Die silbernen Surfer
In Sydney feierten Radio Birdman Mitte der 70er Jahre glühende Nächte - weltbekannt wurden sie durchs Nichtstun
Die Zahlen auf dem Zeitstrahl von Radio Birdman, der knapp vor AC/DC größten, coolsten, wölfischsten Rockband Australiens, erzählen bei genauer Analyse die komischsten Sachen: dass es etwas Ähnliches wie Punk in Australien schon gegeben haben soll, bevor es im viel wichtigeren England damit losging. Dass die Band in einer Phase ihren Welt-Durchbruch erlebt hat, in der es sie überhaupt nicht gab. Und dass Radio Birdman wahrscheinlich jetzt mit ihrem dritten Studioalbum den größten Hit landen werden, obwohl sie das zweite vor 28 Jahren gemacht haben. „Stimmt schon: Durch beharrliches Nichtstun haben wir uns eine eigenartige Credibility verdient“, sagt Sänger Rob Younger, 56, früher vom „NME“ in Anspielung auf den Yes-Keyboarder „a psychotic Rick Wakeman“ genannt. „Glück gehabt. Jetzt dürfen wir durch die Welt reisen und für die Leute spielen.“
Wenn sie Ende August ihre Tour begonnen haben, wird es tatsächlich das allererste Mal gewesen sein, dass Radio Birdman in Amerika auftreten – so weit waren sie in der ersten, dunkelroten Epoche (1974 bis 1978) gar nicht gekommen. Nur bis England, wo sie damals den Anschluss an die Trademark-Punks suchten und nicht fanden. Dass Radio Birdman sich noch vor der Heimkehr auflösten, lag allerdings daran, dass die Rocker nie soviel Zeit am Stück miteinander verbracht hatten wie auf der besagten UK-Tour. Und sich plötzlich nicht mehr mochten. 1996, bei der überraschenden Wiedervereinigung der Ur-Mitglieder, war alles verdampft.
Jetzt, wo es mit der neuen Platte „Zeno Beach“ richtig profihaft losgeht, sind noch vier der sechs Original-Leute dabei.
Endlich eine ganz normale Band, die die Geschichte hinter sich herzieht wie eine ritterliche Schleppe. „Ich sehe unsere alten Bilder oft auf den Körpern der Leute“, sagt Younger. .“Vor kurzem habe ich mich mit einem Zuschauer unterhalten, der ein ungeheuer detailliertes Bild von meinem Gesicht auf dem Arm tätowiert hatte. Muss sehr weh getan haben.“
Der Tätowierte war höchstens gerade geboren, als Radio Birdman 1974 in Sydney losspielten, inspiriert von den MC5, Iggy und den Stooges, Surf-Musik und den New York Dolls, natürlich. Finsterer, scharf beschleunigter Classic Rock, teils mit bebendem Klavier-Pathos, blutdurstig gebellt von Rob Younger-so klingen sie heute noch immer. 1975 implantierten sie sich als Hausband im eigenen 350-Gäste-Club „The Oxford Funhouse“,wo Sire-Records-Chef Seymour Stein beim Birdman-Konzert auf dem Tisch tanzte, obwohl er eigentlich nur in Sydney war, um die befreundeten Saints zu signen.
Eine Lederjacken-Zeit, in der Radio Birdman jedoch alles Erreichbare an Show aufboten. „Wir haben sinnlose Rituale zelebriert“, erzählt Younger. „Wir hatten zum Beispiel einen künstlichen Schädel, in den wir Schaf-Gehirn gefüllt haben. Ich habe reingebissen und Hirn auf die Zuschauer gespuckt. Das gab Beschwerden.“ Später traten sie in Uniformen auf, trugen Armbinden mit dem Band-Logo. Und sangen ihr Teen-Anthem „New Race“, in dem die jungen Leute durch Rock’n’Roll zu neuen Wesen mutieren. „Für viele war das zu anspruchsvoll. Wir gerieten ernsthaft in Nazi-Verdacht.“ Wenn man heute die zwei alten, schädelspaltenden Birdman-Platten „Radios Appear“ und „Living Eyes“ hört, soll man im Hinterkopf haben, dass es zu der Zeit in Australien noch nicht mal eine richtige Punk-Nachmacher-Szene gab.
Im ersten Leben waren Radio Birdman halt ein Regionalphänomen, das – anders als die Saints – überall sonst nur Pech hatte. Erst in den Achtzigern wuchs die Reputation, als die Musiker sich mit anderen Projekten beschäftigten, unter anderem mit einer Gruppe namens, tja, New Race, zu der neben drei Birdman-Leuten die Inspiratoren Ron Asheton (Stooges) und Dennis Thompson (MC5) gehörten. Heute profitieren sie von der Mythenbildung-aber bleiben sie diesmal wohl dauerhaft zusammen? „Keine Ahnung“, sagt Rob Younger, „so weit im Voraus plane ich nicht. Wenn wir weiter touren, einmal im Jahr nach Europa gehen und so weiter, dann bleibe ich zumindest dabei. Und wenn wir uns vertragen.“ Nichtstun bringt beim zweiten Mal sicher nichts mehr.