Die Steine des Weisen
Der TV-Journalist und Autor Gert Scobel setzt auf Theorie und Erfahrung, Wissenschaft und Spiritualität
Intellektuelle haben es schwer im deutschen Fernsehen. Selbst Roger Willemsen, nicht gerade mit geringem Sendungsbewusstsein ausgestattet, hat sich rar gemacht. Einzig Peter Sloterdijk bedient mit wirrer Mähne und fahrigen Gesten das Klischee des zerstreuten Professors und darf daher ab und an zu philosophischen Höhenflügen ansetzen. Allerdings erst nach 23 Uhr. Aber sonst?
Gert Scobel. Richtig. Lange Zeit Moderator der 3sat-„Kulturzeit“, des ,ARD-Morgenmagazin“ und der Wissenschaftssendung „delta“. Er ist vielleicht unser letzter Volksaufklärer, auch wenn er sich das nicht anmerken lässt. Mit gestreiftem Anzug und dem smarten Blick aus seinem Bubengesicht wirkt der 49-Jähnge eher wie ein leicht angegrauter Studienfreund. Vermutlich ist er deshalb – das zeigte zumindest eine Umfrage im Bekanntenkreis— so behebt. Nur Harry Rowohlt ruft, wie er neulich in einem Interview bekundete, immer ,,Arschloch!“, wenn er Scobel im Fernsehen sieht. Warum, weiß keiner.
Mit seinem betagten BMW ist Gert Scobel aus dem Taunus, wo er mit seiner Familie wohnt, für unser Interview nach Frankfurt gekommen. Er ist mit der Bestseller-Autorin Susanne Fröhlich („Moppel-Ich“) liiert. Deren, sagen wir: resolute öffentliche Auftritte vor Augen, wäre es vielleicht ein kommerziell kluger Schachzug Scobels, ein Buch mit dem Titel „Pantoffel-Ich. Wie man beim Partner zu Wort kommt“ vorzulegen. Aber nein, nach zwei Kinderbüchern heißt sein neuestes Werk „Weisheit. Über das, was uns fehlt“.
Wir treffen uns im Restaurant des „Städel Museum“. Scobel hat einen ziemlich festen Händedruck für einen Geisteswissenschaftler und trägt ein „Suhrkamp Wissenschaft“-Bändchen bei sich. Irgendwas von Hegel. „Da haben Sie sich aber eine komplexe Lektüre mitgenommen für die Autofahrt“, scherze ich. „Ich weiß, das sieht jetzt ein bisschen bescheuert aus“, entschuldigt er sich, „aber ich lese das tatsächlich manchmal.“ Nein, erwirkt nicht wie ein Poseur. Vielmehr erscheint der alte Hegel plötzlich wie einer, den man vielleicht auch mal in der U-Bahn lesen sollte.
Dass Bildung nicht die Aura von dunklen Vorlesungssälen, verstaubten Bibliotheken oder großbürgerlichen Gemächern ausstrahlen muss, versucht der „Grimme Preis“-Träger jeden Donnerstag in einer TV-Sendung zu vermitteln, die seinen Namen trägt: „scobel“. Klein geschrieben. Der Spleen eines Art Directors? Vermutlich ist es mehr. Nicht nur der Moderator, das Medium Fernsehen macht sich nämlich klein in dieser Stunde, tritt hinter dem Thema zurück, „scobel“ ist ein Format, das eigentlich keines ist, weil alles erlaubt ist, was dem Thema — egal ob Sexualität, Songwnting oder Finanzkrise – dient. Von der Interviewrunde bis zur kommentierten Jazz-Interpretation. „Der kognitve Aufwand, um so eine Sendung vorzubereiten, ist ziemlich hoch“, erklärt Scobel die Arbeit seiner Redaktion. „Im Grunde könnte man aus unseren Vorbereitungsunterlagen fast jedes Mal ein Buch machen, weil wir up-to-date sind und mit den wichtigsten Wissenschaftlern in dem jeweiligen Bereich gesprochen haben. Wir wissen, wo die offenen Fragen sind, wo die Schwachstellen sind, wo die neuen Entwicklungen sind. Davon merkt man manchmal, wenn man die Sendung anschaut, nur noch ganz wenig, weil wir nach der Recherche jedes Mal quasi auf einem Nullstand beginnen müssen. Denn jeder Zuschauer, der interessiert ist, soll ja mitkommen. Vorausgesetzt, er bringt die Konzentration auf, sich damit auseinanderzusetzen.“
Man könne die Zuschauer auch unterfordern, meint er. „Wenn ich mir anschaue, was zum Beispiel meinen Sohn oder seine Klassenkameraden interessiert: Die schauen ,Die Simpsons‘ und sonst sehr wenig fern, aber gezielt. Seltsamerweise kein MTV oder Viva. Die gucken Dokumentarfilme — wie kommt ein Container von Shanghai nach Hamburg, wie funktioniert ein Atomkraftwerk—oder wissenschaftliche Sendungen. Irgendwie haben wir das unterschätzt.“
Doch Scobel ist sich durchaus auch der Grenzen des Mediums bewusst. Es sei Aufgabe des Kulturfernsehens, von innen Steine gegen den Bildschirm zu werfen, schrieb er mal in der „Zeit“, „damit die High-Tech-Scheibe einen Sprung bekommt. Was dazu führt, dass die Glasscheibe wieder als das wahrgenommen wird, was sie ist: eine einfache zweidimensionale Glaswand, auf die eine zunehmend komplexe dreidimensionale Welt projiziert wird.“
Bildungsfernsehen müsse dem Zuschauer im besten Falle helfen, sich in der komplexen Welt zurecht zu finden, so Scobel. „Es geht darum, die Urteilskraft der Menschen zu bilden“, erklärt er. „Ich beziehe mich da — ich weiß, das klingt jetzt hochtrabend—wirklich auf Kant. Urteilskraft bedeutet heute, dass jemand in der Lage ist, nicht nur Informationen zu verarbeiten, sondern auch, sich zu diesen Informationen zu verhalten. Das heißt, eine eigene Orientierung zu entwickeln und das Erfahrene und Gedachte einzuordnen. Es geht also darum, dem Zuschauer Tools in die Hand zu geben, an dieser Fähigkeit der Urteilskraft zu arbeiten. Dazu muss man einerseits Futter geben und andererseits auch Anleitung, wie man das vielleicht machen kann.“
Für Scobel ist Erkenntnis – wie für Kant übrigens auch – ein Produkt aus theoretischem Wissen und persönlicher Erfahrung. Das hat er im wahrsten Sinne des Wortes am eigenen Leib erlebt: Rückenschmerzen brachten den damals 14jährigen dazu, Yoga-Übungen zu praktizieren. Bald beschäftigte er sich auch mit dem philosophischen Überbau und den Meditationstechniken der indischen Lehre und landete über Umwege beim Zen-Buddhjsmus. Kurz nach seinem Abitur lernte er dann Enomiya-Lassalle kennen, einen deutschen Jesuiten, der in Tokio Zen lehrte. „Der hatte einfach eine so unglaubliche Präsenz, dass ich gespürt habe, dass das, was mir bis dahin wie ein aufgeblasenes theoretisches Konzept erschien — wie die Erleuchtung zum Beispiel – offensichtlich Wirklichkeit ist. Das ist keine Einbildung wie – sagen wir mal: die übliche Philosophie, die ja ein theoretisches Konstrukt ist. Das ist im Alltag lebbar und erfahrbar. Diese Erfahrung hat mich dann auf die Spur gesetzt.“
Eine Spur, die er bis heute verfolgt und die den studierten Philosophen und Theologen schließlich auch zum Thema seines neuen Buches führte. Ein zweiter Ausgangspunkt von „Weisheit. Über das, was uns fehlt“ ist allerdings eine zunächst mal eine rein wissenschaftliche Problemstellung: „Es geht um Komplexität. Ein Thema, das mich schon seit meiner Studienzeit beschäftigt. Zudem habe ich über Jahre hinweg Wissenschaftlern, die bei mir in der Sendung waren, die Frage gestellt, was denn ihrer Meinung nach das dominante Thema in den nächsten 20,30 Jahren sei. Und in der Regel haben die nicht gesagt, die Gentechnik oder die kalte Kernfusion. Sie haben fast alle nach einigem Nachdenken geantwortet, das Verständnis und die Steuerung komplexer Systeme sei die allem übergeordnete Aufgabe.“ Buddhistische, aber auch christliche Weisheitstraditionen könnten nun bei der Bewältigung der modernen Komplexität helfen, so die Hauptthese des Buches. „Indem der Weise nicht an einem einzigen Modell dieser Welt, nicht an einer Idee allein haftet und auch nicht an den verführerischen Modellen einer linearen Weltsicht…, ist er in der Lage, mit komplexen Situationen entspannter und in vielen Fällen auch nachhaltiger umzugehen“, schreibt Scobel. „Weisheit ist in unserer Lebenswelt die Verwirklichung dessen, was die Wissenschaft in ihrer neutralen Sprache einen optimalen Umgang mit der Komplexität der Welt nennen würde.“
Einigen Rezensenten war bereits der Titel des Buches Anlass zur Häme. Weisheit klingt halt nach alten Männern mit weißen Bärten oder in Orange gekleideten Grinsemönchen auf hohen Bergen. Doch Scobel schreibt mit psychologischen und neurowissenschaftlichen Argumenten an gegen solche Vorurteile und konstatiert eine durchaus nachvollziehbare gesellschaftliche Mangelerscheinung.
„Weisheit“ ist beileibe kein esoterisches Buch, lässt sich kapitelweise eher als sozialpolitisches Statement, als historische und wissenschaftliche Abhandlung über Zen und Mystik und vielleicht sogar als Lebensratgeber lesen. Ganz sicher ist es der Versuch eines Sinnsuchenden, zwei seiner Lebensthemen – Spiritualität und Komplexität -zusammen zu denken. „Klar, das sind zwei erstmal scheinbar völlig verschiedene Welten“, so Scobel, „aber wenn man nicht mit einer permanenten kognitiven Dissonanz rumlaufen will, muss man das irgendwie zusammenkriegen (lacht). Und ich glaube, dass nicht nur ich als Individuum gezwungen bin, das zusammen zu denken, sondern dass wir gesellschaftlich und kollektiv in einer Situation sind, in der wir hohe Technik und Wissenschaft, das Verstehen von komplexen Vorgängen —übrigens auch in der Politik, in der Wirtschaft-mit diesen alten Weisheitstraditionen zusammenbringen müssen, weil wir ohne sie wahrscheinlich untergehen.“ Scobel lächelt. Er ist halt ein sympathischer Aufklärer, kein Weltuntergangsprophet.