Die Musik kommt aus dem Kopf und kehrt dorthin zurück – die DOVES nehmen immer alle Ideen auf
John Lennon ärgerte sich noch Jahre später, dass er „Tomorrow Never Knows“ verpatzt hatte: Als die Beatles das Stück für „Revolver“ aufnahmen, dachte Lennon die ganze Zeit an einen Begleitchor aus präludierenden Mönchen, hielt das aber fiir zu aufwändig und sagte nichts. Er gewann die Erkenntnis, dass man als Musiker der Fantasie uneingeschränkt trauen solL Die Doves aus Manchester haben genug Budget und Geduld, um das immer so zu machen: Für „Satellites“ wünschten sie sich einen Gospelchor, und es klang gut. Für „There Goes The Fear“ dachten sie an brasilianische Trommeln (und die lagen nicht im Studio rum), und es klang gut. „Wir nehmen grundsätzlich alles auf“, sagt Schlagzeuger Andy Williams.
Klang-Ästheten, deren Musik als opulent wahrgenommen wird, weil die Bands auf den Platten wie Orchester klingen und oft Orchester sind – die Linie geht mindestens bis zu Brian Wilson zurück, in Großbritannien später fortgesetzt durch Kevin Shields (My Bloody Valentine), Jason Pierce (Spiritualized) und Radiohead. Die Doves stehen zurzeit im Mittelpunkt, weil sie Erfolg haben (das zweite Album „The Last Broadcast“ ging in England auf Nummer eins) und so wenig bedrohlich sind: Sie sehen wie eine Thekenmannschaft aus und hören seltenjazz. „Wir schreiben die Lieder meistens in vier oder fünf Minuten. Das muss unbedingt so sein. Wenn der Song rauskommt, muss es schnell gehen. Man kann ihn auf einem Diktiergerät mitschneiden“, sagt Gitarrist Jez Williams. Bei der Plattenproduktion dagegen muss es lang dauern, da soll Raum für die Obsession sein. Die nötige Selbstdisziplin hat die Doves sogar dazu getrieben, eine wundervolle Geigenüberleitung von Sean O’Hagan beim Abmischen von „The Sulphur Man“ wegzulassen, weil es zu viel wurde.
„The Last Broadcast“ ist so gut, weil man beim Hören die Anstrengung nie ahnen würde, die die Band in konzise Gitarrenarbeit, wandernde Geräusche und orchestrale Tricks investiert hat. Sie waren mal eine voll elektronische Gruppe namens Sub Sub, von den Brüdern Williams mit Sänger Jim Goodwin nach Madchester-Acid-Nächten gegründet. Daraus wurden die Doves mit ihrem Album „Lost Souls“ von 2000, Drone-Pop, ein wenig düsterer als heute und schon erfolgreich.
Eine halbe Coverversion haben sie auf der neuen Platte, die dokumentiert, wie die Doves mit Assoziationen und Erinnerungen arbeiten: Andy Williams hatte vor Jahren „Buffalo 66“ im Kino gesehen und eine Soundtrack-Melodie behalten. Erst nachdem er die Erinnerung verarbeitet hatte, erkannte jemand „Moonchild“ von King Crimson darin. „In diesem Fall war sein Gedächtnis zu gut“, sagt Jim Goodwin, „meistens hat man doch diesen kleinen Prozess im Kopf, an dessen Ende etwas herauskommt, das man nicht mehr auf die Quelle zurückführen kann.“ Tonbandspuren sind eben einfacher zu löschen als Kopfinhalte.