Die neuen Gesichter des Günter W.
Der berühmteste Enthüllungsjournalist des Landes ist wieder aktiv: Günter Wallraff hat die miesen Geschäftsmethoden der Call-Center ins Gespräch gebracht, er schreckt aber auch mit 65 nicht vor gefährlicheren Aktionen zurück: Als "Lackmustest" für die Weltoffenheit der Kölner Moschee will er dort "Die Satanischen Verse" lesen. Ein Besuch beim ewig Unbequemen.
Ein Gemisch aus Döner und 4711 – so etwa müsste die Duftmarke von Köln-Ehrenfeld sein. Als ich aus dem S-Bahnhof Richtung Venloer Straße gehe, kommt mir der seltsam fremd gewordene Begriff „Multikulti“ in den Sinn. Da war doch was? Ist aber irgendwie abgetaucht, der Begriff. So wie die rotgrüne Linke, die rasselnd und zimbelnd dazu sang. Und so wie Günter Wallraff, denke ich. Doch sind Vorstellungen wie diese nicht medial verstellt?
Ehrenfeld ist ein buntes Ding: ein Kölner Kreuzberg ohne den schwachsinnigen politischen Ballast oder ein Kölner St. Pauli ohne schwachsinnige Reeperbahn-Touristen. Ehrenfeld ist Multikulti ohne viel Aufhebens. Der Stadtteil funktioniert erstaunlich reibungsarm. Jedenfalls steht er nicht in den Schlagzeilen, weil irgendwelche Schulen mit globalisiertem Pennälertum den Status „atomwaffenfreie Zone“ zu verlieren drohen. Ehrenfeld ist entspannt ganz ohne entspannungspolitisches Programm. Aber das stimmt ja auch nicht mehr ganz, denke ich, als ich die Venloer Straße ein paar hundert Meter runtergegangen bin, auf jenen Punkt hin, der die Republik gerade epizentrisch erschüttert. Die geplante Großmoschee, dort, wo die Venloer Straße auf die dröhnende Innere Kanalstraße stößt, ist vom Lokal- zum Bundespolitikum geworden. Alle wollen sie im kölschen SPCDFPUDSgrünen Biotop, nur die Kölner – angeblich – nicht. Behauptete – nein: tobte – zum Beispiel Ralph Giordano. Und der war doch immer auf Seiten derjenigen, die es besser wussten? Nun findet er sich im Schulterschluss ausgerechnet mit der „Bürgerbewegung pro Köln e.V.“, denen man gerne einen rechten Fuß halbmetertief in braunem Dreck nachsagt. Lösen sich die politischen Lager nun endgültig auf? Auf diese Weise? In Ehrenfeld?
Ich flaniere in eine Nebenstraße der Venloer und auf das Haus zu, in dem Wallraff seit über 30 Jahren wohnt. Auch Wallraff hat sich zu Wort gemeldet in der hochkochenden Moschee-Diskussion. Er hat einen spontanen Vorschlag gemacht, der alle staunen ließ
– und zu heftigen Reaktionen führte. Als „Lackmustest“ für den nicht-islamistischen Charakter dessen, was sich in der neuen Moschee tue, solle man dort eine Lesung aus Salman Rush dies „Die satanischen Verse“ gestatten.
Welch seltsame Symmetrie, dieser Vorschlag, denke ich, als ich an der Tür klingle und warte. Der Mann, der stets gut vorbereitet in Rollen schlüpfte und inkognito den investigativen Underdog spielte, der seine Identität so gern verbarg, tritt plötzlich und mit offenem Visier auf die Bühne und schlägt sich für jene Rolle vor, die jeder im Land die Pauschalierung ist mehr als gerechtfertigt-dankend ablehnen würde. So etwas verstört. Das federgewichtige Feuilleton war zum großen Teil empört. Der Mann sei publicitysüchtig, raunte es. Ein Schauer von Gründen gegen die Lesung bereicherte den ohnehin verregneten Sommer, und…
Nun begrüßt mich jener Mann, von dem ich erfahren will, ob er tatsächlich publicitysüchtig ist und wie er es hält mit der Religion und ob es den Wallraff ’07 nicht bloß als Anachronismus des Wallraff von ’77 gibt.Vielleicht hat Wallraffs Besessenheit, öffentliches Aufsehen zu erregen – sollte es sie denn geben – schon gefruchtet. Mit Telefon am Ohr öffnet er die Tür und stürmt die Treppe gleich wieder hoch, dem Geklingel weiterer Telefone entgegen, das da irgendwie an das Piepsen hungriger Schnäbel erinnert. Gefragt ist der Mann anscheinend sehr. Er rochiert einige Termine, während ich mein Aufnahmegerät in Betrieb nehme. Und dann faucht die Espressomaschine immer mal wieder und hinterlässt auf dem DAT-Band hörspieltaugliche Geräusche, während es um Günter Wallraff 2007 geht und immer mal wieder um einen anderen.
Vor einigen Monaten etwa hatte sich Wallraff undercover als Mitarbeiter zweier Call-Center verdingt und versucht, qua Telefon Lotterielose zu verkaufen bzw. ausländischen Restaurantbesitzern gerahmte Auszüge des Jugendschutzgesetzes. Man hörte davon und las darüber in der „Zeit“.
Sie sind also wieder eingestiegen ins „Wallraffen“, wie die Schweden sagen. Aber trügt der Eindruck oder war die spontane Idee, aus Rushdies „Die satanischen Verse“ in der Kölner Moschee zu lesen, nicht öffentlichkeitswirksamer als die klassische Wallraff-Nummer?
Das täuscht. Sie informieren sich vermutlich hauptsächlich in den eher intellektuellen Medien. Nein: Die Call-Center-Sache hat unglaubliche Wellen geschlagen. Ich habe fünf bis zehn Millionen Menschen erreicht, war zweimal beiKerner, bei Sat.i im Frühstücksfernsehen – solche Sachen. Ich hätte mir die Wirkung nie so vorgestellt. Plötzlich erreichte ich wieder Menschen, die sonst nicht lesen. Die über den Tisch gezogen werden. Die sogenannten „kleinen Leute“, um die es mir immer ging. Durch die Aktion und die Berichterstattung, das Echo darauf, wurde politisch so viel Druck aufgebaut, dass man im Justizministerium nun endlich über das Problem nachdenkt. Meine Forderungbleibt: Kaufabschlüsse per Telefon müssen verboten werden. Bisher wollte Justizministerin Zypries das Problem aussitzen, weil die Telefongesellschaften, die am Geschäft mitverdienen, sehr mächtig sind. Immerhin hat sich Verbraucherschutzminister Seehofer soeben öffentlich meiner Forderung angeschlossen, Verkaufsabschlüsse übers Telefon nur durch schriftliche Bestätigung rechtswirksam werden zu lassen.
Bleibt die Call-Center-Sache ein einmaliges Ding?
Nein.es wird diverse Themen geben aus der „schönen neuen Arbeitswelt“ – wie wir das mal genannt haben. Demnächst steht zum Beispiel auch was zum Thema „Doping“ an. Ich werde nicht in allen Fällen selbst aktiv werden, aber ich steuere das Ganze. Ich war ja nie weg vom Fenster, hatte aber lange Zeit mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Jetzt bin ich wieder auf dem Damm, laufe den Marathon in 4:12. Es kann also weitergehen.
Nun sind die 70er Jahre, der Kampf unten gegen oben oder umgekehrt, die klare Trennung in politische und gesellschaftliche Blöcke, vorbei. Ist Wallraff heute nicht ein Anachronismus?
Ganz im Gegenteil. Einerseits ist natürlich vieles anders. Früher gab es tatsächlich ein klareres Bild: „Ihr da oben, wir da unten“. Der Großindustrielle war schon allein aufgrund seines Lebensstils, seines äußeren Gehabes, leichter angreifbar, glossierbar. Heute sind die Entscheider teils sehr moderate Zeitgenossen, mit denen man sich privat vielleicht gern an einen Tisch setzen würde. Aber in ihrer Funktion sind sie meist knallhart. Und heute sind diese Leute oft Opfer und Täter zugleich. Das System ist komplizierter geworden. Häufig stecken Entscheider aufgrund von Knebelverträgen in Verhältnissen, die sie kriminalisieren bzw. kriminell weitergeben müssen. Außerdem erleben wir in den letzten Jahren erdrutschartig einen Verlust dessen, was Arbeiterbewegung und der Kampf um soziale Gerechtigkeit erreicht haben. Ursprünglich hatte ich mal eine geschichtsoptimistische Haltung. Stichwort: „Echternacher Springprozession“. Ich war überzeugt, es gehe gesellschaftlich – nicht immer auf dem graden Weg, aber doch stetig – voran. Das war mein Bild, und ich habe gehofft, als Beschleunigerteilchen mitzuwirken an diesem Prozess, die Lebensumstände menschlicher zu gestalten. Da bin ich mittlerweile sehr pessimistisch. Was soziale Standards betrifft, befindet sich die Gesellschaft im freien Fall.
Hat die Frustration auch mit Frustration auf Seiten der Linken generell zu tun? Dass diese Röckhalt verloren hat, weil sie ihre eigene teil-totalitäre Vergangenheit kaum aufarbeitet?
Vergangenheitsbewältigung sehe ich auf Seiten der Linken- zwar nur zaghaft, aber ich sehe sie. Auf Seiten der Rechten habe ich sie überhaupt noch nicht gesehen. Mein Ding war ja immer der evolutionäre Weg, nicht der revolutionäre. Am Anfang, in den 60er Jahren, hatten wir in der Studentenbewegung die Spaßguerilla. Mir haben damals viele Ideen zugesagt: Enttabuisierung, Frauenrechte, Rechte für Minderheiten, etc. Abgestoßen hingegen hat mich der Personenkult. Schon immer. Die Verehrung und Vergötterung von Mao etwa. Mao war für mich nun wirklich das Allerwiderlichste, und ich hielt diejenigen für Dummbeutel, die das Machwerk namens Mao-Bibel für bare Münze nahmen. Mao war ein Massenmörder, der sehr genau wusste, was er tat.
Ich gebe zu: Ich selbst war eine Zeit lang absolut zu zurückhaltend, was etwa Menschenrechtsverletzungen in der DDR angeht. Erst Anfang der 70er Jahre, als ich auf Vermittlung Heinrich Bölls in die Sowjetunion reiste und hautnah erlebte, was im Umfeld von Alexander Solschenizvn und Lew Kopelew mit
Regimekritikern geschah, gingen mir die Augen auf. Da gab es zum Beispiel hier im Westen kursierende Fotos dieses Generals Grigorenko, den sie in der Psychiatrie mit Medikamenten und Psycho-Folter fertiggemacht hatten. 1974, als ich ins faschistische Griechenland reiste, mich auf dem Athener Syntagmaplatz ankettete und gegen die Verletzung von Menschenrechten durch das Obristenregime protestierte, ginges mir ähnlich. Ich wurde gefangengenommen und gefoltert. Fotos, die mich unmittelbar danach zeigen, präsentieren einen offensichtlich völlig verwirrten Günter Wallraff – was „Bild“ dann mit der Zeile kommentierte: „Günter Wallraff- so kennt ihn jeder. Wie aus dem Lehrbuch der Psychiatrie entsprungen“. Das Foto des besagten Generals Grigorenko wiederum wurde im „Stern“ abgedruckt. Jeder konnte nun glauben, der Mann gehöre tatsächlich in die Psychiatrie.
Heute sage ich: Ich habe Menschenrechtsverletzungen im sozialistischen Lager zu spät kritisiert, erst nach der Reise in die Sowjetunion, und erst recht, nachdem ich Wolf Biermann bei mir aufgenommen hatte. Damals herrschte die Meinungvor, die noch jungen Regimes würden sich langfristi gzu menschlichen Gesellschaften entwickeln. Aber natürlich hätte ein Satz von Heinrich Boll gelten müssen – denn dieser Satz gilt unumschränkt: „Das Recht ist auf Seiten der Opfer“. Vergangenheitsbewältigung ist wichtig. Sie sollte sich am Beispiel der südafrikanischen Wahrheitskommission orientieren. Dort geht es ja nicht um Denunziation, Rache und Fortführung von Hass, sondern um Aufarbeitung, Dialog, Versöhnung..
Wenn es um das Zusammenleben der Kulturen geht, sind Sie da pessimistisch oder hoffnungsfroh? Ehrenfeld scheint ja ein geradezu paradiesisches Bild multikulturellen Zusammenlebens zu bieten. Zumindest auf den ersten Blick.
Nicht nur auf den ersten, auch auf den zweiten und dritten Blick. Im Verhältnis zu vielen anderen Regionen, wo es Getto-Bildung gibt, funktioniert das Miteinander so gut, weil sich die Zusammensetzung des Viertels langsam ergeben hat. Griechen, Spanier, Italiener, heute sehr viele türkische Einwanderer. Das Zusammenleben funktioniert hier, weil die Quote stimmt. Wo sie kippt, ergeben sich für alle nur Nachteile.
Auf den Sektor Schule bezogen heißt das: Die übriggebliebenen deutschen Kinder werden gemobbt. Die Kinder aus Einwandererfamilien bilden Cliquen, lernen die Sprache nicht. Was etwa jetzt in Berlin geschieht, wo die freie Schulwahl durchgedrückt wird, ist fatal. Natürlich werden sich einkommensstarke Schichten zurückziehen. Es wird sofort eine Trennung in Schulen für Arme und für Reiche stattfinden. Und natürlich haben Schulen in sozialen Brennpunkten dann das Nachsehen. Es müsste ein bestimmtes, nennen wir es mal Mischungsverhältnis garantiert werden. 30, allerhöchstens 40 Prozent Migrationshintergrund ist für Integration optimal.
Dennoch schlagen auch in Ehrenfeld die Wellen hoch, weil eine Großmoschee geplant ist, mit deren Bau im nächsten Jahr begonnen werden soll. Ralph Giordano hat den Kölner Fall ins öffentliche Interesse gerückt.
Ich verstehe Ralph Giordano ehrlich gesagt nicht. Nicht in seiner fundamentalen Härte. Meines Erachtens macht er den Fehler, Islam und Einwanderung gleichzusetzen. Es geht doch aber um einen Bevölkerungsteil, der ganz selbstverständlich mit und unter uns lebt. Ich kenne hier in der Nachbarschaft so viele türkische Einwanderer, die nichts mit dem Islam zu tun haben oder sich zur Moschee ähnlich wie Taufschein-Christen verhalten, die nur zu Weihnachten mal in die Kirche gehen. Und viel wichtiger: Es gibt diese Moschee ja bereits.
Sie ist alt und schäbig, in einer Fabrikhalle untergebracht. Wenn man nun hingeht, ein neues Gebäude plant, das Ganze mit einem Beirat versieht – in dem der Oberbürgermeister und CDU-Vertreter dabei sind (sie befürworten das Projekt, weil sie die Hintergründe kennen) -was sollte dann dagegen sprechen? Zumal die eher gemäßigte DITIB (Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion eV.) das Projekt trägt und nicht eine in iranisch-saudi-arabischer Abhängigkeit stehende, verfassungsfeindliche Organisation. Die DITIB hat sich bereit erklärt, die Predigten auf deutsch ins Internet zu stellen. Und Bekir Alboga, der Dialogbeauftragte des Dachverbands und Vertreter eines weltoffenen Islam, hat bereits sehr klug in Mannheim eine Moscheegemeinschaft geleitet.
Wenn ich mir den Unterton Ihrer bisherigen Aussagen zum Moscheebau vergegenwärtige, dann zählen sie allerdings mehr zu den Duldern des Projekts als zu den Befürwortern. Früher nannte man sowas wohl Doppelstrategie: Lebte ich in der Türkei, wäre ich ein ganz heftiger Gegner des dortigen Unwesens, an jede Ecke demonstrativ eine neue Moschee hinzuklotzen und die Bevölkerung zu tyrannisieren. Vom Bautechnischen her sind das dort grausame Gebilde. Und dann die dauernden Muezzin-Rufe im Sommer in aller Frühe… Ich bin Agnostiker. Ich fände es viel wichtiger, in der Türkei Schulen und Krankenhäuser zu bauen. Stattdessen ist dort eine Islamisierung im Gange – da bin ich ein heftiger Gegner. Hier aber sprechen wir von einer Minderheit, denen wir das Grundrecht freier Religionsausübung nicht verbieten dürfen.
Mit dem Vorschlag, in der Moschee aus Salman Rushdies Buch „Die satanischen Verse“ zu lesen, haben Sie sich konsequent zwischen alle Stühle gesetzt. Weshalb gibt es so viel Gegenwind gerade aus dem Feuilleton?
Weil es im Feuilleton eine ganze Reihe von Leuten gibt, die multikulti-selig meinen: Es wird sich schon alles fügen. Tut’s aber nicht. Es geht mir jedoch nicht um Provokation. Es geht um Dialog, um ein Buch, ein Meisterwerk der Weltliteratur, das zumeist ungelesen diskreditiert wird. Schlimmer: dessen Autor mit dem Tode bedroht wird. Dieses Buch muss dort rezipiert werden, wo es hingehört. Und es gehört ganz deutlich in den islamischen Zusammenhang. Dort werden die Anspielungen verstanden, wahrgenommen. Das Zurück-weichen gegenüber religiösen Aggressoren ist absolut falsch.
Salman Rushdie, den ich nach der Fatwa einige Zeit bei mir versteckt hatte, war im Gefolge der Ereignisse von 1988/89 traumatisiert. Die britische Regierung setzte ihn unter Druck, riet ihm dringend, sich zu entschuldigen und zu widerrufen, sonst würde die Situationeskalieren. Rushdie folgte dem Rat und bezeichnet dies heute als „den größten Fehler meines Lebens“: Wie wir alle wissen, wurde die Situation nicht besser, die Fatwa nicht zurückgenommen. Und hier, in diesem Land, gingen nun alle in die Knie, der Verlag, die Übersetzerin. Zivilcourage gab es nicht. Das
Resultat, was das Buch betraf, war u.a.
eine schlechte Übersetzung, die den Fall noch unnötig dramatisierte. Wie steht Salman Rushdie zu dem Vorhaben Lesung? Ich halte ihn da raus. Er hat damit
nichts zu tun. Die Situation für ihn ist schon sehr angespannt. Es soll ja von ihm Druck genommen werden, die Sache muss auf mehrere Schultern verteilt werden. Bekir Alboga meinte zum Beispiel nach dem Gespräch im Deutschlandfunk, als wir den Vorschlag besprochen hatten: dann müsse auch er wohl unter Polizeischutz stehen. Ja, meinte ich: Dann muss das wohl sein, eine Zeit lang.
Die Lesung soll übrigens nicht im Sakralraum der Moschee stattfinden, sondern im Gemeindezentrum. Und Nasr Hamid Abu Zaid, der in Leiden lehrende Muslim und bedeutende Religionswissenschaftler, der von ägyptischen Islamisten zwangsgeschieden und durch eine Fatwa mit dem Tode bedroht wurde, weil er den Koran auf unsere Zeit hin interpretieren will, sollte die Diskussion leiten. Das in Richtung derer, die mir religiöse Provokation vorwerfen.
Und der Vorwurf der Publicitysucht?
Trifft mich nicht. Du meine Güte: Das kam, als ich vor öffentlicher Aufmerksamkeit kaum Luft holen konnte. Ich wollte die Call-Center-Sache so gut wie möglich in die Öffentlichkeit bringen, zog von Fernsehauftritt zu Fernsehauftritt – da kam mir die Sache mit der Lesung nun wirklich nicht gelegen. Es geht nicht um Publicity, sondern darum, die Situation für Rushdie zu verbessern und die Zivilgesellschaft zu fördern. Allen Kritikern möchte ich sagen, dass wir immerhin schon etwas erreicht haben: Erstmals hat eine Moscheegemeinschaft noch dazu die größte in Deutschland, die DITIB – öffentlich eine ganz klare Distanzierung von der Fatwa abgegeben. Das allein schafft schon Diskussionen.
Sind Deutsche besonders ängstlich?
Es gibt Steigerungen: die Schweizer (lacht) nein, Scherz beiseite: Es gibt hier tatsächlich ein extremes Sicherheitsbedürfnis. Nur in diesem Land habe ich eine derartige Unsicherheit und Gratisangst erlebt. Zivilcourage ist in Deutschland grausam unterentwickelt. Als der Geschäftsmann Helmut Hofer im Iran zum Tode durch Steinigen verurteilt worden war, weil er angeblich es stimmte noch nicht einmal – ein Liebesverhältnis zu einer Muslimin hatte, geschah öffentlich gar nichts. In Frankreich wären die Leute auf die Straße gegangen. Man stelle sich das vor: wegen eines Liebesverhältnisses zum Tode verurteilt! Die Franzosen wären durchgedreht. Zu Recht! Das war einer der seltenen Momente, in denen ich bedauerte, dass wir keinen Patriotismus haben.
Ich hatte Briefe von Helmut Hofer. Er schrieb mir, wie dreckig es ihm ging. Im Kontakt zu einer seiner Anwältinnen hatte ich mir schon einen Plan zurechtgelegt, ihn zu befreien. Wir sehen uns nämlich ziemlich ähnlich. Es war mir gelungen, einen Gefängniswärter zu bestechen: Ich hätte Hofer im Gefängnis unter vier Augen sprechen können, und wir hätten Zeit gehabt, die Kleidung zu tauschen. Hofer wäre zur Botschaft gegangen. Ich wäre an seiner Stelle hinter Gittern geblieben.
Zum Glück reagierte damals Bundeskanzler Schröder, bevor ich in den Iran fahren konnte. Als die Briefe Hofers an Schröder weitergeleitet worden waren, meldete sich der damalige Kanzleramtsminister Hombach und bat um Zeit: Es wäre ein Skandal, sagte er, wenn die Briefe Hofers an die Öffentlichkeit kämen. Ich hielt mich also zurück – und sie bekamen Hofer dann tatsächlich frei.
Es gibt immer wieder Momente, da riskiere ich alles. Obwohl mich meine Mutter eher zu einem angepassten Menschen erziehen wollte, muss ich mir manchmal das Gegenteil beweisen.
Stichwort Iran: Wenn man von Islamo-Faschismus spricht…
… ist das völlig korrekt. Was dort geschieht – dort und im wahabitischen Saudi-Arabien, wo die Vorstellungen teils noch aggressiver sind – ist absolut unterdrückend. Die Scharia mit der Rechtfertigung von Hinrichtung, Steinigung, Unterdrückung der Frau ist ein fundamentaler Verstoß gegen jegliche Menschenrechte. Der Begriff „religiöser Faschismus“ ist treffend und belegbar. Im Iran sind im letzten Jahr mehr als 1600 Todesurteile vollstreckt worden und das sind nur die bekannten Fälle! Es gibt noch all die Fälle derer, die in Gefängnissen schmoren und in keiner Statistik auftauchen. Dieses Regime legt eine solche Aggressivität an den Tag, dass ich mich als Pazifist bei dem Gedanken ertappe, man möge das Atomprogramm des Iran im allerletzten Moment – wenn alle, wirklich alle Verhandlungen gescheitert sind – mit einer gezielten Bombardierung der Anlagen stoppen. Um eine Menschheitskatastrophe zu verhindern.
Ein Regime, das wiederholt die Zerstörung Israels angekündigt hat und damit Propaganda macht, ist sehr, sehr ernst zu nehmen.
Das klingt nun sehr pessimistisch. Was tun? Den Kopf in den Sand stecken? Im sogenannten finsteren Mittelalter dachte man, die Welt ginge unter. Heute weiß man es. Schöne neue Welt also? Man sollte den Teufel nicht an die Wand malen. Und man darf nicht aufgeben. Was den Islamismus betrifft, bin ich doch immer noch der Hoffnung, dass der Spuk in ein, zwei Generationen vorbei ist. Es ist ein letztes Aufbäumen eines religiös verbrämten Männlichkeitswahns vor den Herausforderungen der Globalisierung. Aufklärung kann auch hier, langsam, helfen. Die Sache mit den 40 Jungfrauen zum Beispiel, die den Terroristen angeblich im Himmelreich erwarten – das ist eine glatte Fehlinterpretation bzw. Fehlübersetzung der traditionellen Koranlesung. Es sind 40 weiße Weintrauben! Vieles im Koran wird falsch gelesen!
Des weiteren sollte man sich um Probleme kümmern, bei denen man jetzt schon sehr konkret etwas tun kann. Eine neue Klimapolitik muss her. Das Geld für Rüstung müsste in Bildung, Klimaschutz etc. gesteckt werden. Das klingt alles sehr utopisch, ist aber machbar. Schule, Entwicklung, Hilfe von unten: So war meine Sichtweise immer. Auch das Internet halte ich langfristig für einen Garanten der Demokratisierungweltweit. Man kann es zensieren, aber die Globalisierung findet im Netz immer wieder Schlupfwinkel.
Ich gebe auch die Hoffnung nicht auf, dass eine Weltmacht wie die USA zurückfindet zu einer positiven Rolle. Ich würde es bedauern, wenn die USA und es spricht ja einiges dafür – ihre Führungsrolle an China abgibt. Sicher wird die Welt dadurch nicht besser. Es gab und gibt ja ein anderes Amerika. Ich sehe in George Bush eine verhängnisvolle Heilsbringermentalität, mit der er das andere Amerika überdeckt. Ich habe Freunde in den USA, die kosmopolitischer sind als die meisten meiner Freunde hier. Zur Zeit aber unterstützt Amerika immer irgendwelche Erweckungsbewegungen religiös-evangelikaler Art.
Und zum Schluss noch einmal: „Die satanischen Verse“?
Ja. Sehr wichtig. Die Lesung wird stattfinden. Ich beiße mich da fest. Ich bleibe dran!