Die Modernisten
Seit über 50 Jahren ist der Sportartikelhersteller Fred Perry eng mit der Popkultur verbandelt – Paul Weller und Amy Winehouse sind Großkunden. Begonnen hatte alles in Wimbledon.
Im Eingangsbereich des Fred-Perry-Headquarters in London hängen großformatige Fotos, auf denen Paul Weller und Terry Hall zu sehen sind. Außerdem natürlich der junge Arbeiterspross Fred Perry selbst – in blütenweißer Kluft auf dem Court. Keineswegs zufällig ausgewählte Motive: Sport, Working Class und Popkultur sind seit jeher die Grundsäulen des Fred-Perry-Erfolgs. Wer ein Perry-Hemd erwirbt, kauft nicht einfach nur ein cooles Polo-Shirt. Der Träger nimmt vielmehr eine eindeutige popkulturelle Verortung vor und führt gleichzeitig den Beweis spazieren, dass die Herkunft eines Menschen nicht automatisch über seinen Werdegang entscheiden muss. Dass für dieses Privileg ein eher unproletarischer Preis entrichtet werden muss, scheint kaum jemanden zu stören.
Die Tatsache, dass Fred Perry heute zwar eines der international erfolgreichsten Streetwear-Labels ist, aber dennoch nie seine exklusive Aura verloren hat, ist nicht zuletzt Richard Martin zu verdanken. Der Marketing-Direktor führte das Label ins 21. Jahrhundert und forcierte, was sich in den Jahrzehnten zuvor eher zufällig und von selbst ergeben hatte: Durch gezielte Kooperationen mit Musikern und Designern baute er den Ruf des Labels als cooles, exklusives Label mit Haltung sukzessiv aus.
Den Grundstein legte indes ein anderer Mann: Frederick John Perry wird am 18. Mai 1909 in Stockport als Sohn eines Baumwollspinners geboren. Nach einer Erstkarriere als Tischtennisspieler – Perry wird 1928 Weltmeister – beginnt er im vergleichsweise reifen Alter von 18 Tennis zu spielen. Eine Sportart, die in der undurchlässigen Klassengesellschaft des Englands der 20er-Jahre noch mehr als heute ein ausschließlich Mitgliedern der oberen Schichten vorbehaltenes Vergnügen ist. Doch Perry setzt sich gegen alle Widerstände durch: Im Verlauf der 30er-Jahre erringt er insgesamt vier Grand-Slam-Titel – ein bis dahin nicht erreichter Wert.
Trotzdem bleibt Perry in der elitären britischen Tennis-Szene ein Außenseiter. Sein schnörkelloser Stil und seine Vorliebe für extravagante Showeinlagen finden wenig Bewunderer. Nach seinem vorzeitigen Karriere-Ende aufgrund eines Ellbogenbruchs verdingt Perry sich als Tennis-Kommentator für die „BBC“ und nimmt – viel wichtiger! – mit dem Österreicher Tibby Wegner die Produktion von Tennis-Hemden auf, die umsonst an sämtliche Top-Spieler verteilt werden. So wurde nicht nur das bis heute beliebteste Modell der Firma, das Cotton Piqué Shirt, erfunden. Auch die einmalige Vermarktungsstrategie des Labels, prominente Identifikationsfiguren als Werbemodels einzusetzen, hat hier ihren Ursprung. In den 50er-Jahren erhält Perry durch prominente Tennisschüler wie Errol Flynn Zugang zum Jet-Set. Der Playboy Perry unterhält zu dieser Zeit Affären mit Marlene Dietrich und zahlreichen anderen.
Der Wandel zum Streetwear-Label setzt schließlich ein, als die ersten Mods in den späten Fifties begannen, klassische Herrenanzüge mit Sporthemden zu kombinieren. Perry kooperierte daraufhin mit ausgesuchten Ausstattern und berücksichtigte die Wünsche der jungen Kundschaft – so kamen die Streifen auf Kragen und Ärmel des bis heute unverändert in England produzierten Original Slim Fit Polo-Piqué. Das Festhalten an derartigen Traditionen ist freilich nicht viel mehr als ein strategisches, Feigen-, Pardon: Lorbeerblatt.Denn natürlich hat in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts auch Fred Perry die vermeintlichen Vorteile der Billigproduktion in der sogenannten Dritten Welt erkannt.
Solchermaßen positioniert und auf der Straße akzeptiert, braucht danach nicht mehr viel Werbung betrieben zu werden: Vom Mod-Stil inspirierte Popmusiker wie die Kinks und The Who tragen das Perry-Logo in der Welt spazieren. Auch in den Folgejahren bleibt das Perry-Shirt prominentes Requisit beinahe jeder Jugendkultur von den Rude Boys bis Punk. Neben Marvin Gaye und Curtis Mayfield ist auch John F. Kennedy ein prominenter Kunde. „Kennedy war mit Fred Perry befreundet“, erklärt Richard Martin. „Er war – neben Perry selbst und der britischen Tennisspielerin Billie Jean King – einer von nur drei Leuten, denen die Ehre zuteil wurde, ein personalisiertes Shirt mit seinen aufgestickten drei Initialen tragen zu dürfen.“
Irgendwann kam die Sache mit den Skinheads: Durch die Beliebtheit von Fred-Perry-Shirts vor allem innerhalb der deutschen Neonazi-Szene kam es zu einem schweren Image-Schaden, der lange nachhallte. Zudem hatte die Konkurrenz kontinentaleuropäischer Marken wie Adidas, Puma und Lacoste das Label an den Rand gedrängt. Bis zu den Tagen von Cool Britannia …
Mitte der 90er-Jahre begann eine neue Generation britischer Kulturschaffender Perry-Shirts als Ausdruck ihres genuinen Britischseins zu tragen: Bands wie Oasis und Blur sowie Schauspieler wie Ewan McGregor labelten das Image der Firma so abermals um, Perry war plötzlich wieder cool. Und damit das auch so bleibt, wurde Richard Martin geholt. Nicht zuletzt konnte Martin in den letzten Jahren einige dem Label traditionell zugewandte Musiker für aufsehenerregende Sonder-Editionen gewinnen.
Eine der geschmackvollsten Kollektionen entstand in Zusammenarbeit mit Paul Weller, der bereits zu Jam-Zeiten selten ohne Perry-Shirt das Haus verließ. „Die Leute von Fred Perry hatten mich angesprochen, ob ich nicht ein Shirt entwerfen möchte“, erinnert sich Weller. „Und ich dachte mir: Alles, was ich will, ist, dass die Perry-Shirts wieder so aussehen wie früher! Also habe ich sie dazu gebracht, noch mal das zu wiederholen, was sie vor 40 Jahren erfunden hatten.“
Zuletzt entstand eine gemeinsame Kollektion mit Amy Winehouse, ähnliche Projekte sind in Planung. Gibt es bei all diesen illustren Partnern noch einen Traum-Kandidaten? Martin überlegt nicht lange: „Damon Albarn! Ich liebe ihn, für mich ist er ein Genie.“ Ob er Albarn schon angerufen hat? „Gott bewahre“, antwortet Martin. „Wenn Damon Interesse hat, kommt er schon von selbst.“ torsten gross