Die langen Schatten
Vor fast 20 Jahren waren Teenage Fanclub mal auf dem Sprung, so groß zu werden wie Nirvana. Die Melodien und Gitarren dazu hatten sie. Doch Bescheidenheit ist im Pop keine Tugend. Von Maik Brüggemeyer
Es könnte jede Innenstadt der westlichen Welt sein. Dieselben Imbiss-, Café- und Modeketten, die gleichen Frisuren und Laptops und iPods. Und doch ist irgendwas anders. Man kann es an den alten, im Nieselregen schwarz glänzenden Häuserfassaden ablesen, an den Gesichtern im „Horseshoe“-Pub, an dem Gelächter aus Lungen voller Teer und Staub. Immer noch umgibt Glasgow diese Aura aus harter ehrlicher Arbeit, Schweiß, Rauch und Alkohol, wie sie Industriestädten in den vergangen zwei Jahrhunderten eigen war.
Wenn an Orten wie diesen die Sonne wieder einmal im Smog versank und die Köpfe mit dunklen Gedanken überliefen, dann fingen die Leute auf den Straßen an zu singen. Und irgendwann riss der Himmel auf, und die Melodien trugen sie an einen anderen Ort. So ungefähr muss es wohl gewesen sein. Wie sonst sollte man erklären, dass der erhabenste Pop und die damit verbundene Utopie immer aus den Industriestädten kam? Aus dem Liverpool der Beatles zum Beispiel oder aus Manchester, wo einst Morrissey durch die ölfleckigen Pfützen schlurfte. Wer weiß, wenn der alte Schwarzseher Emil Cioran nicht im Pariser „Café de Flore“ gesessen und an Aphorismen gefeilt hätte, sondern durch Glasgows garstige Gassen gestrichen wäre, hätte er vielleicht Lieder geschrieben. „Ich möchte frei sein, pa-pa-padam/ Frei wie ein Totgeborener dum-di-dum.“
Wahre Schönheit kommt oft aus miesen Gegenden – dem Herz, der Seele, und eben aus Städten wie Glasgow. Orange Juice kamen hierher, ihre Zeitgenossen Aztec Camera, die Pastels – und natürlich Teenage Fanclub. Von Fans liebevoll die „Fannies“ genannt. Schon auf ihrem ersten Album, „A Catholic Education“ von 1990, versteckten sie in ihrem schroffen Gitarrenlärm memorabelste Melodien und hellste Harmonien. Vom rauen Krach früherer Zeiten hat sich die Band mittlerweile weit allerdings entfernt, heute, alle so um die Mitte 40, gelten sie als Schönklinger und Feingeister.
„Hey Ray, wann macht ihr endlich euer Heavy-Metal-Album?“, frotzelt der Wirt des „Gandolfini“, in dem Teenage-Fanclub-Gitarrist Raymond McGinley Stammgast ist. „Haben wir schon gemacht“, lacht der, schaut auf seine Frau Sharon, und die nickt. Was als Expertise reichen muss. Denn sie ist seit Teenagertagen Metal-Fan und schleppt den armen Raymond öfter mal auf Konzerte ihrer alten Helden von Alice Cooper bis Saxon, die der mit gequältem Lächeln erträgt. Für sie schrieb er 1990 tatsächlich ein Stück namens „Heavy Metal“, sie revanchierte sich, indem sie ein Jahr später das Cover zum zweiten Teenage-Fanclub-Album „Bandwagonesque“ entwarf. Heute ist sie promovierte Juristin – und Whisky-Kennerin, aber das ist in Glasgow naturgemäß fast jeder. Auch das frühe Aufstehen scheint ein Erbe von Industrialisierung und Schichtarbeit zu sein. Nur wenige Stunden, nachdem wir uns nach dem Dinner im „Gandolfini“ in die regnerische Glasgower Nacht verabschiedet haben, ist Ray schon wieder am Telefon: „Ich hol dich in einer Stunde am Hotel ab, ist das okay?“
Wir haben einen Termin mit Norman Blake und Gerard Love – den beiden anderen Köpfen des Melodienmonsters Teenage Fanclub. Blake ist quasi nur zu Besuch in Glasgow und wohnt bei seinen Eltern. Seine Frau ist Kanadierin, und er ist mit ihr in einen Vorort von Toronto gezogen. Wir treffen uns in der Lobby eines Hotels, in der kitschige Ölgemälde hängen, die allerlei Rockstars zeigen. Norman bemerkt sie als erster. „Oh, da oben sind ja die Rolling Stones.“ „Und guck mal, Norm, hinter dir hängt auch ein Porträt von dir“, flachst Ray. Blake dreht sich tatsächlich um, und als er auf die leere Wand schaut, muss er lachen. „Na Gott sei Dank.“ Nichts ist einem Fannie unangenehmer, als mit der eigenen Größe konfrontiert zu werden. Man hat das Gefühl, sie haben all diese schönen Songs eigentlich nur geschrieben, um von sich selbst abzulenken.
Auch im Interview nutzen sie jede Gelegenheit, das Gespräch in andere Richtungen zu drehen – weg von sich, hin zu den Musikern, die sie bewundern. Das war schon immer so – und wurde ihnen früh zum Verhängnis.
McGinley: Es fing alles damit an, dass wir von einem Journalisten danach gefragt wurden, was für Musik wir mögen. Und unter anderem nannten wir Big Star. Aber er hatte noch nie von der Band gehört. Und wir verbrachten die ganze Interviewzeit damit, ihm zu erklären, wer Alex Chilton war. Anschließend hat er unsere Platte verrissen. Mit der Begründung, wir würden nur Big Star kopieren.
Wann war das?
Love: Das Interview fand kurz nach Veröffentlichung von „A Catholic Education“ statt. Die Rezension erschien dann ein paar Monate später zu „Bandwagonesque“ .
Blake: Wir haben damals auch viel „Exile On Main Street“ gehört.
McGinley: (lacht) Aber niemand hat uns vorgeworfen, dass wir wie die Rolling Stones klingen.
Blake: Ich bin dem Rezensenten aber nicht böse. So wurde Alex Chilton irgendwann auf uns aufmerksam, und wir haben sogar ein paar Mal mit ihm zusammengearbeitet. Ein toller Typ. Ein unglaublich guter Musiker.
McGinley: Und er ist viel zu früh gegangen. Er konnte jeden unterhalten, weil er einfach alles spielen konnte. Erinnert ihr euch, wie er uns einmal bei einer Radio-Session dazu gebracht hat, den Anfang von Richard Wagners „Tannhäuser“ zu spielen?
(Es folgt eine längere Exkursion ins Werk von Alex Chilton. Und die drei haben es wieder geschafft, von sich abzulenken. Wir steigen zehn Minuten später wieder ein:)
„Bandwagonesque“ wurde ja vom „Spin“-Magazin zum Album des Jahres gewählt. Vor „Nevermind“.
Love: Stimmt. Wir dachten: Was ist denn jetzt los?
Blake: Damals war der Schlagzeuger von Orange Juice, Stephen Daly, dort für die Rezensionen zuständig. Wir dachten, er will uns einen Gefallen tun, weil wir auch aus Glasgow kommen.
McGinley: Aber so wohlgesonnen waren Orange Juice uns auch wieder nicht. Ich erinnere mich, dass wir mal auf ein Edwyn-Collins-Konzert wollten.
Blake: Stimmt. Und dann hieß es: Keine Chance. Die Gästeliste ist voll.
Ihr wart zu der Zeit auch mit Nirvana auf großer US-Tour, oder?
McGinley: Ja, wir haben viele Leute in den USA kennengelernt damals. Jeff Tweedy, der damals noch bei Uncle Tupelo war, wurde ein guter Freund. Und auch die Jungs von Nirvana waren nette und aufmerksame Typen. Kurt war allerdings ein bisschen abgelenkt durch Sucht und Courtney.
Die nächste Platte, „Thirteen“, war dann eure Version von Grunge. Das hätte der endgültige Durchbruch werden können. Aber ihr habt schon vor der Veröffentlichung gesagt, dass ihr das Album nicht mögt.
Love: Ja, wir hatten damals keine Ahnung, wie man das Spiel richtig spielt.Wir dachten, die Leute würden uns für unsere Ehrlichkeit lieben.
Blake: Wir hatten ewig an der Platte gearbeitet und hatten dann einfach die Schnauze voll. Unser Fehler war: Dadurch, dass wir in Glasgow arbeiteten, waren unsere Betten und die Pubs einfach nicht weit genug weg, um vernünftig arbeiten zu können.
Normalerweise sagt man in solchen Fällen trotzdem: Das ist das beste Album, das wir je gemacht haben.
Blake: Diese Ego-Sache können wir nicht. Ich kann mich erinnern, dass Brett Anderson auf die Frage, was für Musik er so hört, gesagt hat: „Das neue Suede-Album.“ (lacht) Es ging ihm wohl um den Effekt, den das hatte. Das ist halt ein Spiel. Aber wir waren weit weg von London, dem Zentrum der Popwelt, wo sich alle auf die Schulter schlugen und sagten: Hier passiert es, wir sind alle cool.
Love: In London muss wohl jeder Teil des Pop-Traums sein. In Glasgow klopfte man uns für unsere Ehrlichkeit auf die Schulter.
Hattet ihr nie einen richtigen Rockstar-Moment?
Blake: Nicht, dass ich wüsste.
Ray hat mir erzählt, dass ihr Anfang der Neunziger hier in Glasgow mal in Elvis-Anzügen aufgetreten seid …
(Alle lachen. Große Heiterkeit.)
McGinley: Wenn du das gesehen hättest, hättest du es nicht für Rock’n’Roll gehalten.
Love: Ich habe mich total unwohl gefühlt in diesen schweren Klamotten. Außerdem sahen wir überhaupt nicht aus wie Elvis, eher wie aus einem Robin-Hood-Film.
Blake: Hüte mit Federn, Pfeil und Bogen.
Klar, dass euch sofort Robin Hood einfällt. Der Retter des kleinen Mannes. Ein Working-class-hero.
Love: Wir konnten ja nichts dafür. Die haben uns im Kostümverleih übers Ohr gehauen. Sie haben uns erzählt, dass seien Elvis-Kostüme.
McGinley: Ich glaube, auf dem Label stand sogar „Robin Hood“, aber wir dachten, das sei einfach das falsche Schildchen (lacht).
Love: Wie sollten wir das auch wissen? Wir hatten Elvis noch nie gesehen.
Das Amerika-Abenteuer war nach dem „Thirteen“-Desaster schnell wieder vorbei. Auch wenn die Fannies anschließend mit „Grand Prix“ und „Songs From Northern Britain“ ihre eingängigsten, süffigsten Alben machten. Nach der Abwicklung ihrer Label-Heimat Creation erschien das ein bisschen unterschätzte „Howdy“ dann 2000 bei Sony. 2005 machten sie mit ihrem eigenen Label PeMa weiter. „Man-Made“ hieß das erste dort veröffentlichte, von Tortoises John McEntire in Chicago produzierte Album. Ein für Fannies-Verhältnisse sehniges, minimalistisches Werk. Für den Nachfolger gingen sie jetzt in die entgegengesetzte Richtung. „Shadows“ entstand in Norfolk auf dem Land, 15 Meilen von der nächsten Stadt entfernt. „Wir waren vollkommen isoliert“, erklärt Love, der Melancholiker in der Band. „Da wir keinerlei Ablenkung hatten, beschäftigten wir uns mehr mit unserem Innenleben, daher sind die Songs vielleicht etwas dunkler geworden“, erläutert McGinley, der Philosoph bei Teenage Fanclub, der zu Weihnachten von Sharon das Platon-Gesamtwerk geschenkt bekam und gerne Nietzsche liest. „Kann sein“, meint Norman Blake, der Bauchmensch mit dem Gespür für die großen Melodien und unvergesslichen Songzeilen.
„Shadows“ ist euer erstes Album, bei dem der Titel auch Rückschlüsse auf die Stimmung der Songs zulässt.
McGinley: Albumtitel sind schwie-rig. Das liegt daran, dass wir vor einem Album nie darüber sprechen, wo es hingehen soll. Jeder schreibt und produziert seine eigenen Tracks, und die anderen helfen ihm dabei. Wir kennen uns in- und auswendig. Jedes Album ist Produkt einer sehr intuitiven Arbeitsweise.
Blake: Das hat wohl damit zu tun, dass wir als Band erst zusammengefunden haben, während wir das erste Album machten. In den Gruppen, in denen wir davor gespielt haben, wurde immer viel darüber geredet, wie so eine erste Platte aussehen sollte – mit Teenage Fanclub haben wir sie einfach gemacht.
Aber das neue Album scheint insgesamt etwas dunkler zu sein als die letzten. Und es heißt „Shadows“. Da scheint doch eine Idee dahinter zu stecken …
McGinley (ziert sich): Das klingt jetzt etwas prätentiös, aber ich war in Madrid im Thyssen-Bornemisza Museum. Und dort gab es eine Ausstellung mit dem Titel „Shadows“ – eine Geschichte der Verwendung des Schattens in der Malerei. Und das Interessante war, dass man die Bilder mit diesem Titel im Hinterkopf ganz anders betrachtete. Man schaute halt wirklich auf die Schatten. Und da dachte ich, vielleicht ist „Shadows“ ein guter Albumtitel. Denn wir haben schon oft das Problem gehabt, dass Leute sagten: Oh, das ist aber wieder eine fröhliche Platte geworden. Einfach weil die Musik diese Qualität hatte. Und die teilweise sehr nachdenklichen Texte wurden bei diesem Urteil nicht berücksichtigt. Vielleicht hören die Leute die Platte mit einer dunkleren Konnotation, wenn sie „Shadows“ heißt statt, sagen wir: (lacht) „Howdy“.
Blake: Mein liebster Titel war „Songs From Northern Britain“. Das war die Hochzeit des Britpop mit Union Jacks, und wir dachten, okay, dann sind wir halt North-Britpop. Das fanden wir lustig.
Wenn jemand ein Buch über euch schriebe, sollte es dann so heißen: „Songs From Northern Britain“?
Blake: Was sollte da drinstehen?.
McGinley: Es gibt keinerlei Mythologie um die Band. Die Geschichte von Teenage Fanclub beginnt mit der ersten Platte. Und dann kam die zweite und so weiter. Ich glaube auch nicht, dass unsere Erlebnisse besonders erzählenswert wären. Und wenn doch, ist ja immer noch die Frage, ob wir sie auch erzählen wollen.
Love: Sie machten zusammen Musik. Dann machten sie zusammen Musik. Und dann machten sie zusammen Musik.
Blake: Das ist die Story von Teenage Fanclub.