Die Songs

Von der Redaktion ausgewählt: 50 der besten Hits und versteckten Perlen der 80er-Jahre

Lipps Inc.

Funkytown

1980 Casablanca

Ein Anderthalb-Hitwunder aus Minneapolis, wo nebenan im Paisley Park unter der Regie von Prince vermeintlich unvereinbare Sound- und Körper-Stile zu etwas gänzlich Neuem verschmolzen. „Funkytown“ hätte ein Bastard aus der Paisley-Produktion sein können. Ohne falsche Scham griff Produzent Steve Greenberg in die Bonbonniere der grellen Effekte: keine Sekunde verschenken, ohne die Geschmacksnerven zu reizen. Singen da die Pointer Sisters zu einem Devo-Track? Haben sich Chic auf die Kirmes verirrt? Bekifft? Hat Giorgio Moroder einen neuen Vocoder? So gesehen ist „Funkytown“ auch die Mutter des Autotune-Pop von heute.

The Cure

A Forest

1980 Fiction

In den düsteren Diskos war „A Forest“ stets ein Höhepunkt der Nacht – mehr noch als andere Songs tauchte das seltsame Lied über einen Jungen im Wald die Tanzfläche in ein unheimliches, unwirkliches Licht. Robert Smith hatte als Tour-Gitarrist von Siouxie & The Banshees die dunkle Seite der Macht kennengelernt und den Sound seiner Band mit dem Album „Seventeen Seconds“ in Richtung Goth gewendet. Die Rockharmonien, das treibende Schlagzeug, die spindeldürren Chorus-Gitarren – das Lied öffnete The Cure die Tür zu den Charts. „A Forest“ schaffte es in Großbritannien bis auf Platz 31.

Dead Kennedys

Holiday In Cambodia

1980 Alternative Tentacles

„Let’s Lynch The Landlord“, „Nazi Punks Fuck Off!“, „Kill The Poor“, „Too Drunk To Fuck“ – beißend sarkastische, wütend politische und schmerzhaft polemische Parolen der Dead Kennedys, die fest ins Poesiealbum des 80s-Punk gehören. Mit „Holiday In Cambodia“ verhöhnte Jello Biafra wohlsituierte Studenten, die die Slums romantisch finden und meinen, die Armen hätten echt Soul. Sie sollten mal Urlaub in Kambodscha machen, das sei auch sehr romantisch. Haha! Das panische Riff, die getriebenen Trommeln, Biafras strenger Lederstiefel-Gesang: eine explosive Mischung, die eine ganze Generation von Hardcore-Bands prägte.

Fehlfarben

Grauschleier

1980 EMI

Wahrscheinlich regt Peter Hein sich maßlos auf, wenn wieder einmal ein Blogger oder Journalist seine Textarbeit mit der Zeile „Es liegt ein Grauschleier über der Stadt“ beginnt. Sollen sie sich doch was Eigenes ausdenken! Wobei: Hein ist selbst Schuld, dass seine Zeilen so gerne geklaut werden, er ist eben auch ein Verführer. „Grauschleier“ ist der Hit auf „Monarchie & Alltag“. Trotz des Erfolgs von „Ein Jahr (Es geht voran)“, trotz des Kults um „Paul ist tot“. Jedoch stellt eine andere Version das scharfkantige Original beinahe in den Schatten: die Live-Interpretation von Heins anderer Band Family 5 – extrem nah an The Jam.

Motörhead

Ace Of Spades

1980 Bronze

Motörhead brauchten mal wieder keine drei Minuten, um ihre Vorstellung von Rock’n’Roll in einem Song zu zementieren. Lemmy Kilmister schrubbt seinen „Rickenbastard“ und grölt dazu, dass es eine Freude ist – eine wuchtigere Hardrock-Hymne gibt es nicht. „Ace Of Spades“ zelebriert das Weltbild des ewigen Außenseiters, der mit seinen Cowboystiefeln durch eine grausame Welt stapft: „You know I’m born to lose, and gambling is for fools/ But that’s the way I like it baby/ I don’t wanna live forever.“ Immerhin 65 wird er in diesem Jahr schon.

Talking Heads

Once In A Lifetime

1980 Sire

David Byrne hatte mit Brian Eno seinen afrikanisch informierten Art-Funk-Pop perfektioniert und für „Remain In Light“ Musik geschrieben, die auf der Bühne genauso gut funktionierte wie im Museum für moderne Kunst. In dem Lied geht es vordergründig um einen Mann, der den vorgezeichneten Weg der Wohlstandsgesellschaft geht, doch es steht viel mehr auf dem Spiel: Das ist nicht mein Haus, das ist nicht meine Frau – womöglich ist die Realität nicht halb so verlässlich, wie wir glauben. Ein Lied zum Verrücktwerden.

Laurie Anderson

O Superman

1981 Warner Bros

Schwer vorstellbar, dass dieses Lied Platz zwei der britischen Charts erreichte: „O Superman“ ist eine acht Minuten lange Klanginstallation und Spoken-Word-Performance über zwei minimalistisch arrangierte Akkorde, inspiriert von der Arie „Ô Souverain, Ô Juge, Ô Père“ von Jules Massenet. Laurie Anderson reflektiert über den Zusammenhang von Kommunikation, Gewalt und US-Politik, das waren und sind ihre Themen. Anderson, eben noch New Yorker Aktionskünstlerin, bekam einen Major-Vertrag und wurde zur Art-Pop-Elektro-Avantgarde.

The Specials

Ghost Town

1981 Two Tone

Sekundenlang pfeift es durch die Geisterstadt, mehr Wind machen die Bläser. „This town is coming like a ghost town.“ Neville Staples, die karibische Stimme der Specials, bringt die klaustrophobische Spannung auf den Begriff: Ghost Town, alle Clubs sind dicht, Bands spielen nicht mehr, Fights auf dem Dancefloor. Im Frühjahr 1981 toben Straßenkämpfe in den Inner Cities: Brixton, Toxteth (Liverpool), Moss Side (Manchester). Die Antwort vor allem junger, nicht-weißer Briten auf die antisoziale Politik des Thatcher-Regimes. Im Juli 81 steht „Ghost Town“ auf Platz eins der UK-Charts, sechs Minuten anglokaribischer Soundtrack zum Riot.

Soft Cell

Tainted Love

1981 Some Bizarre

Zum Heulen und zum Weglaufen ist dem Protagonisten von „Tainted Love“ zu Mute: „Ich liebe dich, obwohl du mir so wehtust.“ Was Suicide Ende der 70er in den USA für den Rock’n’Roll, das leistet das Keyboard-Stimme-Duo Soft Cell in Großbritannien für den Soul: Modernisierung durch Elektrifizierung! Schwule Jungs spielen gern Drama-Queen, also gibt Marc Almond für die Maxiversion die Diana: In satten acht Minuten rahmt „Tainted Love“ einen Supremes-Klassiker von der verblichenen Liebe ein: „Where Did Our Love Go?“

The Jam

Town Called Malice

1982 Polydor

Es war das andere England, das in den bunten Popsongs nicht vorkam. Zwischen Milchmännern und Sonntagsbraten, Bier und quietschenden Kinderschaukeln entwirft Weller eine triste Working-class-Welt – „time is short and life is cruel“ -, aus der es nur einen Ausweg gibt: stolz die Flucht nach vorne antreten, wie es sich für einen Mod gehört. „Town Called Malice“ wurde seine dritte Nummer eins.

Madness

House Of Fun

1982 Stiff

Ihre erste Nummer eins in den britischen Charts (und die einzige – „Our House“ kam später im Jahr nur auf Rang vier). Keyboarder Mike Brason und Saxofonist Lee Thompson schrieben den Song, der erst „Chemist Facade“ hieß und davon handelt, dass ein Pubertierender in der Apotheke Kondome kaufen will, den Wunsch aber so umständlich formuliert, dass der Apotheker glaubt, er suche Scherzartikel – woraufhin er den Burschen zu einem „House Of Fun“ schickt.

Grandmaster Flash & The Furious Five

The Message

1982 Sugar Hill

Ein junger Mann geht durch die Straßen der Bronx und kommt sich vor wie auf einem Dschungelmarsch. Vor seinem inneren Auge läuft im Zeitraffer der Lebensweg des Menschen ab, der in diese Hasswelt hineingeboren wird: frühe Erfahrung von Zweitklassigkeit, falsche Moral, das Ende an einem Stück Wäscheleine in der Gefängniszelle. Den Popsong dazu hören bald auch die privilegierten Jugendlichen in Europa, die sich das Ghetto als heiteres Idyll einbilden. Die erste urkundliche Erwähnung sozialer Missstände in einem Rap-Stück (siehe auch Seite 114).

ABC

All Of My Heart

1982 Neutron

Martin Fry wollte den Song als Ruhepol des Pop-Meisterwerks „The Lexicon Of Love“ eher spartanisch aufnehmen. Doch nicht mit Trevor Horn! Der Produzent sah in dem melodramatischen Stück einen Evergreen im Stil von „Bridge Over Troubled Water“ – zu Recht. Und was braucht so eine wunderbare Schmonzette dringender als Streicher? Die Single stürmte die Charts, doch dem anspruchsvollen Fry ging das alles zu einfach. „Ab einem bestimmten Punkt kannst du auch ein Kinderlied singen und kommst in die Top Five“, schmollte er Ende 1982.

Dexys Midnight Runners

Come On Eileen

1982 Mercury

Der Kernsatz von „There There My Dear“, dem Dexys-Hit von 1980: „Der einzige Weg, Dinge zu verändern, besteht darin, die Leute zu erschießen, die die Dinge gestalten.“ Zwei Jahre später haben sich die Dexedrin-getriebenen Soul Boys in latzbehoste Belfast-Ersatz-Cowboys verwandelt, und ein hysterischer Kevin Rowland ruft statt zum Tyrannenmord zur Unzucht auf: „With you in that dress, my thoughts I confess verge on dirty. Oh, come on Eileen!“ (Over-The-)Top-Hit weltweit. Trotz studentischer Ausdruckstänze.

Robert Wyatt

Shipbuilding

1982 Rough Trade

Elvis Costello und Komponist Clive Langer suchten eine andere Stimme für ihr Lied über die Vorbereitungen auf den Falkland-Krieg. Eine Stimme, die nicht klagen oder mahnen, sondern wie die eines Engels klingen sollte, der alles Leid auf der Erde mit angesehen hat – und nun eine neue Geschichte erzählt. So kamen sie auf Wyatt. Der war gerührt von der Vorstellung, dass sich ein Großer wie Costello an den Mann in der Land-Enklave erinnerte. Sein Gesang erfüllte alle Hoffnungen – und brachte ihn in die britischen Top 40.

Donald Fagen

I. G. Y. (International Geophysical Year)

1982 Warner Bros

Nach „Gaucho“, dem vorerst letzen Album von Steely Dan, nahm Fagen seine erste Soloplatte im Geist des Rhythm’n’Blues und der 50er-Jahre auf. Das „International Geophysical Year“ hatte von Juli 1957 bis Ende 1958 gedauert und sollte die Restriktionen des Kalten Krieges in der Wissenschaft lockern: „What a glorious world this will be“, heißt es im Refrain, die Bläser spielen das unvergessliche Riff (in der Werbung immer wieder gesampelt, was Fagen ein kleines Vermögen einbrachte). Die Zukunftshoffnung erfüllte sich nicht, aber Fagens Musik evoziert Glamour und Hybris jener Ära.

Violent Femmes

Gone Daddy Gone

1982 Slash Records

Von Jonathan Richman kommt die Forderung, eine Rock’n’Roll-Band müsse auch dann spielen können, wenn die Gitarre kaputt ist und der Regen fällt. Die Violent Femmes konnten das: junge Typen Anfang 20, die aus dem Stand wahrhaftige, romantische und humorvolle Lieder über die Adoleszenz heraushauten. Eines ihrer besten zeigt das Trio aus Wisconsin nicht nur als Xylofon-Autodidakten, sondern auch als clevere Zeilendiebe: Für die dritte Strophe klaute Gordon Gano den Mittelteil von Muddy Waters‘ „I Just Want To Make Love To You“.

Michael Jackson

Billie Jean

1983 Epic

So viel Disco war nie wieder. So viel Soul-Pop war nie wieder. Und auch so viel Moonwalk war nie wieder. Ganze Kompanien von so genannten R&B-Sängern arbeiteten sich hernach an Jacksons Tanzschritten ab. „Billy Jean“ ist sein vollkommener Song, ein Beat wie aus einem Guss, dazu unglaublich funky Gitarren und die schönsten „Heeeee“-Jauchzer aus der Kehle des jungen King. Seither wird der Song gern von wild schwängernden Schürzenjägern als Beweis ihrer Unschuld gesungen: „The kid is not my son.“ Damit werden sie immer durchkommen.

U2

New Year’s Day

1983 Island

Nach den anfänglichen Zweifeln – können wir Christen und gleichzeitig Rockstars sein? – hatten sich die Iren gefangen, ihr drittes Album „War“ strotzte vor Sendungs- und Selbstbewusstsein. „New Year’s Day“ hatte alles, was bald als „klassischer U2-Sound“ gelten sollte: die dräuende Marsch-Melodie, den eindringlichen Gesang von Bono und die klassische Mischung aus politischem und Liebeslied. Angeblich ging es um die Solidarnosc-Bewegung, die Hinweise muss man zwischen all den „I want to be with you, be with you“-Zeilen aber erst mal suchen.

The Go-Betweens

Cattle And Cane

1983 Rough Trade

Grant McLennan schrieb diesen Song auf Nick Caves Gitarre, während der komatös in der Ecke lag. Im kalten, grauen Londoner Winter 1982/83 wärmte ihn die Erinnerung an seine Kindheit auf einer Rinderfarm im australischen Outback. In drei Vignetten beschwor er die verlorene Zeit und gedachte seines verstorbenen Vaters: „His father’s watch, he left it in the showers.“ Am Ende taucht dann am weiten Horizont wie ein Geist sein Go-Betweens-Partner Robert Forster auf: „I recall the same, a reply/ A plan you once had from time down to mine that time was bad/ So I knew where I was alone and so at home“. Wie die Geschichte weiterging, wissen wir.

New Order

Blue Monday

1983 Factory

Singt da auch jemand? Ja, und wie, denn „Blue Monday“ ist ein echter Song, ein Blues-Problemsong sogar, in der die Frau den Mann schlecht behandelt. Aber das hört man erst nach zwei Minuten. Der extra-maschinelle Beat, der Italo-Disco-Bass, die Industrial-Geräusche und Trance-Flächen ziehen den Hörer erst mal zwei Minuten lang in die Gegenrichtung, ins Bacchantische der Tanznacht. Und zeigt am Ende, dass das eine das andere nicht ausschließen muss. Dass eine Band sich ab Werk selbst remixen kann.

Tom Waits

16 Shells From A Thirty-Ought 6

1983 Island

In Waits‘ Augen ein Field-Holler – also ein Song, geschrieben für die Untermalung der harten Arbeit im Feld, oft gesungen von angeketteten Gefangenen, den Chain-Gangs. Der Meister erzählt die seltsame Geschichte eines Farmers, der eine Krähe einfängt, sie in einer alten Washburn-Gitarre einsperrt und den Vogel verrückt macht, in dem er wild die Saiten schlägt. 1983, als das wunderliche Album „Swordfishtrombones“ erschien, waren das noch ganz neue Klänge: Waits ließ sein besoffenes Klavier allein und trollte sich fortan auf dem staubigen Schrottplatz.

The Smiths

This Charming Man

1983 Rough Trade

Die zweite und beste Single der Smiths. Johnny Marrs Gitarre wirft ein paar kurze Akkorde ein, bevor Bass und Schlagzeug den so triumphalen Sound dieser Band fortspinnen. Auftritt des Dichters: „A punctured bicycle on a hillside desolate/ Will nature make a man of me yet?“ Morrissey singt beseelt und jenseitig, als sei seine eigene Existenz von der Haltung des Protagonisten abhängig. Auch wenn man keine Ahnung hat, worum es geht, fühlt man sich von dem barmenden Hymnus eingesogen. Männlicher Verletzlichkeit habe er in dem Song eine Stimme geben wollen, sagte er später.

Frankie Goes To Hollywood

Relax

1983 ZTT

Für geschlechterpolitischen Pop gab es keine bessere Zeit als die frühen 80er in England, nie waren mehr schwule und queere Acts in den Charts. „Relax“ war der Höhepunkt dieses Trends. Genau, der Höhepunkt ist das Thema, das Kommen, das Hinauszögern des Orgasmus, das Loslassen, das Entspannen. Und das große Finale: „Aber schieß in die richtige Richtung/ Nimm dir das bitte fest vor“, und dann: „Stoß mich, stoß mich mit diesen Laserstrahlen.“ Dass es Männer sind, die sich gegenseitig Laser in die Lenden stoßen, macht es der mächtigen BBC einfacher, den Song zu verbieten. Was nicht verhindern kann, dass „Relax“ fünf Wochen auf Platz eins der UK-Charts steht. Queer sex sells. Bis AIDS kam.

Talk Talk

It’s My Life

1984 EMI

Die erste Zusammenarbeit von Talk Talk mit Produzent Tim Friese-Green. Zwar bestimmten immer noch Synthesizer den Sound, doch den losen Pop ihres Debüts hatten sie überwunden. Akustische Instrumente und exotische Rhythmen mischten sich in die Tracks, und Mark Hollis ließ in den Texten erstmals hinter seinen Pony blicken. „It’s My Life“ wurde seine erfolgreichste Single – aber erst beim Re-Issue 1990. Da war die Band längst jenseits des Pop-Paradieses unterwegs.

Strawberry Switchblade

Since Yesterday

1984 Korova

Auf dem Weg zu ihrem kurzlebigen Ruhm bekamen Rose McDowall und Jill Bryson Unterstützung von mehreren Helden ihrer Heimatstadt Glasgow. James Kirk (Orange Juice) war Freund und Mentor, Roddy Frame (Aztec Camera) spielte hin und wieder Gitarre. Strawberry Switchblade sahen aus wie die Schwestern von Boy George oder die Bräute von Robert Smith, je nach dem. Auch die Musik steht in dieser Spannung: „Since Yesterday“ ist niedlicher 80s-Synthiepop, doch es regt sich etwas dunkel Romantisches in dem Lied, das sowohl in den Charts als auch beim Goth-Pop-Publikum gut ankam. Leider ein One-Hit-Wonder.

Herbert Grönemeyer

Männer

1984 EMI

Da brannte ihm doch einiges unter den Nägeln. Mit Günther-Netzer-Frisur und biederem Outfit konnte Grönemeyer zu Beginn der Dekade weder den Disco-Poppern als Stil-Ikone gelten, noch bei eingefleischten Rockfans punkten. So machte der heimatliebende Ruhrpottheld die Hitplatte „4630 Bochum“ und rechnete gleich noch mit den Schwächen des eigenen Geschlechts ab. „Wann ist ein Mann ein Mann?“ fragte er durchaus glaubwürdig. Zumindest in der deutschen Radio-landschaft machte sich Grönemeyer mit diesem Lied unvermeidbar.

Prince

When Doves Cry

1984 Warner Bros

Die große Eitelkeit: Die One-Man-Show „Purple Rain“ machte Prince zum Leinwandhelden und Weltstar, in einem fast grotesk souveränen Spiel mit den Stilen. „When Doves Cry“ treibt den antiseptischen Pop der Dekade vorzeitig auf die Spitze, doch das allein macht nicht die Faszination aus. Vielmehr sind es der maschinelle Beat und die kühlen Vocals – Prince singt von schwierigem Sex und geheimen Psychosteuerungen, doch alles bleibt unter Kontrolle. Jedenfalls bis zum Kreischen am Ende des Liedes.

Bruce Springsteen

No Surrender

1984 Columbia

Es ist natürlich dieser eine Satz, der das Lied unvergesslich macht: „We learned more from a three-minute record, baby, than we ever learned in school“, der noch heute bei Konzerten frenetisch mitgegrölt wird. Zur „Born In The U.S.A.“-Zeit beschwor Springsteen mit aufrechtem Gang, den Hintern vor Stars and Stripes zur Schau stellend, in ausverkauften Stadien den Niedergang der Nation. Rebellischen Idealismus kann man das nennen – dabei ist es vor allem große Poesie. Bruce selbst sang zuletzt Liebeslieder an die Supermarkt-Queen und Barack Obama. Die zwingende Geste von „No Surrender“ ist ihm leider abhanden gekommen, geblieben ist der Überschwang.

Sade

Smooth Operator

1984 Epic

Mit ihrem Debüt wurde Sade Adu zur 80er-Stilikone. Der Lounge-Latin-Jazz-Pop von „Diamond Life“ schien die musikalische Entsprechung zu Thatchers neuem Großbritannien zu sein, passte gut zu Londons Selbstverständnis als edle Finanzmetropole. „Smooth Operator“ ist die Blaupause dieser Musik, ein kontrolliert erotisches Lied über einen internationalen Playboy. Sades stimmliche Präsenz ist enorm, die Band spielt solide und sophisticated. Und wie sich der Refrain aus den lasziven Strophen schält, das ist nebenbei auch außergewöhnliches Songwriting. Wir hingen an ihren Lippen, doch sie blieb unerreichbar – wie der Playboy im Lied, der die Frauen glücklich macht, aber nicht liebt.

Depeche Mode

Master And Servant

1984 Mute

Für Depeche Mode begann eine neue Ära: endgültig kein Teenie-Pop mehr! Es produzierte Gareth Jones, der zeitgleich mit den Einstürzenden Neubauten arbeitete. Der Hammer-Amboss-Abzählreim „Master And Servant“ wird oft auf seine sexuelle Metaphorik reduziert – kein Wunder: Martin Gore hatte kurz zuvor begonnen, den Kleiderschrank seiner Freundin aus Berlin zu plündern und stürzte sich mit Wonne in die zwielichtigsten Etablissements der noch geteilten Stadt. Doch Gore hatte mehr als eine erotische Provokation im Sinn und schlägt am Ende des Songs die Brücke zwischen Bett und Beruf. Hier und da sei „domination the name of the game“. Mit einem entscheidenden Unterschied: „In one you’re fulfilled at the end of the day.“

Lloyd Cole & The Commotions

Perfect Skin

1984 Polydor

Eigentlich hatte Lloyd Cole mal der neue Isaac Hayes werden wollen, doch die Commotions jingle-jangelten (nicht nur) auf dieser Debütsingle eher wie die Byrds. Der Sänger war Anfang 20, kleidete sich aber wie ein Buchhändler mittleren Alters. Er hatte schon damals zu viel gelesen und musste doppelt so schnell singen wie seine Band spielte, um all die Referenzen und Bonmots unterzubringen. So gelang ihm in drei Minuten ein Sittengemälde der oberflächlichen, hedonistischen 80er. Am Ende fasst Cole die gesamte Dekade in zwei Zeilen zusammen: „Seems we climbed so high, now we’re down so low/ Strikes me the moral of this song must be there never has been one.“

Madonna

Like A Virgin

1984 Sire

Weil seit so vielen Jahren immer wiederholt wird, dass Madonna sich ständig neu erfindet, hat man fast vergessen, wie sensationell die erste, vielleicht echte Madonna war: eine fröhliche, etwas schlamperte Hedonistin, noch nicht ganz vom Ehrgeiz zerfressen und doch auf größtmögliche Bekanntheit aus. Ihr Gekiekse war natürlich kein bisschen naiv, auch wenn der Song angeblich die wahre Liebe feiert. Die kleinen Mädchen verstanden es sofort, die Männer allerdings auch. „Like A Virgin“ schoss Madonna in Sphären, die kein weiblicher Popstar vor ihr erreicht hatte. Ihr Stil wurde fortan millionenfach kopiert, origineller wurden die 80er-Jahre nicht mehr.

The Jesus & Mary Chain

You Trip Me Up

1985 Blanco Y Negro

Die zweite Single von The Jesus & Mary Chain perfektionierte die Formel: Velvet-underground-Coolness trifft auf Beach-Boys-Bubblegum-Pop. Entscheidend ist der weiße Lärm aus Gitarren-Feedbacks, der das Lied zudeckt. The Jesus & Mary Chain haben mit ihrem heillosen Krach und höhlenartigen Sound alle möglichen Genres inspiriert, von Shoegaze bis zum Britpop der 90er-Jahre. Die Musik des Debüts wirkt heute etwas linkisch, doch damals eröffnete sie eine ganz neue Welt. So gelangweilt, so aufregend!

Prefab Sprout

Appetite

1985 Kitchenware

Produzent Thomas Dolby verpasste den Songs des Albums „Steve McQueen“ ein dichtes Kleid aus Synthies und Effekten. Zeitgemäß und doch zeitlos, keine Frage. Wie diese herausragenden Lieder auch hätten klingen können, zeigte Sänger und Komponist Paddy McAloon dann 2007, als er die besten Stücke alleine mit der akustischen Gitarre neu einspielte – und in ganz frisches Licht tauchte. Allen voran „Appetite“, das so viel bedeuten kann: die Warnung eines Vaters an den Sohnes, nicht jedem Rock nachzujagen. Oder die guten Wünsche einer werdenden Mutter an das Kind in ihrem Bauch.

Kate Bush

Running Up That Hill

1985 EMI

Mit „The Dreaming“ von 1982 hatte Kate Bush die Kritiker überfordert. Das 1985 folgende, von ihr allein produzierte „Hounds Of Love“ war Wiedergutmachung und Vollendung – die Musik ist deutlich Pop-orientierter, aber ebenso komplex und klanglich einzigartig. „Running Up That Hill“ ist die erfolgreichste Single des Albums und einer der drei, vier wichtigsten Songs dieser Karriere. Bush singt, dass der Mann die Frau nicht verstehen kann, und wie es wohl wäre, wenn man eine Weile im Körper des anderen leben könnte. Die komisch verbogenen Keyboards, die watteweichen Trommeln, Bushs unwirkliche Feenstimme: Alles an diesem Lied ist ein Geheimnis.

a-ha

Take On Me

1985 Warner Bros

Für den Triumph der ersten a-ha-Single war nicht nur die unwiderstehliche Melodie verantwortlich, auch nicht die sich in luftige Höhen schraubende Stimme von Morten Harket. Es war der Clip – halb real, halb Comic -, der das norwegische Trio weltberühmt machte. Bei den MTV-Video-Awards gewannen sie sechs Trophäen, „Take On Me“ war Nummer eins in 36 Ländern. Während die Synthiepop-Kollegen Depeche Mode mit Sado-Spielen verstörten, konnten sich auf a-ha alle einigen.

Pet Shop Boys

West End Girls

1985 Parlophone

Der abgezockteste Start einer Popkarriere aller Zeiten: Neil Tennant kündigte seinen Job beim Teen-Magazin „Smash Hits“, unterschrieb bei der EMI und veröffentlicht mit Partner Chris Lowe die Single „Opportunities (Let’s Make Lots Of Money)“. Der nächste Schachzug: „West End Girls“. Label und Management waren zuerst nicht erfreut – zu langsam, zu langweilig. Am Ende war der Song trotzdem gut für 1,5 Millionen verkaufte Singles.

Peter Gabriel

Sledgehammer

1986 Charisma

Im Video zu „Sledgehammer“ kann man in die irrwitzige Phantasiewelt des Peter Gabriel schauen. Da gibt es tanzende Hähnchen, durch Köpfe tauchende Fische und Gesichter aus Früchten. Seinen bunten Kosmos konnte Gabriel hier auch musikalisch umsetzen. Nach dem legendären Panflötenintro steigert sich „Sledgehammer“ mit Bläsersätzen zu Gabriels furiosem Gesang. Es ist schon erstaunlich, dass der Song sich trotz damaliger Produktionstechnik so gut gehalten hat und heute nicht nur von Oldie-Sendern gedudelt wird.

The The

Infected

1986 Epic

Über Matt Johnson kursierten damals seltsame Gerüchte: Der obsessive Musiker sei dem Suff erfallen, er hause in einem vermüllten Londoner Apartment und masturbiere vor dem Fernseher. „Infected“ ist eine erotische Rettungsfantasie: „Take me by the hands/ And walk me to the end of the pier/ From my scrotum to your womb/ Your cradle to my tomb.“ Zu Industrielärm und kreischenden Bläsern entfaltet sich der infernalische Funk, der 1986 in dieser Form einzigartig war.

Guns N’Roses

Welcome To The Jungle

1987 Geffen

1987 hatte niemand geschliffenere Riffs, bessere Hardrock-Songs und einen mit derart viel Testosteron und Drogen geladenen Frontmann. Besser als auf „Welcome To The Jungle“ wurde es jedoch nicht mehr. Axl Rose meckert sich darin unnachahmlich durch den Dschungel von Los Angeles, zwischen Drogen, Alkohol und sexy Girls. Solche Klischees mit soviel Empathie vorzutragen, haben Bon Jovi noch Jahrzehnte danach vergeblich versucht. Guns N’Roses hatten die Arroganz, später die Dekadenz und noch später den gebührenden Niedergang.

Eric B. & Rakim

Paid In Full

1987 4th & B’way

Besonders an diesem Hip-Hop-Track sind der Tonfall, das unvergeßliche Bassmotiv und: die Mixabilität. Aus dem knapp vierminütigen Albumtrack des New Yorker Duos basteln zwei Briten „Seven Minutes Of Madness – The Coldcut Remix“. Für die Madness im Mix sorgt neben den spitzen Schreien von James Brown das sirenenhafte „Im-enin-aaluu“ einer exotischen Frauenstimme. Dank Coldcut kaufen dann auch deutsche Spießer Schallplatten der israelischen Sängerin Ofra Haza. Eric B. & Rakim fanden den Remix eher doof. Das Geld konnten sie dennoch brauchen.

R.E.M.

It’s The End Of The World As We Know It (And I Feel Fine)

1987 I.R.S.

Es war die Umbruchphase dieser Band aus Athens, Georgia, die bald überall auf der Welt zu Hause sein sollte: Eben hatten sie noch gemurmelten Folkpop aufgenommen, jetzt strebten sie nach Höherem. Der Hit „It’s The End Of The World …“ sprang schon mit so viel Übermut in die US-Top-Ten, dass man ihn mitsingen musste. Ein Stichwort ergibt das nächste, Hurrikane und Kontinentalverschiebung, Lester Bangs und Lenny Bruce – purer Irrsinn und sehr ansteckend.

Public Enemy

Don’t Believe The Hype

1988 Def Jam

Der Indoktrination entkommt ihr nicht – weder im Hauptprogramm noch in den freien Kanälen. Die Wahrheit muss raus in die Welt, deklamiert Rapper Chuck D, während ihm eine nervenzerfetzende Tröte die Aufmerksamkeit sichert: Er sei kein Krimineller, obwohl viele das schreiben, und die Kritiker können sich eh aufhängen, und wer was gegen die Nation Of Islam sagt, soll sich den Verein doch erst mal anschauen. Diese wahnsinnige Crew hatte sogar einen Propagandaminister als Gruppenmitglied und versuchte, es den Leuten beizubringen: Auch unserem Hype solltet ihr nicht zu schnell glauben.

Bomb The Bass

Beat Dis

1988 Mister-Roni

Als ein Magazin alle Samples aufzählte, die der britische Jungspund Tim Simenon zu „Beat Dis“ verknüpft hatte, war man baff: eine Liste länger als die Discografie der Grateful Dead! Die Konsumenten auf dem Dancefloor erfreuten sich vor allem an den Schnipseln aus Cartoons und alten Fernsehserien, die denkenden Kritiker freuten sich, dass die Postmoderne endlich einen Klang hatte, und verwiesen auf die Cut’n’Paste-Kunst von John Cage oder sogar auf die Dadaisten. Am Ende stellte sich heraus: „Beat Dis“ war grandioser Pop, mehr nicht. Die Postmoderne hat sich verdünnisiert, aber trefflich tanzen lässt sich hierzu immer noch.

Fugazi

Waiting Room

1988 Dischord

Die cool groovende Basslinie, das lose Schlagzeug, der grölende Punk-Gesang, die brachialen Gitarren – dieses Lied droht jeden Moment zu bersten. Zur Geschichte der Band aus Washington, D.C. gehören auch der politische Aktivismus, die D.I.Y.-underground-Attitüde und die Straight-Edge-Tendenzen. Dahinter standen grimmige Überzeugungen, die die Musik von Fugazi in jedem Moment informierten. Tom Petty

Free Fallin‘

1989 MCA

Kein Wunder, dass unheimliche Dinge in Tom Pettys Kopf passieren. Man glaubt ihm auch gern, dass das brüchi-ge, David-Lynch-artige Idyll von „Free Fallin'“ ein Stream-of-consciousness-Text ist. Auch Produzent Jeff Lynne ist ein unheimlicher Mann, und er polierte Pettys Westcoast-Reminiszenzen so glatt, dass die Vampire, die in dem Song durchs Tal Richtung Westen spazieren, sich darin zu spiegeln scheinen. Axl Rose fragte Petty einmal nach dem Ursprung dieser Zeilen. „Wenn ich mit dem Auto durch die Gegend fahre, sehe ich manchmal die Leute auf den Bürgersteigen wie Schatten vorbeilaufen“, antwortete Petty und grinste schief.

Pixies

Debaser

1989 4AD

Das Brüllen und Lärmen betrieb keiner sonst so intellektuell wie Black Francis. Hier zeigte er unter anderem seine Begeisterung für den surrealistischen Stummfilmklassiker „Ein andalusischer Hund“: „Got me a movie/ I want you to know/ Slicing up eyeballs/ I want you to know.“ Musikalisch ist der Song Blaupause für unzählige Indie-Bands der 90er. Bei aller Punk-Attitüde: Die Pixies waren alles andere als dilettantisches Epigonentum.

Black Box

Ride On Time

1989 Groove Groove Melody

Die schrille Soulstimme auf dieser unvergesslichen Single gehört der Disco-Queen Lorraine Holloway: Die drei Herren von der Italo-Dance-Diele sampleten ihr Organ aus dem Hit „Love Sensation“. Hätte unter Sample-Kunst laufen können, doch die Sängerin nicht einmal in den Credits zu erwähnen, war dann doch zu dreist. Holloway klagte, bekam Recht und einen gewichtigen Anteil der Tantiemen.

Neil Young

Rockin‘ In The Free World

1989 Reprise

1989 sah Young ein Foto von Ayatollah Khomeinis Beerdigung, auf dem amerikanische Flaggen verbrannt wurden. „It’s probably better we just keep on rockin‘ in the free world“, kommentierte Gitarrist Frank Sampedro. Young machte daraus einen Song, in dem er der scheinbar so freien Welt im Allgemeinen und der US-Politik zu Leibe rockte. Mit einer Direktheit und Wucht, die in Youngs 80er-Werk ohne Gleichen ist. Der Fall der Berliner Mauer machte das Lied zur Hymne.

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