Die Schlechtwetter-Band
Was sagen The Black Heart Procession bloß zu dem dämlichen Klischee, sie seien die traurigste Rockgruppe der Welt? Nun ja: Sie stimmen uneingeschränkt zu
Traurige Lieder sind so alt wie die Menschheit. Bereits als Männer noch ums Lagerfeuer hockten, dreckig, frierend und zerlumpt, besangen sie die Einsamkeit, die ihnen das Herz zernagte manche nennen das Selbstmitleid, doch es ist die Poesie und Romantik der Dunkelheit. Die Band Black Heart Procession kommt zwar aus dem provozierend sonnigen San Diego, doch ihre Musik klingt wie der fiebernasse Trau m eines Verzweifelten. Film Noir. Nick Cave, Leonard Cohen und all die heroinsüchtigen großen Jazzer paradieren an einem vorbei, wenn man nur an diesen prachtvollen Namen denkt.
Und auch das fünfte Album „The Spell“ enthält wieder Musik, zu der Männer sich genüsslich die Wunden lecken: „Den Titel ‚The Spell‘ kann man ganz unterschiedlich interpretieren: Liebe kann einen in ihren Bann schlagen, doch es kann auch genauso gut in einer Beziehungsfalle enden. Wir überlassen das gerne der Fantasie unserer Zuhörer“, sagt der Multiinstrumentalist Toby Nathaniel, der zusammen mit Paulo Zappoli (alias Pall Jenkin) alle Songs schreibt und das Zentrum der fünfköpfigen Band bildet.
Seit 1998 arbeiten die beiden Ex-Mitglieder von Three Mile Pilot an Black Heart Procession, ganz so finster und beklemmend wie in den Anfangstagen geht es heute aber nicht mehr zu. Nach dem opulenten „Amore Del Tropico“, wo bis zu 30 Musiker in einen Song involviert waren, herrscht nun eher wollüstige Klaustrophobie. „Unsere Musik war immer eine Antwort auf die allzu sonnige Umgebung San Diegos. Selbst im Winter kannst du dort vor die Tür gehen, und es sind 75 Grad Fahrenheit. Also erschufen wir uns unsere eigenen Jahreszeiten, einen eigenen Herbst und Winter. Bis ich umgezogen bin…“, erzählt Nathaniel, der seit drei Jahren in Portland lebt.
Die Sessions zu „The Spell“ zogen sich wegen der Pendelei zwischen Portland und San Diego gehörig in die Länge, mehr als ein Jahr hat es gedauert. „Die lange Trennung von meiner Frau während der Produktion machte mich außerdem depressiv – was im Prinzip vielleicht ganz gut war, denn so konnten wir noch depressivere Songs aufnehmen“, scherzt Nathaniel, der sich daheim gern zeitgenössischer russischer Klassik hingibt. Manchmal muss es allerdings auch Thrash-Metal aus den späten Achtzigern sein. Kollege Paul hört da lieber Dub-Reggae und alten Soul. „Das klingt, als würden wir nicht so recht zusammenpassen, doch unsere Songs entstehen weniger auf der Basis unseres Musikgeschmacks als auf Grund einer gemeinsamen Lebenserfahrung. Es sind vor allem außermusikalische Dinge, die uns inspirieren.“
Kellner, zum Beispiel. Wie auf jedem Black Heart Procession-Album, mit Ausnahme von „3“ (vergessen!), gibt es auch diesmal wieder einen Song namens „The Waiter“: „Musikalisch erlaubt uns der Song, eine ursprüngliche, fundamentale Vorstellung der Band zu entwickeln: In einem einfachen Format eine dunkle Stimmung zu erzeugen und dabei sehr ungewöhnliche Formen der Instrumentierung zu erforschen.“Und das ist ihnen wieder gelungen.
Happy nightmare, babv!