Die Toten Hosen: Zwischen Text und Therapie
Nach 22 Jahren sind Die Toten Hosen immer noch Freunde, immer noch verwundbar - und doch bereit, sich neuen Herausforderungen zu stellen
Lokaltermin in Düsseldorf. Die Toten Hosen haben ein neues Album gemacht, es heißt „Zurück zum Glück“ – ein erstaunlicher Titel für eine Band, von der man denken könnte, sie sei schon ziemlich lange ziemlich glücklich. Seit 22 Jahren sind sie gemeinsam unterwegs – nur der Schlagzeuger musste vor einigen Jahren getauscht werden, aus gesundheitlichen Gründen. Sie sind es gewöhnt, dass ihre Alben sich verkaufen wie geschnitten Brot, die Tourneen sind immer ausverkauft Und trotzdem: Es gab wieder mal einiges zu verkraften in letzter Zeit. Campino wurde im März Vater, sein Sohn Lenn Julian hat ihn ein wenig abgelenkt von den Aufnahmen. Der Rest der Band hatte zum Glück Verständnis und warf sich umso mehr ins Zeug. Jetzt ist der Sänger wieder voll einsatzfähig und lädt zum Gespräch. Die Art, wie Campino Kaffee kocht, sagt eine Menge über ihn: Er mag zwar den nicht gerade billigen „Lavazza Espresso“, aber eine entsprechende Maschine hat er nicht. Er schüttet einfach einen Löffel in die Tasse und wartet, bis sich der Satz legt. „Den letzten Schluck würde ich nicht trinken“, empfiehlt er netterweise.
Insgesamt ist das Album ziemlich hart geworden. War das geplant?
Wir haben am Anfang nur gesagt: die Scheren im Kopf weg, alles laufen lassen. Egal ob hart oder weich, alle Lieder werden erst mal gesammelt. Und wenn das dann eine lasche Platte wird, ist das halt so. Dann akzeptieren wir das an uns. Irgendwann in den eineinhalb Jahren haben wir gemerkt: Das werden wirklich nur noch lasche Lieder, da haben wir Angst bekommen und doch noch mal schnell die Brechstange rausgeholt.
Wie entscheidet ihr, welche Songs aufs Album kommen? Welche Kriterien setzt ihr an?
Immer, wenn es um Gefühle geht, ist man ja ganz schnell auf der platten Seite. Bei einem Lied wie „Steh auf“ wurde früher lange diskutiert. Manche mussten da schon schlucken. Aber bei den Konzerten erlebst du dann, wie die Lieder sich verselbständigen – und heute würde keiner mehr sagen, das sei zu platt. Das „Freunde“-Lied ist jetzt auch so eine Nummer. Zwei Tage vor dem Mastering bin ich nachts aufgewacht und dachte, du hast das Lied in den Sand gesetzt. Meine Absicht war hier nie, über Die Toten Hosen zu singen, sondern über Freundschaft. Deswegen haben wir da im Booklet was zu geschrieben.
Da steht jetzt: „Mit diesem Lied wollen wir uns nicht selber abfeiern. Es ist nicht über uns, es geht um mehr. Es ist ein Lied über Freundschaften, und obwohl es da viele Parallelen zu uns gibt, dachten wir an eine bestimmte Person.“ Aber hätte man nach all den Jahren nicht auch das Recht, sich selbst ein wenig zu feiern?
Mir ist es aber wichtig, dass es auch um Personen geht, die gar nichts mit der Band zu tun haben. Es geht darum, zu beschreiben, wie Freundschaften über die Jahre funktionieren. Dieses nette Bescheißen: Du siehst einen und denkst, „Oh je, der ist ja echt geschafft!“, und sagst: „Mann, du siehst aber prima aus!“ Dass so was auch erlaubt ist, weil man befreundet ist. Ich musste feststellen, dass ich diesen Gedankenansatz beim Texten durch das viele Korrigieren verloren habe, und es ging mehr in die Richtung, dass es sehr wohl über Die Toten Hosen sein könnte.
Schreibst du viel um?
Bis zur letzten Minute. Manchmal geht es nur um zwei Worte. Es wird umgestoßen und rumgefeilt, die ganze Zeit. Ich versuche immer ein Gleichgewicht zu halten, eine gewisse Bandbreite zu haben – sechs Liebeslieder auf einer Platte gehen nicht. Es muss ja noch anderes geben, wovon ich erzählen kann!
Vom Brüller „Walkampf“ abgesehen ist manches auch arg traurig, etwa „Alles wird vorübergehen“.
Die Grundaussage ist doch gar nicht so traurig. Man soll versuchen, das Hier und Jetzt zu genießen, weil man die guten Momente nicht festhalten kann. Aber die schlechten gehen zum Glück auch vorbei. Zusammen mit der ruhigen Musik ist das natürlich nicht gerade eine Stimmungskanone. Und dennoch: Wenn ich mir einen Hit wünschen dürfte, dann wäre es bestimmt ein trauriges Lied, kein fröhliches. Ich mag das: zu berühren. Lieber sollen die Leute traurig sein, als sich auf die Schenkel klopfen.
Greift dich negative Kritik immer noch an?
Sicher. Das ist jetzt unsere 17. Platte, und wir sind seit 22 Jahren dabei, aber das bedeutet nicht, dass man unverwundbar wird. Man macht das ja mit Leidenschaft. Natürlich kann man sagen, die sind selber schuld, wenn sie sich dem aussetzen, aber trotzdem ist es nicht leicht.
Konntest du überhaupt noch kreativ sein im letzten halben Jahr? Kleinkinder sind ja relativ anstrengend…
Naja, einen Kreativitätsschub habe ich nicht gerade bemerkt. Ich dachte, in den Ferien mit der Familie schreibe ich dann abends noch was, aber es kam nicht ein Wort, nicht eine Zeile. Ich habe dann schnell kapiert, dass ich mich nicht ablenken lassen darf. Also habe ich mich für ein paar Nächte in eine Pension am Stadtrand eingecheckt und dort nachsitzen müssen. Das war okay. Ich kann mich nur auf das eine oder andere konzentrieren: auf die Arbeit oder die Familie. Sonst hat keiner was davon.
Zwischen Album und Tournee dreht ihr jetzt auch noch die MTV-Show „Friss oder stirb“, in der jede Woche aus eurem Leben berichtet wird. Wart ihr beim Anschauen manchmal von euch selbst überrascht?
Schon. Man nimmt im Schlachtgetümmel vieles gar nicht wahr. Wie ernsthaft wir über lächerliche Sachen diskutieren. Wie man sich in Details hineinsteigert. Auch die Konstellationen innerhalb der Band werden einem bewusster, wenn man das alles auf Band sieht. Fast therapeutisch!
Ein Beispiel?
Wir fünf werden zusammen interviewt. Dann ist das mittlerweile so eingespielt, dass klar ist, dass Kuddel nie antworten würde. Aber wenn er allein gefilmt wird, hört man ihn endlich mal reden! Da kommen erstaunliche Entertainer-Qualitäten zum Vorschein.
Wo sind die Grenzen – was würdet ihr niemals zeigen?
Ich war da am Anfang naiv. Ich dachte, wir machen das aus dem Bauch raus, ist doch lustig. Warum soll ich mich anstellen, wenn mal meine Freundin durchs Bild rennt? Aber inzwischen lege ich Wert darauf, dass zum Beispiel mein Kind nicht zu sehen ist. Weil ich nie gedacht hätte, dass die Leute auf so eine seltsame Art sagen: Jetzt zeigen die ihr Privatleben, weil sonst nichts mehr zieht. Da wurde mir erst klar, was auf dem Spiel steht.
Also suchen sich Die Toten Hosen jetzt „andere Herausforderungen“. Sie gehen für MTV zum Golfen, Fallschirmspringen und Zelten. Aber erst einmal müssen sie fürs nächste Konzert üben. Ihr Proberaum sieht aus, wie man sich das bei den Hosen gewünscht hat: Totenkopfbilder und bunte Zeichnungen an den Wänden. Zwischen all den „Red Bull“-Dosen und Wasserflaschen steht verloren ein kleiner, angestaubter Indianer – der „Goldene Otto“ von „Bravo“.
Das Thema Produktivität lässt die Hosen nicht los. Als Andi erzählt dass er gerade Georges Simenon liest, erwähnt er, dass der ja um die 200 Bücher geschrieben hat. Wahnsinn! Die Beatles, kontert Campi, waren ja ähnlich fleißig: so viele geniale Alben in so wenigen Jahren. Eigentlich musste so was verboten werden, findet Breiti. Das deprimiert einen ja! Viel später, als alte Platten von den Killjoys und Depressions, Lime Spiders und Cock Sparrer aufgelegt werden, relativiert sich der Gedanke: Manchmal reicht es auch, nur eine einzige gute Single zu haben.
Aber vielleicht ist es doch schöner, eine Band über zwei Dekaden zu beobachten – wie sie wächst, sich verändert und doch im Herzen dieselbe bleibt.