Die Rückkehr der Luftgitarre
Klingt paradox, doch der Nagel zum Sarg von „Top Of The Pops“ war Pop. Oder besser. Nichts ab Pop. Jahrzehntelang hatte man im Hit-verliebten Britannien die Singles-Charts der Woche verfilmt. Stars, die Tücken lippensynchroner Playback-Übungen meisternd. Fans, die darob ins Schwimmen geratenden Pin-up-Idole tränenblind anhimmelnd. Eine quotenverwöhnte Institution. Bis die Adorations-Mechanik vor ein paar Jahren ins Stottern geriet und die als unanfällig geltende Star-Fan-Automatik immer öfter aussetzte. Techno-Verkalkung und HipHop-Lochfraß waren es, die der TOTP-Maschinerie den Garaus zu machen drohten.
Anonyme DJ’s und MCs, Mixmasters und Synchrontanztruppen beherrschten zunehmend das Fernsehbild. Schwarze Gesellen aus Milwaukee oder Baltimore, die nur mit Mikros bewaffnet über die Bühne hüpften und dazu Slang-Reime bellten über Gangs und Ghettos, Knarren und Knast. Nicht gerade Identifikationsfutter für die Teenies im Publikum. Und noch viel weniger für die Familien vor dem Bildschirm. Kein Image, keine Melodien. Und war doch mal eine dabei, die zum Mitsummen verleitete, dann war sie garantiert uralt und nur mal eben zur ‚Zweit- oder Drittverwertung mit Retortenbeats unterlegt worden.
Britpop schien eine Wende zum Besseren zu bringen. Die Liams, Noels, Crispians und Dämons pumpten frisches Blut in den anämischen Corpus Fandomcis Adolescentis. Jarvis und Justine zeigten Persönlichkeit, boten Flächen für Angriff und Anbetung. Doch die neuen Helden machten sich rar, veröffentlichten nur alle Jubeljahre eine Single, die nicht schon auf dem letzten Album unter die Leute gebracht worden war, und überließen das Charts-Feld weitgehend namenlosen Rappern, gesichtslosen Dance-Muckern und Boy Groups auf ihrem Eintagsflug. Die schleichende Marginalisierung des Programms setzte sich fort, unaufhaltsam, wie es schien. „Schon wahr, es sah nicht gut für uns aus“, gesteht TOTP-Produzent Chris Cowey, „die letzten Monate waren schwierig, unsere Auswahl ärmlich!“. Cover-Versionen und Celine Dion. Und Cover-Versionen von Celine Dion. Das Studiopublikum stand herum wie bestellt und nicht abgeholt. „Aber das ist jetzt vorbei“, freut sich Cowey, „it is a real breath of fresh air to put on some good oldfashioned rock bands.“
Sie haben richtig gelesen. Der Retter hört auf den Namen Rock. Wie in Hard Rock, Heavy Rock, Blues Rock, Punk Rock, Funk Rock. Nach „Spinal Tap“ für mausetot erklärt und eilig verscharrt, zusammen mit dem ganzen unappetitlichen, Schwermetall-kontaminierten Gekröse, ist der wüste, schlamperte Lärm plötzlich wieder obenauf. „Head-banging is back“, vermeldet „The Times“ und schlagzeÜt: „Hot Metal Storms Charts“. The Oflspring führen die UK-Hitlisten an, dicht gefolgt von Terrorvision. „Kerrang!“, die wöchentliche Hard-Rock-Dröhnung am Kiosk, eine Postille voller bunter Band-Fotos in identischen Posen (finster, breitbeinig, grimassierend, stinkefingernd) floriert und hat eben die mehr „alternativen“ Popstilen verpflichtete Konkurrenz vom „Melody Maker“ auflagenmäßig flott überholt. Steht nun die Rehabilitierung der Luftgitarre unmittelbar bevor, droht der Rückfall in die Steinzeit?
Nein, so schlimm wird’s nicht kommen. Die Metal-Jugend an der Millenium-Wende hat wenig gemein mit den Neanderthalern von einst, die sich bis zur Ohnmacht zubrettern ließen von Kastratogeheul, Gitarrensoli nicht unter zehn Minuten und Song-Absurditäten wie „Bring Your Daughter To The Slaughter“. Okay, Iron Maiden, Black Sabbath und Led Zeppelin sind noch immer hoch angesehen in diesen Neo-Rock-Zirkeln, doch schätzt man nicht minder Marilyn Manson, Placebo, Hole und Garbage. Eine auf den ersten Blick schizophrene Welt, die sich da dem „Kerrang!“-Novizen auftut. Bush stehen neben Rush, die Sex Pistols neben Def Leppard. Die Top 100 einer Leserumfrage nach den „Bands that changed your life“ wird angeführt von Nirvana, Metallica und Korn. „Metal has become the home for rebellious youths“, hat „Melody Maker“-Editor Mark Sutherland erkannt und sein Blatt entsprechend eingeschworen. Peter York, Lifestyle-Guru und giftspritzender Snob, schüttelt sich darob vor Ekel. „The metal fan“, so York, „is missing a piece ofaesthetic DNA.“ Alte Feindschaften rosten nicht.
In den USA gehen da die Uhren anders, schon weil der Faktor Stil dort nichts mehr gilt, seit Eddie Cochran in die Kiste gesprungen ist. In „Billboard“ schon gar nicht. Das Handelsblatt der Musikbranche, in dem Wörter wie Stil und Musik konsequent gemieden werden, sorgt sich um wichtigere Dinge. Den Markt, genauen „das Marktsegment Rock“. Hiobsbotschaften für Rock-Profiteure. Und das seit Monaten. Rock-DJs werden vor die Tür gesetzt, ganze Rock-Stationen umgepolt aufRap oder R&B. Die Rock-Renditen sind im Keller, nimmt man bekümmert zur Kenntnis. Das amerikanische Mutterblatt ROLLING SIONE hält mit Macht dagegen, läßt den Rock-Zombie Rob Zombie vom Cover stieren, untertitelt das martialische Porträt „Monster Rock: Hot Pants. Hot Rods, Blood & Guitars“ und listet im Heft die zur Zeit definitiv „10 Best Metal Bands“. Darunter Soulfly, denen eine 7 auf der Härteskala attestiert wird und deren Schlachtruf so geht: „No muthafuckin‘ Hootie & The Blowfish!“ Cool.