“ unter.
Platz 15: Wire – Pink Flag (HARVEST, 1977)
Die Mitglieder von Wire waren Kunst- und Grafikstudenten und wären von Sid Vicious sicher furchtbar verprügelt worden. Nicht zuletzt weil sie – im Gegensatz zu den Stones und anderen Immatrikulierten – tatsächlich auch als bildende Künstler arbeiteten. Trotzdem erfüllten sie mindestens ein Punk-Kriterium spielend: Nur drei der 21 Songs auf dem Debüt sind länger als drei Minuten. Den ebenso schroff-minimalistischen wie in Teilen hochmelodiösen Punkrock schöpften Wire aus dem gleichen methodischen Geist, den sie an der Kunsthochschule verinnerlicht hatten: totale Reduktion. Das Jahr 1977 begann mit der Bandgründung, führte sie sechs Monate später ins Londoner Roxy und endete mit „Pink Flag“. Ein Meilenstein.
Platz 16: Sham 69 – Tell Us The Truth (POLYDOR, 1978)
„If you’re proud to be a Cockney, clap your hands!“, skandieren die Londoner Zuschauer am Anfang dieser Platte, die eine Live- und eine Studioseite hat – und daher wie keine andere offizielle LP aus der Zeit die Interaktion zwischen Band und Publikum dokumentiert. Schwieriges Thema bei Sham 69: Der Asphalt-, Pogo- und Prügel-Punk der Band fand auch schnell bei rechten Skindheads und Hooligans Gefallen, die Konzerte wurden zu Schlachten. Neben Zwei-Minuten-Krachern über Bankräuber, Samstagnacht-Radau und Klassenhass gibt es auf dem besten Sham-Album aber auch eine Hymne an die Einsamen und eine kurze Familienkrach-Spielszene, die zeigt, wie viel Humor diese Rattentruppe trotzdem hatte.
Platz 17: Elvis Costello & The Attractions – This Year’s Model (STIFF, 1978)
Er war der Musikologe und Literat der New Wave, doch sein Formwille und seine Eloquenz hinderten Declan Pa-trick Aloysius McManus alias Elvis Costello nicht daran, wutschnaubende, vitriolische Songs wie „No Action“, „Lip Service“ und „Pump It Up“ zu schreiben. Seit 1974 hatte sich der Programmierer in Pubs und Clubs an Country, Folk und Rock versucht, 1977 erschien sein Debütalbum „My Aim Is True“, mit den schnodderigen Tiraden von „This Year’s Model“ eroberte Costello sogar Amerika. Von „Rache und Schuld“ handelten seine Songs, so Costello. Das nächste Album war schon fertig und sollte „Emotional Fascism“ heißen – man kennt es heute als „Armed Forces“.
Platz 18: The Jam – All Mod Cons (POLYDOR, 1978)
Auf einem Außenposten des Punk schrieb Paul Weller seine sentimentalen Songs in der Tradition der Small Faces, der Kinks und des britischen Rhythm’n’Blues. Der sehr junge Mann rüttelte eher empört am Gitter der Gesellschaft, statt ernsthaft zu versuchen, ihre Grundfesten zum Einsturz zu bringen: „To Be Someone“ und „David Watts“ handeln vom Aufstieg über Klassenschranken hinweg; „English Rose“ und „The Place I Love“ feiern ganz unverstellt die Heimat, und „In The Crowd“ ist der romantische Traum von der Menschenleere und der Menschenliebe zugleich. The Jam waren die wahren Helden der Working Class, zwischen 1977 und 1982 wurde jede ihrer Singles ein Hit, und „All Mod Cons“ ist so englisch wie die weißen Felsen von Dover.
Platz 19: Wipers – Is This Real? (PARK AVENUE, 1979)
Greg Sage, man kann es nicht oft genug sagen, ist einer der großen, viel zu wenig besungenen Helden des frühen Punk-rock – und „Is This Real?“ ein Meisterwerk. „Tragedy“, „D7“, „Wait A Minute“: Die Songs der Wipers hatten eine Sehnsucht, eine melodiöse Brillanz, wie sie ganz und gar untypisch war für die rohe Aggressivität der meisten damaligen Bands. 1977 in Portland gegründet, verband die Gruppe einen Gitarren-Mahlstrom mit polterndem Schlagzeug, zahlreichen Tempowechseln und Sages misanthropischem Gesang zu einer störgeräuschgleichen Wall of Sound. Der Songschreiber bleibt ein wahrer Held des Undergrounds, der später sogar das Angebot von Kurt Cobain ablehnte, im Vorprogramm von Nirvana zu spielen.
Platz 20: Stiff Little Fingers – Inflammable Material (ROUGH TRADE, 1979)
Ein Meilenstein der politischen Rockmusik – und weil das so theoretisch klingt, sollte man sich noch einmal „Suspect Device“ und „Alternative Ulster“ anhören, um zu wissen, was das bedeutet. Die Band aus Belfast befasste sich – auf Anraten des Journalisten Gordon Ogilvie – mit der damals explosiven politischen Lage vor ihrer Haustür in Belfast. Warum das bei ihnen so gut funktionierte: Sie hatten Ahnung, Haltung, Meinung, Wut – und sie litten selbst unter den Umständen. Epic Records war „Inflammable Material“ zu heiß, also wurde es zwangsläufig auf einem Indie-Label veröffentlicht. Es wurde das erste Album, das es auf diesem Weg in die Charts schaffte – und der erste Release im Rough-Trade-Vertrieb.