Die Türen & Sport – Rentner und Studenten
Zwei Bands in Berlin, zwei verschiedene Ansätze von Rock in deutscher Sprache: Die Türen und Sport finden auf je eigene Weise den Sound jenseits von Diskurs-Pop und Mainstream.
Der Kabarettist des Post-Bürgertums und Chronist der äußeren Widersprüche, Rainald Grebe, hat ein Lied über das Berliner Viertel Prenzlauer Berg geschreiben: Die Zeit ist reif, hinter die Klischees zu schauen! Prenzlauer Berg: Gegenstand soziologischer Analysen, Schau- und Spielplatz der Generation Bio, Schlachtfeld von Gentrifizierung und Kommerzialisierung – oder, wie es Die-Türen-Sänger Maurice Summen forsch formuliert: von „Bio-Biedermeier und Lifestyle-Faschisten“.
Aber wie lässt sich erklären, dass aufgeklärt-spöttische Menschen wie Summen hier noch immer leben? 2002 gründete er mit Bassist Ramin Bijan und Gitarrist Gunther Osburg Die Türen. Man wohnte eine Weile zusammen in einer Wohngemeinschaft in der Schönhauser Allee und nahm Alben mit Titeln wie „Das Herz war Nihilismus“ und „Unterwegs mit Mother Earth“ auf. Eifrige Journalisten erkannten sofort eine Verbindung zu Hamburger Schule und Diskurs-Pop, die Band dementierte zumindest nicht. Noch immer erkennt Summen keinen Grund zum Umzug, „auf jeden Fall nicht nach Hamburg“. Der Austausch mit gleichgesinnten Musikern wie Ja, Panik entwickle sich gerade sehr zum Positiven. Wer’s nicht glaubt, der müsse am ers-ten Donnerstag im Monat in der Flittchenbar im Kreuzberger Südblock vorbeischauen. Und das Berlin, das oft karikiert wird, sei ja meistens nur das „Medien-Berlin“. Beziehungsweise: „Ist Berlin nicht eigentlich Facebook?“, fragt sich Bassist Bijan.
Mit lässigem Humor und einer musikalischen Mischung aus Dexy’s Midnight Runners und Ton Steine Scherben besingen Die Türen auf „ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ“ eine Zweiklassengesellschaft, die kaum noch infrage gestellt wird.Schon der Albumtitel führt den üblichen Informationsaustausch via Internet ad absurdum. Jeder könne sich so seinen eigenen Titel zusammenbasteln, meint Summen. Außerdem interessiert ihn, was passiert, „wenn man das googelt“. Bijan hat andere Sorgen: „Was sage ich Freunden, wenn sie mich fragen, wie unser neues Album heißt?“ Fragen, die sich Bijan und Summen an einem vernieselten Dezembernachmittag im Café Kücük Kanarya stellen. „Im Grunde haben wir doch 20 Jahre in einem absurden Verpuppungszustand darauf gewartet, dass es hier so weit kommt“, sagt Bijan. Gemeint ist eben der Punkt, an dem das Alternative zum Mainstream wird, wenn neben dem Bio-Joghurt die Bio-Tiefkühlpizza liegt. Was macht das mit uns? „Wenn der Apfel, den man kauft, ungespritzt ist, gilt das schon als politischer Akt, was natürlich mitnichten so ist“, erklärt Summen. „Denn andererseits ist es einem egal, ob andere das Gift essen, solange man es nicht selbst schlucken muss“, ergänzt Bijan.
Ein paar Straßen entfernt vom Kücük Kanarya, in Berlin Mitte, wohnt seit ein paar Monaten Felix Müller, Sänger und Gitarrist der Band Sport. In seinem Wohnzimmer liegt überall Holzspielzeug verstreut, Müller ist vor Kurzem zum zweiten Mal Vater geworden. Die erweiterte Familie hat ihn bisher davon abgehalten, ernsthafte Kontakte zur Berliner Musikszene zu knüpfen. In den letzten zwei Jahren hat er, sofern er nicht gerade seinen elterlichen Pflichten nachkommen musste oder als Gitarrist mit Kante unterwegs war, in jeder freien Sekunde am neuen Sport-Album herumgefriemelt. „Aus der Asche, aus dem Staub“ ist ein dunkel funkelnder Gitarren-Mahlstrom, der eher amerikanische Indie-Bands belehnt als Hamburger Schule – es geht um so universelle Themen wie Aufbruch, Veränderung und Entscheidung.
Im Diskurs-Pop fühlt sich Müller trotz Hamburger Vergangenheit jedenfalls nicht heimisch: „Wie diese Schublade gebaut ist, kann ich verstehen, aber sie lässt die Musik oft außen vor.“ So viel Zugeständnis muss dennoch sein: „Blumfeld und Tocotronic haben mich natürlich beeinflusst, als ich anfing, deutsche Texte zu schreiben.“ Heute stört ihn das Geschlossene dieser Szene. „Sich nur auf die Musik zu beschränken, ist genauso legitim, wie politische Texte zu schreiben“, so Müller. Aber warum klingen solche Sätze in der deutschen Popmusik oft wie laue Ausreden? Schmälert es die Schönheit von Musik, wenn sie mit elaborierten Texten beladen wird? Zumal das auch ganz unverkrampft klingen kann.
„Montags ins Kino, dienstags zum Yoga, mittwochs zum Hautarzt und donnerstags was trinken, freitags ist Fußball, samstags ‚Wetten, dass?‘, Sonntag ist Ruhetag, Sonntag ist, Tatort'“, heißt es im neuen Türen-Song „Rentner und Studenten“, was den Alltag des „Bio-Biedermeiers“ möglicherweise ziemlich gut abbildet. Der kauft eben nur im Bio-Markt ein und fährt einen mit Biosprit betankten Volvo, mit dem er die Kinder früh zum Waldkindergarten bringt. So weit ist ja alles bekannt und leidlich lustig. Aber hört der Typ nun Ton Steine Scherben – oder vielleicht doch Archie Shepp, Portishead oder Coldplay?
Auch Die Türen werden sich noch mal genauer in ihrem Kiez umschauen müssen. MAX GÖSCHE