Die überlebenden der MC5 feiern eine einmalige Wiedervereinigung in London, nur vor geladenen Gästen und als PR-Aktion einer Jeansfirma – ein Abend der Markenprodukte
Es war völlig, völlig klar, dass es Krach geben würde, wenn sich die MC5 so weit wie möglich wiedervereinigen und das von der Firma Levi’s gesponsort wird. Jeder erschrickt da erst mal und denkt daran, wie die „killer forces of capitalism“ (Zitat Liner Notes von MC5s „Kick Out The Jams“-LP) nach Nick Drake (VW-Beetle-Werbespot), den Beatles („Good Day Sunshine“ war doch mal in einer Margarine-Werbung) und vielen anderen sich hier ausgerechnet eine Band schnappen, die damals Drogen, Gewehre und Sex auf den Straßen für alle forderte, um die Arbeitskraft zu zersetzen. Im zweiten Anlauf überlegt man dann, warum sich die MC5 überhaupt wiedervereinigen müssen, wenn zwei von ihnen tot sind, und man merkt, dass „MC5“ ja heute genau so eine Marke ist wie Levi’s, die von so vielen Bands und Journalisten zitiert wird, die sie eigentlich gar nicht kennen. Und dass es deshalb eigentlich egal ist, ob die MC5 in London im Namen einer Jeansmarke spielen oder im Namen des Weltfriedens oder von wem auch immer.
Offenbar hatte der Geschäftsbereich „Levi’s Vintage Clothing“ bei Gary Grimshaw, dem großen Illustrator der MC5, nach Freigaben für ein paar alte Postermotive gefragt, weil sie die auf T-Shirts drucken wollten – dazu muss man sagen, dass Grimshaw aus der Zweitverwertung seiner heiligen Designs schon selbst eine kleine Industrie gemacht hat Wenn es stimmt, was Gitarrist Wayne Kramer auf seiner Internet-Seite schreibt, gab Grimshaw die Freigabe an Levi’s, ohne die Band zu fragen, die immerhin die Rechte an Namen und Bildern („the trademark“ schreibt Kramer, was eine vielsagende Wortwahl ist) hält. Als das rauskam, setzte sich die Band einfach mit ins Boot, statt zu klagen. Man habe recherchiert und herausgefunden, dass die Firma gar nicht so böse sei. Weswegen niemand etwas dagegen hatte, dass die MC5-Reunion im Rahmen einer PR-Aktion stattfinden sollte.
Am 13. März, dem Tag des Londoner Konzerts, erscheint dann prompt im „Guardian“ ein Artikel, in dem der Reporter genervt von den beim Interview mit den MC5 anwesenden Levi’s-Aufpassern erzählt und die These aufstellt, dass das Publikum „im Zeitalter von Avril Lavigne“ am liebsten „die Revolution handlich verpackt und von großen Konzernen organisiert“ bekommt. Kramer und Bassist Michael Davis sind vielleicht ein bisschen beleidigt und sorgen deshalb bei der so genannten Pressekonferenz dafür, dass es gar nicht erst einen Zusammenhang gibt, aus dem man ihre Zitate reißen könnte: Sie stehen auf der Bühne im 100 Club in der Oxford Street, beantworten alles, was aus dem Pulk zu ihnen heraufdringt, ganz kurz und rufen dann sehr deutlich:, ,Next question!“
Ob sie richtig weitermachen wollen. „Wenn die Show heute abend gut wird, könnte es eine neue Platte geben“, sagt Kramer. „Es könnte.“ Next question! Warum sie sich von einem Unternehmen präsentieren lassen. „Ich mag ihre Produkte. Ich habe kein Problem damit, hier zu stehen. Levi’s hat es überhaupt möglich gemacht, dass wir heute hier spielen.“ Next question! Ob sie es fürs Geld tun. „Wir tun es, weil es eine großartige Gelegenheit ist, die Musik noch einmal zu spielen und die Botschaft zu verbreiten.“ Next question! Wie das sei so als Rumpf-Band. „Wir sind nicht die MC5. Wir wollen nur die Musik der MC5 hochleben lassen. Rob Tyner und Fred Smith sind nicht mehr unter uns, deshalb können wir gar nicht MC5 sein.“ Nächste, am besten letzte Frage.
Die letzten zwei Antworten Kramers sind übrigens teilweise falsch. Auf dem Plakat, das Gary Grimshaw für die Show entworfen hat, steht durchaus in sehr großen Buchstaben MC5. Und die Botschaft wird, bevor sie sich verbreiten kann, von gut 300 geladenen Gästen abgefangen, von Presse- und Firmenleuten und einigen, die sich das „+1“ auf der Gästeliste erschnorrt haben. Während an der Tür die VIPs angestanden haben, hat ein kleiner Asiate mit Lederjacke und linksextremen Buttons mehreren Leuten 100 Pfund für einen Platz auf der Liste geboten.
Primal Scream-Bassist Mani spielt als DJ Garagenplatten. Die anderen britischen Special Guests kommen nach und nach fiir ein paar Lieder auf die Bühne. Wayne Krämer ist selbst der beste Ersatz für Rob Tyner, schon beim Eröffnungs-Song „Skunk“ von „High Time“, der gleich wieder so klingt, als explodiere irgendetwas, bei jedem Schlagzeug-Break von Dennis Thompson. Kramer, Davis und Thompson auf der Bühne, das erscheint trotz fehlender Haare und Davis Lederfresse als völlig logisch und organisch. Rechts am Rand bibbert sich Nicke Royale von den schwedischen Hellacopters durch den Abend, der Sonic Smith ersetzt, unter anderem „The American Ruse“ ziemlich toll singt, mit Kappe wie Mike Myers in „Wayne’s World“ aussieht und sehr, sehr nervös ist Bald muss Wayne Kramer seine Vintage-Lederjacke ablegen, weil sein Vintage-Jeanshemd luftiger ist, und Thompson wirft drei Schlagzeugstöcke ins Publikum, von denen er mindestens einen nicht benutzt hat Dave Vanian von The Damned (Punk-Aspekt!) singt wie ein Elvis-Imitator „Tonight“, „Looking At You“ und „High School“ ganz okay (alle von, „Back In The USA“, mit insgesamt sieben Liedern vertreten, vor, „High Time“ mit vier und „Kick Out The Jams“ mit nur drei Stücken). Was aber nichts ist gegen Kramers „Rocket Reducer No. 62“ und gegen Motörhead-Lemmy, dem der haarige Bauchnabel aus dem Vintage-Hemd hängt, als er in Nackenschuss-Pose „Sister Anne“und“BackInThe USA“ röhrt Einer im Publikum hat ein Handy der neuen Generation dabei und schickt ein Foto von Lemmy an Freunde.
Als musikalische Darbietung ist das natürlich ganz und gar großartig. Die Band hat offenbar Lust darauf, sich mit der immensen Lautstärke selbst ein bisschen weh zu tun, Kramer steigert sich bei der Zugabe „Ramblin‘ Rose“ zu einem gewaltigen bösen Geist, dann kommt für „Kick Out Thejams“ ausgerechnet lan Astbury auf die Bühne (eigentlich The Gilt, mittlerweile auch The Doors), ein Aufruf an alle VIPs, sich wild aufzuführen. Kramer will dann gar nicht mehr aufhören, jammt am Ende mit der Hörn Section im Sun-Ra-Stil und schreibt ein paar Tage später in sein Online-Tagebuch: „We came together. We played. We conquered.“ Und dass er das Geld dringend gebraucht habe. Und dass es das Konzert bald auf DVD gibt (sicher, damit die Botschaft verbreitet wird). Und die Spötter fragt er auf Ehr und Gewissen: „Was tragt ihr denn für Jeans?“