Die Tage des Plastik-Pop sind passé. Inzwischen bricht STEPHEN DUFFY der Romanze eine Lanze
Eine Häuserecke weiter stehen sich die weiblichen Fans von Nick Cave und Robbie Williams die Beine in den Bauch. „Wobei Robbie von seinen genervt ist und immer nur die von Nick will“, schildert Stephen Duffy seine neue Nachbarschaft. Erst kürzlich ist er nach Notting Hill gezogen, in Londons schillerndsten Stadtteil, eine Art Freiluftmuseum der Pop-Geschichte. Plötzlich sieht man hier die Lokalitäten, die man bislang nur vom Plattencover kennt: The Jam links, Big Audio Dynamite rechts.
Auch Dufiy kann die eine oder andere Anekdote aus dem Leben eines Popstars zum besten geben. Ein solcher nämlich war er vor 13 Jahren (unter dem Namen Stephen „Tin Tin“ Duffy) mit Hits wie „Kiss Me“ und „Icing On The Cake“ – und fast auch als Sänger von Duran Duran. Danach war finito mit der Gunst der Charts, und auf überkandidelten Plastik-Pop folgten fragile Folk-Balladen. Als er Ende der 80er Jahre mit seiner akustischen Band The Lilac Time Nick Drake, Tim Hardin und Simon & Garfunkel zitierte, galt das nicht gerade ab Sound der Stunde. „Alle hatten damals Mega-Drums, so groß wie ein Museum. Bei uns klang die Snare, als käme sie aus der Streichholzschachtel“, grinst er.
Zeit für den Re-Launch der lila Pause: Gerade hat sich die Band wieder zusammengefunden und nimmt in der Garage von Stephens Bruder Nick ein neues Album auf. „Seltsamerweise hat Lilac Time für mich viel mehr eigenen Charakter als meine Solo-Sachen. Wobei meine letzten Platten eigendich immer Kollaborationen waren: ‚Duffy‘ (das ’95er „Solo“-Album) entstand zusammen mit Mitch Easter und den Jungs von Velvet Crush, die aktuelle gemeinsam mit Stephen Street und Andy Partridge von XTC.“
„I Love My Friends“ heißt letztgenanntes Geschenk des Pophimmels – ein Titel, der zum textlichen Inhalt vorzüglich paßt und daher auch den Vorzug vor dem selbstironischen „Looking For A Deal“ erhielt, auch wennoder gerade weil – er für einen Platten-Titel demonstrativ nichtssagend ist: „Ich wollte etwas Banales. Meine Texte sind diesmal ausnahmslos autobiographisch; folglich war diesmal auch gar nicht so sehr große Dichtkunst gefragt Berichten ist nun mal in gewissem Sinne banal.“
Wobei es gerade dieser hehre poetische Anspruch war („Einigen wenigen ist es vorbehalten, Romantiker zu sein, und wenn es dafür noch ein zeitgemäßes Forum gibt, dann ist es die Popmusik!“), der Duffy die Zuneigung unzähliger bebrilltet; englischer Literatur-Studentinnen beschert hat. Die Woge weiblicher Gefühle ist so gewaltig, daß sich in seiner Wohnung handschriftliche Gedichtbände und Roman-Entwürfe türmen, die ihm jene liebesdurstigen Damen zukommen lassen. Er bewahrt sie tatsächlich alle fein säuberlich auf: „So habe ich etwas gegen sie in der Hand, wenn sie einmal berühmt werden sollten.“
Ob er selbst noch einmal vom Erfolg geküßt wird wie dereinst mit „Kiss Me“? Jedenfalls beweist Stephen Duffy erheblich mehr Standvermögen als viele seiner Weggefährten aus den Achtzigern (siehe Edwyn Collins oder Roddy Frame). „Die 80er Jahre waren eine grausame Zeit für die Musikwelt. Weil wir mit so viel Mist gestraft wurden, haben wir wohl so etwas wie Überlebenswillen entwickelt und sind kreative Stehaufmännchen geworden.“
Worauf wir einen Toast aussprechen auf die schicksalhafte Fügung, daß nun sogar Duran Duran in England ohne Plattenvertrag dastehen – und beschwingt in die laue Frühlingsnacht hinaustreten. Die Sterne am Himmel funkeln ganz wie in einem Lilac Time-Song und bilden die Buchstaben P.O.P.