Die Purple Haze-Maschine
Jimi Hendrix lebt, er hat nur etwas zu wenig Fleisch auf den Rippen: Wenn Anatol Baginsky – Maschinenkünstler und Hobbyforscher in Sachen Künstliche Intelligenz – seine Roboter-Slide-Gitarre „Aglaopheme“ einschaltet, dauert es keine zwei Minuten und der Apparat bluest vor sich hin. Wie Jimi in seinen – sagen wir mal: etwas umnebeiteren Momenten.
Das allein wäre noch nicht allzu spannend, gibt es doch seit jahrhunderten maschinelle Pianisten, die ihren J.S. Bach perfekt rauf und runter spielen können. Das Irritierende an Aglaopheme ist: Sie entscheidet sich jedes Mal aufs neue aus ganz freien Stücken, genauso zu klingen wie Jimi Hendrix.
„Nein, nein, da ist nichts vorprogrammiert“, wehrt Baginsky skeptische Fragen ab, bevor man sie stellen kann. Der in Hamburg lebende und arbeitende Aktionskünstler war seit ’93 immer wieder mit seiner Musik-Installation auf Tournee durch Galerien, Museen und Events wie der Linzer „Ars Elektronica“- und überall erntete er dieselben Reaktionen: fasziniertes Staunen seitens des bildungsbürgerlichen Galeriepublikums, griesgrämig-ungläubiges Knurren von den wenigen Gitarristen, die sich in eine seiner Ausstellungen verirrt hatten.
Zur Zeit ist Aglaopheme (benannt nach einer der Sirenen aus der griechischen Mythologie) wieder einmal in Baginskys Atelier in einem alten Hamburger Fleet-Haus aufgebaut. Die mechanische Konstruktion des Hendrix-Robbies ist vergleichsweise simpel: Auf einen Stahlträger sind die sechs, in E-Mayor-7 gestimmten Stahlsaiten aufgezogen, unter denen ein hydraulisch bewegtes Slide auf und ab fahrt. Die Saiten werden mit einem ElektromotorPlektron angeschlagen, jede Saite kann getrennt abgedämpft werden. Der Sound wird von einem Pick-up abgenommen und geht via eines (wieder hydraulisch bedienten) Wah-Wah-Pedals in einen Röhrenverstärker. Der Unterschied zu den japanischen Roboter-Klavierspielern steckt in der Computer-Elektronik, die Aglaopheme steuert: So wird der Klang jeder Saite von einem angeschlossenen Computer separat analysiert, bewertet, und dient als die Entscheidungsgrundlage für die folgende mechanische Aktion. Baginsky versucht das zu erklären: „Zehnmal pro Sekunde wird ein achtdimensionaler Parameter-Raum der Fuequenzanalyse plus zwei mechanischen Dimensionen als Daten verarbeitet.“
Das versteht außer ihm allenfalls einer der knapp 30 weltweit im Bereich der Künstlichen Intelligenz arbeitenden Künstlerkollegen. Noch ein Anlauf: Jede Saite ist an ein eigenes, einer Gehirnzelle nachempfundenes neuronales Netz angeschlossen, die nun miteinander konkurrieren. Das Netz mit der besten Antwort auf das soeben analysierte Klangspektrum darf dann die nächste Aktion ausführen.“
Was er damit sagen will: Das „System“ spielt tatsächlich, was es will, Aglaopheme „weiß über Musik noch viel weniger als ich selbst. Sie hat keine Ahnung von Harmonielehre. Aber irgendwie hat sie sofort eine Vorliebe für den Blues entwickelt. Das ist der Beweis dafür, daß der Blues quasi in jede Gitarrenseite eingebaut ist.“
Um ehrlich zu sein – die Maschine klingt zwar wie Hendrix auf dem Trip – den Hendrix-Sound an sich würde aber jeder Elektroquirl erzeugen, wenn man ihn auf eine Stratocaster nageln und den Sound über ein Wah-Wah in einen aufgerissenen Marshall jagen würde.
Interessant ist für Baginsky eigentlich auch nur die Erforschung des Lernprozesses: „Wenn ich die Saiten nicht auf E-Mayor-7 durchgestimmt hätte, wäre der Lernprozeß sicher ganz anders verlaufen. Musik besteht ja zunächst einmal aus einem Haufen völlig unstrukturierter Töne. Und das System strukturiert durch das Hören und auch Ausprobieren diese Töne zu einer Musik. Es begreift die Physik hinter den Tönen. Und was es macht, ist ja auch nicht Musik, wie wir sie kennen. Deshalb heißt diese Arbeit auf deutsch ja auch „Die Musen des Jenseits“. Es ist genau dieses Sirenenhafte, diese fließende Tonbewegung. Es gibt keine Wiederholung, keine Hookline, keinen Refrain.“
Auch keine Verlautbarungen über mögliche Geliebte und Todesumstände, übrigens.