Die Welt ist besser ohne uns
Natürlich war die Documenta in Kassel das Kunst-Ereignis des Jahres: Ein Endzeit-Erlebnis – inklusive Hund mit pink angesprühtem Bein
Erst mal war da nur Gestrüpp in den Kasseler Karlsauen. Dann, dazwischen: Eine Steinskulptur, seltsamerweise mit einem äußerst lebendigen Bienenstock statt eines Kopfes. Wenn man genauer hinschaute, sah man überall hochgiftigen Fingerhut blühen, dazu Tollkirsche, Stechapfel, auch Cannabis oder Roggen (wird gerne von Mutterkorn besiedelt, einem Pilz, aus dem man LSD extrahieren kann). Also: Drogen, Aphrodisiaka, Bienen, Kunst – und ein graziler weißer Podenco-Hund, mit pink angesprühtem Bein, der lustigerweise „Human“ heißt. Eine autarke, vergessene Welt mitten auf der Documenta, ein bisschen wie in Andrej Tarkowskis Film „Stalker“ oder wie im „Jurassic Park“. Natürlich von einem Menschen inszeniert, dem Künstler Pierre Huyghe, aber doch so, dass man sich diese Welt als posthumanes Paradies durchaus vorstellen kann.
Na gut, wozu Drogen anpflanzen, wenn keiner sie nehmen kann, könnte man einwenden. Doch genau darum geht es: Einen menschenleeren Kosmos zum Sehnsuchtsort zu erklären, schon mal die Utopie einer postökonomischen, ökologischen Selbstreinigung des Planeten Erde vorwegnehmen, das Ideal einer verführerischen Natur, die nur eben keinen mehr verführen kann, weil Adam und Eva nicht mehr hier leben.
Die Documenta-Leiterin mit dem unaussprechlichen Namen, Carolyn Christov-Bakargiev, relativierte mit ihrer Veranstaltung den Narzissmus der Spezies biertrinkender Hundehalter. Die Kuratorin erklärte Erdbeeren zu Lebewesen, sprach einem Meteoriten-Felsklotz in Argentinien, den sie vergeblich nach Kassel zu verfrachten versuchte, Intelligenz und Charisma zu und befand, Teilchenphysik sei Kunst. In Kassel wuchs ein natürliches Schmetterlingshabitat heran, ein toter Baum balancierte einen Stein, Mini-Tsunamis wurden inszeniert – und als Krönung dieses Konzeptes dackelte die Hundedame „Human“ samt ihrem Welpen „Senor“ durch den Kasseler Kunstpark. Selten war man in den vergangenen Jahren so ausgegrenzt und gleichzeitig begeistert von einem Kunstwerk – die Documenta zog entsprechend mehr Besucher an als je zuvor. Vielleicht haben sie gespürt, dass dieses künstlerisch inszenierte Endzeit-Erlebnis dem realen vorausgeht.
Der Autor ist Chefredakteur der Kunstzeitschrift „Monopol“