Die nette Seite der Landarbeit
Tragen Gitarren-Bands wie Virginia Jetzt!, Tele und Samba Rex Gildos Koteletten auf? Ein Versuch über heimatlosen deutschen Pop
Zum Vorspiel wäre es schön, kurz mal an Freddy zu denken. Unser unverwüstlicher Wiener in Hamburg. Weil sein „Heimatlos“ doch irgendwie das Schicksal des deutschen Liedguts umschreibt.
Aber die Zeiten waren mal aufgeräumter. Klare Demarkationslinien und dazwischen viel Niemandsland. Ja: Früher war da der Schlager und dort der Rock. Und jeder wusste, wo er stand. Über Sex konnte man in den Siebzigern nur mit dem Englischwörterbuch in der Hand singen, was einem eine Menge an Dumpfbackigkeit bescherte. Das sind so Geschichten, die Großvater erzählt. Kurz leuchten seine Augen auf bei Ton Steine Scherben. Ging doch! Rockmusik und deutsche Texte. Dann die Neue Deutsche Welle. Kurzer Ringelpietzpogo mit Anfassen, der schnurstracks wieder zu Heck in die Hitparade führte. Lindenberg zwischendrin hat nie aufgegeben. Die Schulbildung in Hamburg. Blumfeld. Die Sterne. Tocotronic. So viel. So wenig. Und damit endlich Schnitt. Es gibt ja auch noch die Gegenwart „Es gibt gerade eine neue Generation deutschsprachiger Popmusik, die mit Tocotronic und Blumfeld aufgewachsen ist“, meint Thomas Dörschel. Und zählt auf: Mia. Wir sind Helden. Angelika Express. Natürlich auch seine eigene Band Virginia Jetzt!. Ihr Debütalbum klang nach Ferienlager und Hanni & Nanni-Büchern, die man gerade eben erst aus der Hand gelegt hat Frisches Leben. Eine duftende Blumenwiese.
Das hat vielen gefallen, verkauft wurden von „Wer hat Angst vor Virginia Jetzt!“ immerhin 15 000 Stück. Was im Haus Universal Anlass zu frohen Hoffnungen für den Zweitling der Berliner Band gibt. „Anfänger“ heißt der. Manchmal könnte man sogar meinen, dass hier „Das ganz normale Leben“ (so ein Titel) seinen Eingang fand, mit seinen ganz normalen Eintrübungen und Nickligkeiten. Heißt es doch: „Der Alltag macht uns platt, mit jedem neuen Tag.“ Nur ein Trick. Kurz kickt der Text hin zu so einem allgemeinen Krisengefühl, und während man sich im Geist schon auf den Weg zum Arbeitsamt gemacht hat, sind Virginia Jetzt! in der nächsten Liedzeile längst bei der Liebesliedsache angelangt Solche Glücksversprechen kennt man doch noch. Das ist Pop? Das ist Schlager.
Das ist das böse Wort Schlager will dann doch wieder keiner gewesen sein. „Schlager“, meint Francesco Wilking von Tele, „sind für mich was Negatives. Kitsch halt Aber mit einem älteren Schlagerbegriff waren auch die Beades Schlager – und der war damit okay.“ Vor der Aufnahme ihres Albums „Wovon sollen wir leben“ ließen die Labelmates von Virginia Jetzt! Mix-CDs kreiseln, in denen die Bandmitglieder aus ihrem Erinnerungsreservoir schöpften. Steely Dan und Prefab Sprout, Prince und Police, Zoot Woman, Phoenix. Deutschsprachige Lieder waren nicht dabei, so dass man doch kurz wieder an Freddy denken darf, mit seinem „Heimatlos“. Wenn sich Texte erst ihr Wohnrecht in der Musik verschaffen müssen.
Volksmusik
„Sobald es souliger wird, wie bei uns , meint auch Tele-Schlagzeuger Stefan Wittich, „wird es schwierig.“ Schnell ist dann das Ohr auf Schlagerhaftes geeicht, bei einem deutschen Text. Schön geschliffen sind die Lieder von Tele, mit einer sprachlichen Schlitzohrigkeit, die dafür sorgt, dass Schmelz nicht als Schmalz ausgesprochen wird. „Nehmen wir mal an, es geht alles schie£ Sing ein Lied. Wenn du weißt, wie es geht. Es geht uh hu hu, es geht ah ha ha. Und jeder wird dich lieben und auf Händen tragen dafür…“ Was nun Textzeilen sind, die selbst eben Rote-Rosen-Freddy-Breck in Zweifel an seinem Handwerk stürzen könnten.
Die eigentliche Schlagerzunft gebärdet sich mittlerweile gern international und winselt auf Englisch um allgemeine Aufmerksamkeit Aber wo von jedem Hip-Hopper aus Stuttgart oder Berlin erwartet wird, dass er die Kiez-Nachrichten in deutsche Reime bricht, findet sich für jede Popband, die muttersprachlich an die Arbeit geht, mindestens ein Journalist, der fragt, wieso in aller Welt man nun deutsch singe.
Knut Stenert kennt diesen Refrain. Der Gitarrist und Sänger von Samba, der Münsteraner Band, die in seltsamer Einmütigkeit mal zum Hassobjekt erklärt wurde. Weil sie sich an die Industrie verkauft hätte. „Da wurde auf unserem Rücken etwas abgearbeitet“, meint Stenert. „Da hat es wohl ein Trauma gegeben.“ Den Ausverkauf der Neuen Deutschen Welle nämlich – als Samba als die fröhliche Variante von Tocotronic verkauft werden sollte, waren schnell alte Ängste geweckt Die Plattenfirma hatte bald keine rechte Lust mehr an Samba. Und sie wurden in aller Stille immer besser. Die Texte ihres neuen Albums „Aus den Kolonien“: gern mit Gefühl, die Melodien: mit weit geöffnetem Herz für Pop. Aber immer noch unverkennbar die vertraute Musik mit der Sportjacke. „So redet Liebe, wie sie gern wäre“, singt Stenert in „Hochtief“. Die kleinen Verwerfungen, so dass man sich gleich wieder auf sicherem Terrain fühlt.
Gitarrenpop ja. Schlager? Möchte man nicht dazu sagen.