Erinnerung an Dieter Thomas Heck: Herbergsvater des Schlagers
Er war der Zeremonienmeister und Apologet des deutschen Schlagers. Gedanken über den Sprechvirtuosen des kleinen Samstagabendglücks.
Er war ein Genie der Eigentlichkeit und des Jovialen, der Bevollmächtigte des deutschen Schlagers und ein Virtuose der Semantik. Der unter Zeitdruck aufgesagte Abspann der „ZDF-Hitparade“, das Herunterrattern der Namen der Mitwirkenden („Regie: Truck Branss“) war eine kostbare Minute des Vergnügens am Samstagabend, wenn Dieter Thomas Heck „aus dem Studio der Berliner Union-Film“ die Leistungsschau des Gewerbes präsentierte.
Mit patentierten Manierismen und der durchdringend autoritären sonoren Stimme kündigte er „Titel“ und „Interpreten“ an, verwies auf die Häufigkeit des Vorkommens in der Hitparade und frühere Spitzenplatzierungen und erlaubte sich beiläufige Erwähnungen eines Urlaubs, einer langen Tournee oder einer nicht abreißenden Kette von Erfolgen. Und die Erfolge verdankten die Schlagersänger zwischen 1969 und 1984 vor allem Dieter Thomas Heck. Oder: Dieter „Thomas“ Heck.
Verschüttet unter einer Kellertreppe
Und auch so hieß er eigentlich nicht. Am 29. Dezember 1937 wurde Carl-Dieter Heckscher in Flensburg geboren. Im folgenden Jahr zog die Familie nach Hamburg um, wo der Vater den Verkauf bei einem Limonadehersteller leitete. Bei einem Bombenangriff auf die Stadt wurde der kleine Carl-Dieter unter eine Kellertreppe verschüttet, weshalb er fortan stotterte. In den 50er-Jahren nahm er deshalb Gesangsunterricht – das Schnellsprechen entstand aus einer Kalamität. Der junge Mann absolvierte die Mittelschule und eine technische Oberschule, wurde Verkäufer bei der Autofirma Borgward und verfolgte seine Gesangskarriere, indem er bei einem Musikverlag arbeitete. 1959 trat er in Peter Frankenfelds Talentsendung „Toi, toi, toi“ auf und beteiligte sich 1961 erfolglos am Vorentscheid zum Eurovision Song Contest.
Im Jahr 1963 besuchte er den Südwestfunk und wurde derart unbeholfen befragt, dass er die Gesprächsführung übernahm und sich selbst befragte. Er wurde als Radiomoderator eingestellt. Die Sprechkanone ging auf Sendung. 1965 wechselte Heck – seinen Namen hatte er verkürzt – zu Radio Luxemburg, wo Camillo Felgen junge Talente versammelte, darunter Frank Elstner. Weil es im Haus schon einen Dieter gab, wurden die Leser von „Bravo“ unter der Überschrift „Discjockey ohne Namen“ aufgerufen, einen neuen Vornamen für Heck vorzuschlagen. Sie votierten für Thomas.
Heck war die Gegenkultur
Dieter „Thomas“ Heck ging 1967 zur Europawelle Saar, denn bei Radio Luxemburg durfte er zwei Sachen nicht tun, die er tun wollte: die eigenen Platten vorstellen und Werbeverträge abschließen. Seine „Deutsche Schlagerparade“ hatte zwei Millionen Hörer in einer Zeit, da überall Rockmusik gespielt wurde. Heck war der Anachronistische. Er war die Gegenkultur. Der Regisseur und Produzent Truck Branss, kein Freund der Schlagermusik, bot dem Saarländischen Rundfunk das Konzept für eine Fernsehsendung an. Der SR lehnte ab. Das ZDF sagte zu. Am 18. Januar 1969 trompete Dieter „Thomas“ Heck zum ersten Mal: „Hier ist Berlin!“
15 Jahre, 183 Sendungen lang führte kein Weg an Hecks streng, aber immer mal wieder anders reglementierter Schaubude vorbei. Media Control ermittelte seit Mitte der 70er-Jahre, später durften die Zuschauer per Anruf und „TED“ ihre Lieblingslieder bestimmen, und wer dreimal dabei war, der musste raus. Heck überreichte in Plexiglas gegossene Einsen, Zweien und Dreien. Er ermöglichte Bernd Clüver und Juliane Werding, Roland Kaiser und Bernhard Brink, Howard Carpendale und Mary Roos, Costa Cordalis und Jürgen Marcus, Vicky Leandros und Lena Valaitis und Henry Valentino und die Gebrüder Blattschuss und Helga Feddersen und Didi Hallervorden. Es war ein Zirkus der Rituale und hinter den Kulissen ein Bacchanal, wie nicht nur Gunter Gabriel später erzählte.
Dieter Thomas Heck war Direktor, Zeremonienmeister und Herbergsvater, mit 40 Jahren ein soignierter Herr. Seine Schützlinge liebten ihn. Er war der Gottseibeiuns des Feuilletons und der Watschenmann des Bildungsbürgertums. Die „ZDF-Hitparade“ war eine raffinierte Inszenierung des unverstellt Künstlichen, die Musik – das „Playback“ – wurde eingespielt, der Toningenieur saß gut sichtbar hinter seinem Pult und wurde witzelnd angesprochen. Die „Hitparade“ zeigte jederzeit, dass alles gemacht war. Es war eine ehrliche Veranstaltung. Das Publikum auf der Tribüne klatschte steif mit, Mädchen in Schlaghosen überreichten ihren Lieblingen rotwangig Blümchen – Küsschen auf die Wange.
Dieter Thomas Heck diversifizierte: Er moderierte „Die Pyramide“ im ZDF, eine ernste Ratesendung, bei der Kandidaten an den Sessel gefesselt wurden, damit sie nicht gestikulierten und ein Hausjurist am Telefon zu Rate gezogen wurde, den Heck bespöttelte. Doktortitel galten ihm nichts. Er war ja ein König. Die „Neue deutsche Welle“ integrierte er als Altvorderer souverän und duldsam: Auch das wird vorübergehen. Es ging vorüber.
Heck hätte die „Hitparade“ nicht abgeben sollen. Es gab Nachfolger, aber keiner konnte ihm nachfolgen. Viktor Worms und Uwe Hübner waren Männer der nachgeborenen Generation, sie imitierten das Joviale, aber sie hatten keine Autorität. Sie kumpelten. Der Grandseigneur moderierte nach 1984 „Melodien für Millionen“, „Musik liegt in der Luft“ und zahllose Schlager-Festivals und Benefiz-Shows, er huschte durch „Tatort“ und Vorabendserien, immer er selbst: die toupierten Haare, die Brille, die Stimme. Diese Stimme.
Im Jahr 2007 verlängerte das ZDF nicht den Vertrag des Mannes, der das ZDF verkörperte. Das Zett-De-Eff. Es war schwer zu glauben, dass Heck einen Vertrag hatte und kein Naturrecht auf Lebenszeit. Zu seinem 70. Geburtstag im selben Jahr veranstaltete der Sender eine Gratulationssendung mit Johannes B. Kerner, bei der die Schlagergranden der 70er- und 80er-Jahre paradierten. Dieter Thomas Hecks Tränen logen nicht. Manchmal noch ließ er als Gast in Schlager-Shows die schneidende Stimme erklingen, sammelte sich, machte eine Ansage, 30 Sekunden Meisterschaft und Erinnerung, zuletzt im Februar 2017. Eine Lungenkrankheit hatte ihn geschwächt.
Ein Artikel aus dem RS-Archiv. Dieser Text erschien als Nachruf zum Tod von Dieter Thomas Heck.