Die Krise der Demokratie
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Bundespräsident Horst Köhler hat sein Amt niedergelegt, und Ministerpräsident Roland Koch wird ihm folgen. Sie weisen eine Gemeinsamkeit auf. Roland Koch begründet seinen Rückzug aus der Politik mit einem Verlust an Gestaltungsmöglichkeiten. Horst Köhler musste eine Reihe von Gesetzen unterzeichnen, die dem Diktat der Banken und Finanzmärkte geschuldet waren, vor dem der Bundespräsident mehr als einmal vergeblich und mit einschlägigen Worten – „Monster“ – warnte.
Vor zwei Jahren beschloss der Deutsche Bundestag gegen die Stimmen der Linken einen Rettungsschirm für marode Banken in Höhe von 480 Mrd. Euro – und das im Eilverfahren binnen einer Woche, während normale Gesetzgebungsverfahren mit deutlich niedrigeren Ausgabengrößen Monate dauern. Und er beschloss seine Selbstentmachtung gleich mit, nämlich die Kontrolle über den Haushalt. Nur neun Abgeordnete erhalten Kenntnisse, welche Banken aus dem Fonds Bürgschaften oder Kredite erhalten, und sie sind zur Geheimhaltung verpflichtet.
Vor wenigen Wochen beschloss das Parlament – wieder binnen einer Woche und gegen die Stimmen der Linken – das Kreditermächtigungsgesetz zum Schutz des Euro vor weiteren Angriffen der Banken und Spekulateure, an dem Deutschland mit bis zu 148 Mrd. Euro beteiligt ist. Über die Verwendung der Mittel, die die Hälfte des Bundeshaushalts ausmachen, wird dem Haushaltsausschuss ein „Recht zur Stellungnahme“ eingeräumt, mehr nicht.
Die Politik ist schon so weit gekommen, dass sich die Chefinnen und Chefs der 16 Euro-Länder den Termin über den Beschluss der EU über das Euro-Rettungspaket in Höhe von 750 Mrd. Euro von der Börse in Tokio vorschreiben lassen mussten, um weiteren Spekulationen gegen den Euro vorzubeugen.
Die gigantischen Milliardenhilfen für die Banken und ihre so genannte Finanzindustrie machen eine Gestaltung von Politik für eine Legislaturperiode zur Makulatur. Selbst eine unternehmens- und bankenfreundliche schwarz-gelbe Bundesregierung scheitert mit ihrer Kopfpauschale im Gesundheitswesen oder ihren Steuersenkungsplänen.
Jede Planung eines Haushalts müsste jetzt unter den Vorbehalt der Finanzmärkte gestellt werden. Schon daraus ergibt sich, dass Politik nur noch sehr begrenzt gestalten kann. Das macht die eigentliche gegenwärtige Krise aus. Wenn Parlamente und Regierungen nur noch Getriebene der Finanzmärkte sind, dann ist die Demokratie selbst ge- fährdet.
Dafür legen die allseits beklagten geringeren Wahlbeteiligungen Zeugnis ab. Dahinter verbergen sich tiefgreifende Änderungen der Haltung der Bürgerinnen und Bürger zur parlamentarischen Demokratie und ihren Institutionen.
Im Zeichen der Finanzkrise führte die Bertelsmann-Stiftung im Herbst 2009 diesbezüglich eine umfassende Studie durch. Danach haben 70 Prozent der Befragten kein Vertrauen mehr in die Entscheidungsträger in der Wirtschaft und Politik. Das ist der niedrigste Wert seit Gründung der Bundesrepublik. Und bereits die Hälfte der befragten Bürgerinnen und Bürger stellten die repräsentative Demokratie in Frage.
Wenn die Bürgerinnen und Bürger erleben, dass ihre gewählten Abgeordneten nicht einmal mehr das „Königsrecht“, die Beschlussfassung und Kontrolle über den Haushalt, in vollem Umfange wahrnehmen und als Dienstleister der Banken und Vermögensfonds wahrgenommen werden, wenn sie – mit Ausnahme der Linken – milliardenschwere Rettungsschirme quasi auf Bestellung im Schnelldurchlauf verabschieden, wenn obendrein auch noch milliardenschwere Sparprogramme aufgelegt werden, so dass die Bürgerinnen und Bürger für die Krise der Banken zahlen sollen, dann erodiert das demokratische System insgesamt.
Der finanzgetriebene Kapitalismus kam nicht einfach über uns. Politische Entscheidungsträger, bei uns war es die Schröder/Fischer-Regierung, haben mit ihrer Politik der Deregulierung der Finanzmärkte und ihrem blinden Glauben an die Selbstregulierung der Märkte die Schleusen für die nun eingetretenen Entwicklungen weit geöffnet.
Die Krise der Demokratie lässt sich nur überwinden, wenn das Primat der Politik über die (Finanz-)Wirtschaft wieder hergestellt wird. Die Finanzmärkte müssen endlich re-reguliert, Spekulationen gegen Währungen, Rohstoffe, Staatsschulden verboten, eine Bankenabgabe und Finanztransaktionssteuer endlich eingeführt werden.
Erst wenn die Politik wieder gestalten und sich über die Richtung gestritten werden kann, dann gewönne Politik wieder mehr Akzeptanz und Legitimation bei den Bürgerinnen und Bürgern.
Gregor Gysi, langjähriger Vorsitzender der PDS und Ex-Wirtschaftssenator von Berlin, ist seit 2005 Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Deutschen Bundestag.