Die Segel sind gesetzt

Hier oben beginnt die Geschichte der Band Starsailor: 25. Stock des King’s Reach Tower, South Bank London, in den Büros des „New Musical Express“, wo im April 2001 ein Redakteur die einleitenden Worte „The Best New Band In Britain“ ins Titelseiten-Layout tippt. Vielleicht auch schon ein Jahr früher, im „Heavenly Social“-Club, beim ersten London-Konzert, streng genommen dem ersten Konzert überhaupt, das Starsailor in der gültigen Besetzung spielen. Eine richtige Geschichte ist das jedenfalls nicht, was um 1997 beginnt, wenn in Warrington im englischen Nordwesten der Sänger James Walsh und der Bassist James Stelfox die erste gemeinsame Band gründen.

Das beste an Warrington ist, dass es nicht weit von Manchester liegt. In den Fünfzigern war die Kabel-Industrie ein großer Arbeitgeber, die Zeit ist vorbei. Wenn junge Menschen hier Musik machen, Spechten sie darauf, irgendwann in Liverpool auf einem Kreuzfahrtschiff zu landen, in der Show-Kapelle. Ein besseres Publikum findet man selten, wenn man aus Warrington kommt. „In so einer Stadt fallen Leute gleich auf, die sich nicht anpassen“, erklärt James Walsh, „und wir waren immer etwas exzentrische Typen, Individuen.“ Er sagt das scheu und halblaut, wie er mit fremden Leuten halt redet Die Haare leicht ungeordnet, sitzt Walsh (21) neben dem Kollegen Stelfox (25), junge Männer in T-Shirts. Dass die zwei daheim als Exzentriker galten, sagt alles über Warrington.

Weg wollten sie nie, anders als die Freunde, die nach der Schule nach London zum Studieren gingen. James Walsh hat zumindest einen Bruder in der Hauptstadt, der auch noch die Leute vom „Heavenly Social“ kannte. In den drei Jahren, als mit seinen Bands nichts voranging, hatte Walsh viele Demo-Kassetten nach London geschickt.

„Wir waren so ehrgeizig, dass es schon fast zuviel wurde“, erinnert er sich. Und doch nicht genug: Nein, noch zu früh, hieß die Antwort jedes Mal.

Was genau Starsailor dann auf einmal richtig gemacht haben, wissen sie selbst nicht. Eben war Keyboarder Barry Westhead in die Band gekommen, die aus Walsh, Stelfox und Schlagzeuger Ben Byrne bestand. Ein neues Demo. Und die Einladung. „Es ist komisch“, blickt James Walsh zurück, „so lange war rein nichts passiert, und dann kamen wir plötzlich jede Woche einen Schritt weiter.“ Der Wendepunkt war nichts als ein kleiner Vorgruppen-Auftritt für die Gruppe Birdie, im „Heavenly Social“, im April 2000.

Um einen möglichen Grund zu finden, muss man nur Birdie hören, mit ihrem waffelleichten Träum-Pop, und dann Starsailor. Die fiebrig geschlagene Akustik-Gitarre, das ausschweifende Klavier, Walshs drängender, glühender Gesang. Zarte Verzweiflung wie oft bei Tim Buckley, der 1970 das Album „Starsailor“ veröffentlichte. So

schwermütig wie osteuropäische Folklore. „Fever“, das Platten-Debüt der Band, wurde im Februar diesenjahres Single der Woche im „New Musical Express“. Was zu erwarten war, nachdem der Kritiker über den zweiten London-Auftritt (einen Monat nach dem ersten) geschrieben hatte: „Ohne voreilig klingen zu wollen, hier ist etwas im Gange!“

Wie gesagt, erst da beginnt die eigentliche Geschichte. Der Werdegang hat unter britischen Bands schon einen gewissen Standardwert, und Starsailor ahnen, dass es bei ihnen mit dem New Acoustic Movement (Turin Brakes, Kings of Convenience und alle, die Gitarren leise spielen) zu tun hat: „Es ist aufregend, Teil davon zu sein, weil hier jeder Band ihre Eigenheiten gelassen werden. Anders als bei der Madchester-Baggy-Sache, wo man bestimmte Kleidung tragen musste, um dazuzugehören“, sagt James Walsh. Als Starsailor sich dann bei Club-Konzerten den Elan wegzuspielen drohten, kam vor einem Jahr die Einladung zur deutschen ROLLING STONE-Roadshow. Ausgerechnet die erkrankten Coldplay sollten sie ersetzen, die Vorsitzenden der Akustiker-Gilde. Das Publikum trug sie auf Händen.

„Ich schreibe meine Songs über Themen, bei denen sich niemand ausgeschlossen fühlt. Wir wollen verwundbar und unzynisch sein. Wir wollen auch denen gefallen, die keine Insider sind“, fasst Walsh arglos zusammen, und man wird das Gefühl nicht los, dass diese Musik reifer und lebensweiser ist, als die Männer, die sie spielen. Irgendwie kein Wunder. Vor kurzem ist das erste Album „Lore Is Here“ erschienen. Es wird sich besser verkaufen als damals Tim Buckleys „Starsailor“. Sicher.

JOACHIM HENTSCHEL

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