Die meistüberschätzten Filme aller Zeiten: Into The Wild
Der Film romantisiert den Tod, Eddie Vedder spielt dazu sehnsuchtsvoll auf seiner Klampfe
ROLLING STONE präsentiert: Die am meisten überschätzten Filme aller Zeiten. In unserer Serie stellen wir Werke vor, die gut sind, aber nicht so gut, wie die meisten Kritiker finden („Fitzcarraldo“); Werke, die weniger klug sind als gedacht („Blade Runner“); sowie Werke, die einfach nur weh tun („True Romance“, den natürlich nur jemand wie Tony Scott drehen konnte). Teil sieben:
Into The Wild (Sean Penn, 2007)
Eigentlich könnte „Into The Wild“, der auf einer wahren Geschichte beruht, ja funktionieren. Wir bonden mit dem Studenten Christopher McCandless (Emile Hirsch), der sich in der Wildnis selbst zu finden hofft, träumen von Freiheit und Entschleunigung.
Die Geschichte des Zivilisationsflüchtlings passt perfekt in unsere Zeit: Burn Outs und Selbstoptimierung, der Fokus wird auf die richtige Life-Work-Balance gelegt. Um am Ende vorgegaukelt zu bekommen, der Job sei die Freizeit und ständige Erreichbarkeit die neue Definition von Fun.
Mutig ist jedoch weder Regisseur Sean Penn noch die Figur des Christopher McCandless, wie sie hier gezeigt wird. Statt die Motivation des Elitestudenten zu erforschen und unangenehme Fragen zu stellen, begleiten wir den 24-Jährigen auf seiner romantisierten Flucht. Alles hinzuschmeissen ohne Absicherung – dass dieser Eskapismus das Privileg eines Mannes der Oberschicht ist, wird selbstverständlich nicht beleuchtet. Ebenso wenig, wie sehr das Bestehen gegen eine gnadenlose Natur auf überholten Bildern von Männlichkeit beruht.
Am Ende erhalten wir doch nur ein Road Movie über eine Variation des Amerikanischen Traums.
Wenn zu Malboro Country noch Mystik, Esoterik und Sinnsuche gepackt wird, erleben wir kein cleveres Spiel mit Symbolik und Freiheit, sondern ein Klischee, auf das Mist gekübelt wurde. Pearl-Jam-Sänger Eddie Vedder ergießt dazu im Hintergrund seinen Ukulele-Schmalz.
Die Karte war schuld
Die ganze Tragik entfaltet sich mit Blick auf den wahren Hintergrund der Geschichte McCandless‘. So hätte er als Henry-David-Thoreau-Fan auch Vorbild für einen unangenehmeren Film sein können. Stattdessen dürfen wir mitfühlend einen unnötigen Tod romantisieren. Keine Frage, das Ende des jungen Mannes war traurig. Doch nicht jeder weiß, wie schlecht ausgerüstet McCandless in die Wildnis ging. Dass er sein Wissen über essbare Früchte, Beeren und Pflanzen Alaskas aus einem einzigen Buch zog. Und noch weniger wissen, dass er den 30 Kilometer entfernten Highway, wegen dessen Erbauung überhaupt der Bus in der vermeintlichen Abgelegenheit stand, ignorierte. Was vor allem an seinem schlechten Kartenmaterial lag.
Hätte McCandless eine aktuellere Karte gehabt, so wäre eine lediglich 400 Meter entfernte Schwebefähre über den ihm den Weg versperrenden Strom eingezeichnet gewesen, und er hätte nicht den Hungertod sterben müssen.
Es ist unnötig McCandless einen Vorwurf zu stricken, ihm Leichtsinn oder Dummheit vorzuwerfen. Die Verklärung seines Schicksals darf man den Filmemachern aber durchaus vorwerfen. Welche Wirkung die kommerzielle Verwertung seines Todes hat, lässt sich daran ablesen, wie viele junge Männer sich in Alaska einem unsinnigen Kampf gegen die Wildnis stellen und dabei von Park-Rangern gerettet werden müssen.
Diese nennen das übrigens das „McCandless-Phänomen“.
Weitere überschätzte Filme:
The Dark Knight (Christopher Nolan)
Das Leben der Anderen (Florian Henckel von Donnersmark)
Close Encounters Of The Third Kind (Steven Spielberg)