Die subversive Schönheit
Jaunuar 2009 Ein Meisterwerk aus einer anderen Welt – Antony & The Johnsons meditierten auf ihrem dritten Album über das Paradies.
Antony & The Johnsons – The Crying Light *****
Rough Trade / Beggars
„Beauty is the new Punk“, hat die ehemalige Antony & The Johnsons-Musikerin Joan „As Police Woman“ Wasser einmal in einem Interview behauptet. Ein entzückender Slogan, in selbstbestimmten, nicht gesellschaftskonformen Definitionen von Schönheit liegt durchaus noch ein gewisses subversives Potenzial: „For Today I Am A Boy“ – ob es morgen noch so sein wird? Wer weiß. „I Am A Bird Now“, das 2005 erschienene Album von Antony Hegarty und seinen Johnsons, war noch stark geprägt von Gender-Debatten und Intersexualität, glänzte mit schwulen Gaststars wie Boy George und Rufus Wainwright. Selbst der kernig mürrische Lou Reed war dabei und schwärmt: „When I first heard Antony I knew I was in the presence of an angel.“ Man glaubt es ihm gerne.
Mit seinem dritten Album „The Crying Light“ setzt der Songschreiber, dessen empathisch emotionaler Kopfgesang kein Geschlecht kennt, aber dafür die Tiefe menschlicher Gefühle, einen intimeren Fokus. Im Interview mit der britischen Musikzeitschrift „Wire“ spricht Antony von einem „inneren Garten“, dessen Mauern er nun überwinden möchte, weil es dahinter ja noch viel mehr zu entdecken gibt – „the landscape beyond my inner landscape“. Es ist eine Meditation über das Paradies, das für Antony viel mit der Entfaltung der Natur und ihrem Formenreichtum zu tun hat. 30 Songs hat er in den letzten sieben Jahren für das enorm geschlossen wirkende „The Crying Light“ geschrieben -und schließlich trotzdem nur zehn davon verwendet. Ein Prozess der Verfeinerung. Auch bei den Arrangements wurde alles Überflüssige gestrichen. „Dust And Water“ klingt deshalb so pur wie schwebender Morgennebel, und hinter dem gesamten Album steht offensichtlich mehr eine suchende Zen-Haltung als ein exaltiertes Pop-Ego.
„Her Eyes Are Underneath The Ground“, der erste Song des Albums, weckt Erinnerungen an Schubert und das deutsche Kunstlied. Da ist vor allem Antonys Stimme, dazu ein sacht ertastetes Klavier und eine Ahnung von Violinen und Cello im Hintergrund. Erst ganz zum Schluss drängen sich harsche Bässe in den Vordergrund, wie Gewitterwolken an einem heiteren Nachmittag. „Epilepsy Is Dancing“ tänzelt hoffnungsvoll und verspielt; „One Dove“ schält sich ganz langsam aus dem Nichts, wie viele Stücke hier. Später setzten Dissonanzen ein, mehr und mehr Instrumente tauchen auf und verschwinden wieder, bis nur noch seltsame Tierstimmen zu hören sind. „Kiss My Name“ schwelgt dagegen in einem orchestralen Klang- und Melodie-Reichtum, der fast schon an Freund Rufus erinnert. Der Höhepunkt, „Another World“, ist ein hellhäutiger Blues und ein banges Abschiedslied auf die Welt: „I need another place, will there be peace? I need another world, this one is nearly gone.“ Es folgt eine Liste der Dinge, die der Sänger in einer anderen Welt vermissen würde: die Bäume, das Meer, den Schnee, die Bienen und überhaupt alles, was wächst – „I’m gonna miss you all“. „Aeon“ mit seiner rauen Gitarre ist dagegen fast schon ein Rocksong, aber eben nur fast.
Zu „The Crying Light“ kann man nicht tanzen, und das Album gehört auch nicht zu den Platten, die einem mit packenden Refrains durchs eigene Leben helfen. Die Schönheit dieses bisher reifsten Antony-&-The-Johnsons-Werks liegt darin, dass es nach der Seele sucht, wo andere nur in den Spiegel blicken. Ein Meisterwerk, eine andere Welt und ein Refugium für alle, die es zu schätzen wissen.