Die Repetiergewehre des Alpen-Rap
Mit virtuosen Sound- und Wortspielereien auf dem Album "Sexdrugsandhiphop" schwingt sich das Trio Schönheitsfehler zur Speerspitze einer zu Unrecht verkannten österreichischen HipHop-Szene auf
Wir pflegen die lockere Zunge, und das Ergebnis soll auch flockig klingen. Aber die vielen Triolen und Synkopen in unseren Songs werden schnell jeden potenziellen Nachahmer in die Verzweiflung treiben Von Stefan Krulle Manche Menschen können ja so unglaublich diszipliniert sein. Da mutiert der eine zum devoten Schleimscheißer, um seinen jämmerlichen Job nicht zu verlieren, der nächste versagt sich noch jedes kleine Vergnügen, um seinem Nachbarn aus einem prestigeträchtigen Sportwagen zuwinken zu können. Beides nicht schön – und auch nicht zur Nachahmung empfohlen. Da loben wir uns doch Männer wie Milan.
Der trainierte sieben Jahre lang seine Kiefer-Muskulatur, und all das nur, damit er ein bisschen schneller singen kann als vorher. Aber der Einsatz hat sich dann am Ende wenigstens wirklich gelohnt Und das nicht nur deshalb, weil er die Detailfragen zum Trainingsprogramm nicht beantwortet und statt dessen galant rät, doch „einfach mal die Frauen“ aus seinem Bekanntenkreis zu fragen. Jetzt kommen ihm Verse wie „Gras macht nicht mal aggressiv/ Das Gesetz ging damals tief in die Knie/ Vor der Industrielobby/ So wurde Bauen ohne Bausparvertrag der Leute liebstes Hobby“ derart flink über die Lippen wie dem Zuhörer gerade einmal ein „Stopp, nochmal zurück!“ Was zwar recht schön, nach Aussage des Jugoslawen im österreichischen Exil aber „natürlich noch keine Garantie für Qualität bedeutet. Es vergrößert allerdings enorm meine Möglichkeiten: Denn ich kann jetzt richtig Old School rappen, meine Stimmphrasierungen erinnern aber im nächsten Moment schon fast an eine Jazz-Trompete. Und das ist auf jeden Fall eine Entwicklung.“
Wer wollte hier wohl dementieren? Zumal es im unergründlichen Reich des HipHop ohnehin schwierig genug ist, Fixpunkte auszumachen. Top oder Flop, fake oder real (englische Aussprache, please!) – wer will das schon sagen und sich womöglich in die Nesseln setzen? Doch Milan und seine Kollegen Peman Paul und Christoph aka Bö, die gemeinsam 1993 ihre Band Schönheitsfehler ins Leben riefen, scheinen sich ziemlich gewandt in recht festen Koordinatensystemen zu bewegen. Wie schön indes für all jene, die sich nicht freimütig zum engsten Familienkreis der Gemeinde zählen mögen, dass das Album „Sexdrupandhiphop“ der Österreicher nicht schon nach drei Minuten alles offeriert, womit dann gerade mal die nächste Stunde rumgebracht wird. So etwas erlebt man ja auch immer wieder.
Stattdessen laden 16 Songs in 62 Minuten den hoffentlich gut gelaunten Zuhörer zum heiteren Suchspiel. Wir werden fündig im reichlichen Fundus der Musikgeschichte, entdecken dabei dopeschwangeren Reggae ebenso wie frühe Keyboard-Rhythmen eines Grandmaster Flash, müssen auf Zeitlupen-Beats nicht lange und auf politische Anspielungen (mindestens so gut versteckt wie Ostereier für Kinder) gar nicht warten und entlarven sogar uralte Hippie-Melodien (Auflösung nicht hier, sondern, weil so viel amüsanter, in ihrem Song „Superstar“). Und immer wieder staunen wir über das repetiergewehrflinke Mundwerk von Milan. Aber dieser Umstand ist ja, wie wir nun bereits erfahren durften, kein Selbstzweck.
„Früher, als HipHop deutscher Sprache noch in den Kinderschuhen steckte“, erinnert sich Milan, „da ging es vielen Rappern noch um D-Zug-Tempo. Das klang dann allerdings auch immer genau so interessant, wie es halt nun einmal ist, einem Intercity hinterherzublicken.“ Das Trio von Schönheitsfehler hingegenjongliert lieber ganz charmant mit der Sprache, „wir pflegen die lockere Zunge, und das Ergebnis soll flockig klingen, aber jeden potenziellen Nachahmer in die Verzweiflung treiben.“ Theoretiker Peman Paul versucht nun das scheinbar so Profane noch intellektuell zu untermauern und merkt an, das alles klinge „auch deshalb so schnell, weil es triolisch und mit vielen Synkopen gerappt wird.“ Und weil der Eleve offenbar gerade ein bisschen dumm aus der Wäsche schaut, ergänzt Bö ein „Oder anders gesagt: Es schiebt ganz enorm an, und es klingt dabei trotzdem gut“ Darunter können wir uns nun wieder etwas vorstellen.
Damit wird es langsam Zeit, diese drei beredten Herren nach den doch ganz sicherlich nicht unwichtigen Spezifika ihrer Heimat Österreich als Geburtsort einer ambitionierten HipHop-Truppe zu befragen. Zunächst enttäuscht das Resultat und verwundert zudem. Die Szene Austria, so Milan, sei „auf jeden Fall so facettenreich wie die deutsche, kennt auf
jeweils tausend Einwohner ebenso viele Bands und besteht nun auch schon in der zweiten Generation.“ Seltsam, dass hierzulande kaum jemand Notiz von solch enormen Gemeinsamkeiten genommen hat! „Wie auch? Es gibt schließlich kein nationales MTV oder VIVA bei uns. Und die Companies sind meist Dependancen der deutschen Stammhäuser und ergo unheimlich skeptisch gegenüber den hauseigenen Produkten.“ Kein Wunder, so möchte man meinen, da doch im Grunde deutscher und österreichischer HipHop ein und dieselbe Sache sind. „Das haben wir nie behauptet“, Milan schüttelt energisch seinen Kopf, „Wenn wir uns gegen so Begriffe wie den ,ösi-Sound‘ wehren, dann bedeutet das doch noch lange nicht, es gäbe keine Unterschiede.“ So habe etwa die Metropole Wien, unschwer mit Namen wie Kruder 8C Dorfmeister zu belegen, durchaus einen klar beschreibbaren Sound über die Jahre entwickelt, „und weil wir ja nun einmal in einem relativ kleinen Land leben“, so Bö, „hat auch niemand ein Hobby daraus gemacht, die Musiker der nächsten Stadt zu dissen.“ Was in Deutschland, wie wir alle wissen, ein wenig anders ist. „Ich hoffe, ehrlich gesagt, dass sich so etwas auch gar nicht erst entwickelt bei uns“, sagt Milan, „wie bei euch oder in den USA. Schon deshalb, weil der East Coast-West Coast-Konflikt bei uns zwischen den Leuten vorm Arlberg und denen dahinter auszutragen wäre. Ich glaube kaum, dass so etwas der Reputation unserer Musik zuträglich wäre.“
Nach dem kurzen Intermezzo aufgewühlter Emotionen aber findet das Trio schnell wieder in ruhigere Gewässer. Die Frage, wie denn der durchschnittliche österreicherische Jugendliche zum HipHop finde, würde laut Milan „die gleichen Antworten zeitigen wie in jedem anderen Land auch“. Irgendwie stand das zu befürchten. „Es gibt einfach endlos viele Zugänge zu dieser Musik. In Amerika ist ja vielleicht noch jemand wie KRS-One bei der Tournee durch sämtliche Jugendheime des Landes zum Rappen gekommen, ein Ice-T aber oder die Beastie Boys sind verwöhnte Mittelstands-Kids.“ Und wer nun den Anschein erwecken wolle, HipHop sei „noch immer das Podium der Underdogs“, der verstecke sich bloß hinter dem Schutzschild der Poser und Disser. „Nein, HipHop findet nicht in einem derartig öden, zweidimensionalen Kosmos statt. Dann gäbe es unsere Band ja gar nicht“
Was übrigens vielleicht auch dann der Fall wäre, wenn die Sprache des eigenen Landes nicht so ein nützliches Medium wäre, um sich und anderen politische Fragen zu stellen und dann gelegentlich auch zu beantworten. „Wir haben beispielsweise schon 1993“, wie herrlich, man muss gar nicht erst mit der Tür ins Haus fallen, „einigermaßen eindeutig gegen Haider Stellung bezogen“, erzählt Peman Paul. „Was wir allerdings nicht so gerne mögen“, kleine Stiche in die Füße des großen Nachbarn im Norden sind beliebt beim Trio, „sind diese platten Rezepte. Wir nutzen eher den Weg durch die verbale Hintertür – auch deshalb, weil man sich und den Leuten so den Spaß an der Musik erhält und die so ein Stück dann nicht bloß einmal auflegen.“
Dummerweise hat selbst ein derart subtiles, kluges Vorgehen die drei Agitatoren von Schönheitsfehler nicht davor bewahren können, in den braunen Sumpf des Kärntner Landeshauptmannes mit hineingezogen zu werden. „Als wir kürzlich in einer Rezension des HipHop-Blattes Juice‘ von uns als der Band aus dem Haider-Ländle lesen mußten“, ereifert sich Milan, „da hat uns das natürlich mächtig geärgert.“ Aber man wisse sich schon zu wehren, „wir bauen halt weiter Trojanische Pferde und hoffen inständig, die Leute möchten doch bitte merken, dass ein Song wie unser Titeltrack etwas mehr als nur ein Spaß ist.“
Zuweilen und vor allem im eigenen Lande zeigen die lyrischen wie musikalischen Anstrengungen von Milam, Bö und Penam Paul bereits Wirkung. „Zu manchen unserer Konzerte“, weiß Bö zu berichten, „kommen die 15-jährigen Skater und die Twens von der Uni, um einfach nur zu tanzen. An anderen Tagen stehen da 30- oder 40-Jährige, die sich für unsere politischen Texte interessieren.“ Oder die, wie Milan denkt oder hofft oder gar weiß, „in meinen Rap-Synkopen den Jazz entdecken, den sie so sehr lieben. Die stehen dann einfach nur still da und hören zu. Und uns sind beide höchst willkommen.“ Dass jeder Skeptiker des Genres auf „Sexdrugsandhiphop“ ein paar erfreuliche Entdeckungen machen kann, ist also kein Zufall. So wünschen wir den drei Sympathen alles Glück der Welt beim Kampf gegen das Haiderländle. Viva Austria! Das gute, unentdeckte, verkannte. Das mit Schönheitsfehler.