die krallen der niomi d.
Sie hat leider keine Wahl, sie muss die bösen Wörter alle in den Mund nehmen, um farbig zu illustrieren, was sie nie mehr hören will. Der Platz neben Lil’Kim und Foxy Brown, die derzeit in großen Studios nach neuen Metaphern für gynäkologische Tatbestände suchen, ist Ms Dynamite zu heiß und zu schmierig, obwohl sie auf ihrer Single „It Takes More“ so katzenhaft geschmeidig das Wort „pussy“ singt. Aber die Zeile heißt: „You’re just a racist man’s pussy!“ Sie meint einen aufdringlichen Mann damit, einen Foxy-Brown-Hörer, dem sie entgegenhält, dass sie gerne erstmal geistig gefordert wird, bevor sie auf den Beifahrersitz springt. Eine relevante Frage sei zum Beispiel, wie viele Afrikaner wohl sterben mussten für die Steine auf seiner Rolex-Uhr. Lauryn Hill wüsste es, aber die ist ja den ganzen Weg gegangen und spielt nur noch Gitarre – MsDynamite singt „It takes more to amuse a girl like me“ zu einem lasziven Tango-Akkordeon, eine Produktion aus dem R&B-Benutzerhandbuch, an der nur auffallt, dass die Sängerin ein einsames Tier mit Krallen ist, die nicht nur dazu benutzt werden, um fremde Rücken zu kraulen.
Der Standpunkt als demonstrativ selbstbewusste Frau ist in der Black Music zwar nicht ungewöhnlich, aber die unterschiedlichen Wege dorthin bleiben interessant. Bei Niomi Daley, die mit 21 Jahren Ms Dynamite spielt, war es so: In Archway im Norden von London wuchs sie mit fünf jüngeren Geschwistern auf, war nach der Schule die Erziehungsberechtigte, wenn die geschiedene Mama lange arbeiten musste, und fing aus dem Arger heraus an. Gedichte zu schreiben. „Ich wollte meiner Mutter nicht zusätzlich auf die Nerven gehen. Schreiben fühlte sich für mich an wie Zurückschlagen, ohne jemandem weh zu tun. Das Schreiben wurde mein bester Freund. Ich konnte mit jemandem reden, obwohl ich nur mit dem Papier geredet habe – wenn das jetzt nicht blöd klingt.
Würden Lauryn Hill oder Tracy Chapman schildern, wie sie mit dem Papier reden, würde das übrigens wirklich blöd klingen. Die Novizin Ms Dynamite darf erstens noch ein wenig Mist erzählen und tut das zweitens in wahnsinnig überzeugendem Ton. Das „c“ in „music“ schnalzt sie immer sehr laut, wenn sie über die Herstellung ihrer Debüt-Platte „A Little Deeper“ spricht. Den prominenten Produzenten in New York, Jamaika, Miami und Schweden (keinen dieser Orte hatte sie jemals zuvor besucht) habe sie nicht nur still über die Schultern geguckt: „Wenn ich Leute bezahle, dann bezahle ich sie dafür, dass sie das Ding so machen, wie ich es haben will. Sonst bezahle ich sie nicht So einfach ist das!“ Die Herren bekamen ihr Geld, die Firma Polydor hat darauf bestanden.
Die alten Freunde sind enttäuscht von der Platte, denn sie kennen Ms Dynamite als dieselgetriebene Ragga-Tbasterin von ihrer Underground-Maxisingle „Booo!“, einem UK-Garage-Smash mit schwerem Sägebass. Jetzt ist sie eine richtige Sängerin, aber losgegangen war alles mit Hands-in-the-air-Reden, die sie in herumliegende Mikrofone rappte. Wenn man sich auf der Tanzfläche bis nach vorne durcharbeitet, ist der Schritt auf das Podest nicht mehr so groß: „Ob die Menge gleich mitgegangen ist? Hab ich nicht drauf aufgepasst. Ich wusste aber, worauf es ankommt, wenn man Vibes erzeugen will. Ich habe über Wohlfühl-Themen gerappt, über Musik und übers Tanzen. Das war einfach.“ Für eine, die gern geistig gefordert wird, muss es erlösend sein, nun ein Stück wie „It Takes More“ veröffentlichen zu können.
Aber noch einmal: Woher das Selbstbewusstsein? „Mit 16 bin ich von zu Hause ausgezogen. Ich habe gemerkt, dass Wunder nicht von allein passieren, sondern dass man den Hintern hochbekommen und etwas tun muss.“ Vor anderthalb Jahren ist Ms Dynamite in die kleine Wohnung in Archway zurückgekommen, zu Mama und den Geschwistern. Da war die Schlacht längst gewonnen.