Die Kunst von Verdichtung und Beschränkung: das Berliner Ensemble Die Haut entwirft klare, monolithische Klangtürme
Als Die Haut ins Studio gingen, um ihr neues sowie achtes Album „Spring“ aufzunehmen, war die wichtigste Voraussetzung ein leerer Kopf. Es sollten sich keine Bilder darin befinden, nicht das gewisse Gefühl, kein MetaL kein Breitwandrock: Seit der Gründung vor vierzehn Jahren erlaubt die Berliner Instrumental-Band nur das Primat reiner Musik. Was auch immer man davon halten mag: Es scheint entspannend zu sein. Ganz in sich selbst und in den Stühlen zurückgelehnt, sitzen Gitarrist Rainer Lingk und Bassist Christoph Dreher beim Interview und outen sich, vollständig in schwarz und wie immer im Anzug, als Epigonen der Kunst von Verdichtung und Beschränkung.
Ohne festen Sänger hat das Quartett über die Jahre in der Wucht einmalige Platten aufgenommen, um nun bei „Spring“ zu landen, einer Reminiszenz an die Frühlingsgefühle und daran, sich endlich über den Steilhang zu stürzen. In der Anfangsphase forderte diese Musik keinen leeren, eher einen klaren Kopf:
„Wir haben immer versucht, uns bestimmte Dinge zu verkneifen, es gab die Absprache, Proben sofort zu unterbrechen, wenn jemand musikalische Klischees verwendet.“ Aus endlosen Session-Aufnahmen wurden die magischen Momente – „Das sind die Stellen, wo Leute aufeinander hören“ – förmlich ausgeschnitten und rekonstruiert. In der Arbeitsweise waren Die Haut elektronischer Musik schon immer näher als den analogen Gitarrenbands, die ihre Songs erarbeiten, in dem sie Genres und Songtexte variieren. Die Berliner hingegen verwandeln Sounds von einem Zustand in den anderen, ähnlich dem, wie beispielsweise am Computer programmiertes Morphing auf einem Bildschirm selbständig und sinnvoll den nahtlosen Übergang eines Porträts von Phil Collins in eine Heckenschere bewerkstelligen würde.
Aus dem „materialbetonten“ Zugang ist bis heute ein meisterlicher „Haut-Sound“ geworden. Das Regelwerk hat sich in feste musikalische Charaktere gewandelt. Und man hat seine Vorstellungen von Subversion und das Klangkonzept des „Wall of Sound“ noch einmal überdacht. Das Ergebnis ist eine ergreifende Platte. Frei von Zeitdruck erarbeiteten sie in ihrem eigenen Studio monolithische Klangtürme, die nicht nur aus Gründen der Dynamik transparenten weniger eckig sind als früher – Gitarrenmusik, in der Gastsänger wie Blixa Bargeld besser wirken denn je, und trotzdem irgendwie überflüssig. Auf ihrem 92er-Album „Head On“ sangen sogar noch Nick Cave, Lydia Lunch und Jeffrey Lee Pierce, mit denen sie auch auf Tour gingen. Und Dreher meint: „Ich hatte früher bei Live-Auftritten das Ideal von Massivität, heute finde ich den Aspekt von Überrollen oder Einschüchterungen nicht mehr so gut. Es gefällt mir besser, wenn den man Leuten hilft, sich in die Klangwelten einzufühlen.“ So haben sie für „Spring“ die vier Gesangsstücke und acht instrumentalen Songs erstmals im eigenen Subkutan Studio eingespielt Es beruhigt, daß die Band älter geworden ist, ohne dabei nostalgisch zu werden. „Sich ausdrücken“, so Dreher, sei ihm suspekt geworden mit den Jahren. „Künstler sein heißt, die Wahrnehmung zu schärfen. Ich will Musik machen, die das ausdrückt.“ Das ist zwar ein Widerspruch. Aber auch ein gutes Schlußwort.